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„Das moderne Wohnprinzip“ – Zwischen Bauhaus und Wien
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schiedenen Modulen zusammengesetzt werden konnte (Abb. 262).271 Es war ebenfalls
dem Anspruch der Montessori-Pädagogik verpflichtet, da das Haus und die dafür speziell
entwickelten Möbel ganz auf die Größe der Kinder abgestimmt waren. 1935 wurde es
auf der „Ideal Home Exhibition“ in London am Stand der britischen Spielzeugfirma
Abbatt Ltd. gezeigt, die den Vertrieb des Spielhauses übernahm.
Das Londoner Ehepaar Paul und Marjorie Abbatt, das ursprünglich eine eigene Schule
gründen wollte, betrieb intensive Forschung im Bereich der Kinderpädagogik. 1931 reis-
ten sie nach Wien, um das nach Montessori-Prinzipien geführte und von Franz Schuster
geplante „Haus der Kinder“ am Rudolfsplatz 2 und den Unterricht von Franz Cizek an
der Kunstgewerbeschule zu besuchen. Bei ihrem Aufenthalt lernten sie auch den ehema-
ligen Bauhausstudenten Milan Morgenstern und Helene Löw-Beer (1908–1980) ken-
nen, die gemeinsam Methoden zur Lehre von Kindern mit Behinderungen und Lern-
schwächen entwickelt hatten.272 Während dieses Aufenthalts könnten die Abbatts auch
Franz Singer kennengelernt haben.
Bei einer 1932 organisierten Ausstellung in ihrer Privatwohnung in London zeigten
die Abbatts die bei ihren Europareisen gesammelten Spielzeuge. Diese Schau war ein so
großer Erfolg, dass sie im gleichen Jahr eine Spielzeugfirma gründeten.273 Neben dem
„Sunplayhouse“ wurden offenbar auch die Spielwürfel, die in Singers Wiener Montes-
sori-Kindergärten zur Einrichtung gehörten, in das Sortiment der Firma aufgenommen,
da diese auf dem Foto eines Ausstellungsraums für die Abbatt Ltd. zu sehen sind.274 Sin-
ger entwarf neben einem Ausstellungsraum für die Geschäftsstelle am Midford Place in
London auch den Ausstellungsstand auf der 1935 stattfindenden „British Industrial Fair“
sowie den Prospekt für das „Sunplayhouse“.
Parallel zur Entwicklung des stapelbaren „X-Stuhls“ aus Sperrholzplatten entstand
auch eine Variante für Kinder, die Singer zusammen mit zwei verschiedenen stapelbaren
Tischen auf Veranlassung der Nursery School Association of Great Britain275 und des Edu-
Franz Karl 08.02.1896 GZl. 71537/1937 Singer, Franz Karl, 08.02.1896, 1919–1938 (Akt (Samme-
lakt, Grundzl., Konvolut, Dossier, File)). Kopie: AGS.
271 BHA, Franz Singer, Fotosammlung, Mappe Kinderspielhaus, Faltprospekt der Firma Abbatt Toys
Ltd., Inv.-Nr. 9434/1. Im AGS ist ebenfalls ein solcher Prospekt erhalten.
272 Morgenstern entwarf, nachdem er 1938 nach London emigriert war, ebenfalls Spielzeug für die
Abbatt Ltd. Siehe: VAM 2017b.
273 Zur Geschichte der Firma Paul and Marjorie Abbatt Ltd. siehe: VAM 2017b.
274 Siehe: BHA, Fotosammlung Franz Singer, Inv.-Nr. 9435/3.
275 Die Nursery School Association of Great Britain (NSA) wurde 1923 gegründet. Von 1942 bis 1948
wurde Lady Allen of Hurtwood (1897–1976) Präsidentin der Organisation. Siehe: Koslowski 2013,
S. 210; Cook/Weeks 1978, S. 3. Im BHA befindet sich ein Brief von Lady Allen of Hurtwood an
Franz Singer aus dem Jahr 1943, Einladungen zu Veranstaltungen der Organisation und ein Rund-
schreiben aus dem gleichen Jahr. Siehe: BHA, Franz Singer, Dokumentensammlung, Mappe 5.
© 2021 Böhlau Verlag | Brill Österreich GmbH
https://doi.org/10.7767/9783205213161 | CC BY-NC 4.0
Bauhaus in Wien?
Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Titel
- Bauhaus in Wien?
- Untertitel
- Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Autor
- Katharina Hövelmann
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21316-1
- Abmessungen
- 17.4 x 25.6 cm
- Seiten
- 492
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung 9
- 1.1 Ein vergessenes Kapitel Wiener Design- und Architekturgeschichte 9
- 1.2 Forschungsstand 10
- 1.3 Quellenlage 15
- 1.4 Forschungsziele und Methodik 21
- 2 Dickers und Singers künstlerische Ausbildung im Zeichen von Kunstschulreform und Lebensreformbewegung 27
- 2.1 Die Zeit in Wien 27
- 2.1.1 Herkunft und Ausbildung bis 1916 27
- 2.1.2 Kunstschule Johannes Itten und Netzwerke 1916–1919 33
- 2.2 Studienzeit am Bauhaus in Weimar 1919–1923 47
- 2.2.1 Die Wiener Gruppe um Johannes Itten 47
- 2.2.2 Unterricht 56
- 2.2.3 Erste Architekturentwürfe – Vier Einfamilienhäuser 77
- 3 Berufliche Anfänge 89
- 3.1 Aufträge für Theater in Dresden und Berlin 1921–1922 89
- 3.2 Werkstätten Bildender Kunst GmbH, Berlin 1923–1926 92
- 3.2.1 Arbeiten für Die Truppe 107
- 3.2.2 Die Auflösung 114
- 4 Die Wiener Ateliergemeinschaft 1925–1938 117
- 4.1 Die Zusammenarbeit von Dicker und Singer 1925–1931 117
- 4.2 Architekturfachkenntnis im Hintergrund – Die AteliermitarbeiterInnen 134
- 4.3 AuftraggeberInnen 140
- 4.4 Strategien der Bewerbung 147
- 4.4.1 Axonometrie und Modell 147
- 4.4.2 Fotografie 154
- 4.4.3 Publikationen 157
- 4.5 Dickers und Singers Wege ab 1933/1934 162
- 5 „Das moderne Wohnprinzip“ – Zwischen Bauhaus und Wien 173
- 5.1 Das Bauhaus als Basis 173
- 5.2 Zur Situation in Wien – Innenraumgestaltung und Architektur 175
- 5.2.1 Die Wiener Moderne um 1900 175
- 5.2.2 Wien in der Zwischenkriegszeit 177
- 5.3 Theorie und Anspruch der Ateliergemeinschaft 182
- 5.4 Einrichtungsgegenstände: Möbel, Leuchten und Kachelöfen 185
- 5.4.1 Vom Einzelstück zur Typisierung – Frühe Möbel 1925–1929 185
- 5.4.1.1 Bauhaus und De Stijl als Vorbild 185
- 5.4.1.2 Verwandelbarkeit als Prinzip 202
- 5.4.1.3 Verbindungen zum Wiener Jugendstil und Biedermeier 210
- 5.4.1.4 Zwischen sozialem und künstlerischem Anspruch: Typisierungstendenzen 216
- 5.4.1.5 Möbeltischler und Hersteller 228
- 5.4.2 Wege zur Serienfabrikation – Stahlrohr- und Sperrholzmöbel 1929–1938 230
- 5.4.2.1 Der Stahlrohrstapelstuhl von Bruno Pollak 234
- 5.4.2.2 Stahlrohrmöbelentwürfe der Ateliergemeinschaft 238
- 5.4.2.3 Hersteller und Produktionsversuche der Stahlrohrmöbel 251
- 5.4.2.4 Entwürfe für die Firma Metz & Co 253
- 5.4.2.5 Sperrholzmöbel 261
- 5.4.2.6 Produktionsversuche der Sperrholzmöbel 264
- 5.4.3 Eine Welt für Kinder – Kindermöbel und Baukastenspiele 1927–1938 266
- 5.4.4 Leuchten und andere Metallarbeiten 289
- 5.4.5 Kachelöfen 302
- 5.5 Raumgestaltungen und Architektur 309
- 5.5.1 Verwendung von Farbe als Gestaltungsmittel 309
- |5.5.2 Intervention im Haus Moller von Adolf Loos und im dazugehörigen Garten 319
- 5.5.2.1 Ein neu entdeckter Möblierungsentwurf 319
- 5.5.2.2 Das Zimmer für Anny Wottitz-Moller 334
- 5.5.2.3 Das Gartenhaus 337
- 5.5.3 Wohnkonzepte auf kleinster Fläche 339
- 5.5.3.1 Einwohnräume 339
- 5.5.3.2 „Wachsende Häuser“ – Entwürfe für Kleinhauswohnbauten in Palästina 362
- 5.5.4 Fulminanter Höhe- und Endpunkt – Das Gästehaus Auersperg-Hériot 379
- 5.6 Epilog: Sozialer Anspruch oder Zeitgeist? – Eine kritische Bewertung 411
- 6 Resümee und Ausblick 417
- 7 Anhang 425
- 7.1 Quellentexte 425
- 7.2 Biografie Friedl Dicker / Franz Singer 428
- 7.3 Archive und Sammlungen 431
- 7.4 Literatur 436
- 7.5 Webseiten 473
- 7.6 Bildnachweis 477
- 7.7 Abkürzungen 480
- 7.8 Abstract 481
- 7.9 Register 482