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„Das moderne Wohnprinzip“ – Zwischen Bauhaus und Wien
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gelegten Böden eingesetzt. Diese Farb-
skala verweist auf die typischen Farben
der De Stijl-Bewegung, Rot, Gelb, Blau,
Schwarz und Weiß, die über Theo van
Doesburg auf das Bauhaus einwirkten.
In van Doesburgs Vortrag „Der Wille
zum Stil“, den er am 3. April 1922 in
Weimar hielt, konstatierte er am Beispiel
des in jenen Farben gehaltenen Foto-
ateliers Henri Berssenbrugge344 in Den
Haag, über die Wichtigkeit des Zusam-
menspiels von Architektur und Farbe:
„Im Gegensatz zur dekorativen Ausfüh-
rung des Barock verstärkt die Malerei
die Architektur, statt sie zu vernichten.
[...]. In der modernen Architektur ist
das Farb-Raumproblem das wichtigste
und schwierigste Problem unserer Zeit.
Ich bin der Meinung, daß die Lösung
nur von einer monumentalen Synthese
zu erwarten ist. Der Ausgleich von
räumlichen und zeitlichen Momenten ist nur in der Chromo-Plastik zu finden, d. h.
in der malerischen Komposition des dreidimensionalen Raumes. [...] Hierdurch haben
die monumentalen Maler wieder ihre eigentliche Aufgabe: die Einführung der Malerei
in die Architektur“345 (Abb. 300). Van Doesburgs Überlegungen entsprechen weitestge-
hend den Zielen des Bauhaus-Manifests von 1919, in dem „der Bau“ als „Endziel aller
bildnerischen Tätigkeit“ angesehen und dessen Schmückung durch „Mit- und Ineinan-
derwirken“ von Architekten, Bildhauern und Malern als „die vornehmste Aufgabe der
bildenden Künste“ bezeichnet wird.346 Ebenso scheinen sie Kandinskys Vorstellung einer
„synthetische[n] Arbeit im Raum, [...] mit dem Bau zusammen [...]“347 vergleichbar.
Eine dekorative Verwendung von Farbe und Form im Raum wurde abgelehnt, vielmehr
sollte abstrakte Tafelbild-Malerei in Raumkunst aufgelöst werden: „Konstruktion und
Komposition, Raum und Zeit, Statik und Dynamik in einem Griff gefasst. Die gestal-
344 Architekt dieses Ateliers war Jan Wils, die Farbgestaltung hatte Vilmos Huszár und die Möblierung
Gerrit Rietveld übernommen.
345 Doesburg 1922, S. 33–41.
346 Walter Gropius, Bauhaus-Manifest, April 1919, in: Wingler 20024, S. 39.
347 Brief Wassily Kandinsky an Will Grohmann, Juli 1924. Zitiert nach: Poling 1982, S. 38.
Abb. 300: Vilmos Huzár, Atelier Berssenbrugge,
Den Haag, 1921, Modell-Rekonstruktion 1985,
Holz und Farbe, 45 x 58,5 x 102,5 cm, CMU /
Technische Universität Delft.
© 2021 Böhlau Verlag | Brill Österreich GmbH
https://doi.org/10.7767/9783205213161 | CC BY-NC 4.0
Bauhaus in Wien?
Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Titel
- Bauhaus in Wien?
- Untertitel
- Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Autor
- Katharina Hövelmann
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21316-1
- Abmessungen
- 17.4 x 25.6 cm
- Seiten
- 492
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung 9
- 1.1 Ein vergessenes Kapitel Wiener Design- und Architekturgeschichte 9
- 1.2 Forschungsstand 10
- 1.3 Quellenlage 15
- 1.4 Forschungsziele und Methodik 21
- 2 Dickers und Singers künstlerische Ausbildung im Zeichen von Kunstschulreform und Lebensreformbewegung 27
- 2.1 Die Zeit in Wien 27
- 2.1.1 Herkunft und Ausbildung bis 1916 27
- 2.1.2 Kunstschule Johannes Itten und Netzwerke 1916–1919 33
- 2.2 Studienzeit am Bauhaus in Weimar 1919–1923 47
- 2.2.1 Die Wiener Gruppe um Johannes Itten 47
- 2.2.2 Unterricht 56
- 2.2.3 Erste Architekturentwürfe – Vier Einfamilienhäuser 77
- 3 Berufliche Anfänge 89
- 3.1 Aufträge für Theater in Dresden und Berlin 1921–1922 89
- 3.2 Werkstätten Bildender Kunst GmbH, Berlin 1923–1926 92
- 3.2.1 Arbeiten für Die Truppe 107
- 3.2.2 Die Auflösung 114
- 4 Die Wiener Ateliergemeinschaft 1925–1938 117
- 4.1 Die Zusammenarbeit von Dicker und Singer 1925–1931 117
- 4.2 Architekturfachkenntnis im Hintergrund – Die AteliermitarbeiterInnen 134
- 4.3 AuftraggeberInnen 140
- 4.4 Strategien der Bewerbung 147
- 4.4.1 Axonometrie und Modell 147
- 4.4.2 Fotografie 154
- 4.4.3 Publikationen 157
- 4.5 Dickers und Singers Wege ab 1933/1934 162
- 5 „Das moderne Wohnprinzip“ – Zwischen Bauhaus und Wien 173
- 5.1 Das Bauhaus als Basis 173
- 5.2 Zur Situation in Wien – Innenraumgestaltung und Architektur 175
- 5.2.1 Die Wiener Moderne um 1900 175
- 5.2.2 Wien in der Zwischenkriegszeit 177
- 5.3 Theorie und Anspruch der Ateliergemeinschaft 182
- 5.4 Einrichtungsgegenstände: Möbel, Leuchten und Kachelöfen 185
- 5.4.1 Vom Einzelstück zur Typisierung – Frühe Möbel 1925–1929 185
- 5.4.1.1 Bauhaus und De Stijl als Vorbild 185
- 5.4.1.2 Verwandelbarkeit als Prinzip 202
- 5.4.1.3 Verbindungen zum Wiener Jugendstil und Biedermeier 210
- 5.4.1.4 Zwischen sozialem und künstlerischem Anspruch: Typisierungstendenzen 216
- 5.4.1.5 Möbeltischler und Hersteller 228
- 5.4.2 Wege zur Serienfabrikation – Stahlrohr- und Sperrholzmöbel 1929–1938 230
- 5.4.2.1 Der Stahlrohrstapelstuhl von Bruno Pollak 234
- 5.4.2.2 Stahlrohrmöbelentwürfe der Ateliergemeinschaft 238
- 5.4.2.3 Hersteller und Produktionsversuche der Stahlrohrmöbel 251
- 5.4.2.4 Entwürfe für die Firma Metz & Co 253
- 5.4.2.5 Sperrholzmöbel 261
- 5.4.2.6 Produktionsversuche der Sperrholzmöbel 264
- 5.4.3 Eine Welt für Kinder – Kindermöbel und Baukastenspiele 1927–1938 266
- 5.4.4 Leuchten und andere Metallarbeiten 289
- 5.4.5 Kachelöfen 302
- 5.5 Raumgestaltungen und Architektur 309
- 5.5.1 Verwendung von Farbe als Gestaltungsmittel 309
- |5.5.2 Intervention im Haus Moller von Adolf Loos und im dazugehörigen Garten 319
- 5.5.2.1 Ein neu entdeckter Möblierungsentwurf 319
- 5.5.2.2 Das Zimmer für Anny Wottitz-Moller 334
- 5.5.2.3 Das Gartenhaus 337
- 5.5.3 Wohnkonzepte auf kleinster Fläche 339
- 5.5.3.1 Einwohnräume 339
- 5.5.3.2 „Wachsende Häuser“ – Entwürfe für Kleinhauswohnbauten in Palästina 362
- 5.5.4 Fulminanter Höhe- und Endpunkt – Das Gästehaus Auersperg-Hériot 379
- 5.6 Epilog: Sozialer Anspruch oder Zeitgeist? – Eine kritische Bewertung 411
- 6 Resümee und Ausblick 417
- 7 Anhang 425
- 7.1 Quellentexte 425
- 7.2 Biografie Friedl Dicker / Franz Singer 428
- 7.3 Archive und Sammlungen 431
- 7.4 Literatur 436
- 7.5 Webseiten 473
- 7.6 Bildnachweis 477
- 7.7 Abkürzungen 480
- 7.8 Abstract 481
- 7.9 Register 482