Seite - 365 - in Bauhaus in Wien? - Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
Bild der Seite - 365 -
Text der Seite - 365 -
Raumgestaltungen und Architektur 365
dikal ab[zu]weichen. [...] Es kommt mir vor allem auf die Raumausnützung durch bes-
sere, und doch billige, Inneneinrichtung an.“448
Franz Singer hielt jedoch das Zusammenspiel von Architektur und Inneneinrichtung
für essenziell und teilte seinem Bruder mit: „[...] ich setz eben die Behauptung, dass
die Trennung der Aussen-Architektur von der Innen-Architektur in der usuell geübten
Weise falsch ist.“449 Dieser Standpunkt wird auch Grund dafür gewesen sein, warum Sin-
ger 1931 die vom Österreichischen Werkbund vorgeschlagene Einrichtung des Hauses
Nr. 26 von André Lurcat in der Wiener Werkbundsiedlung mit den folgenden Worten
ablehnte: „Ich habe bereits seinerzeit, nachdem Sie mich im Dezember 1929 zur Innen-
einrichtung von Häusern der Werkbundsiedlung eingeladen hatten, meine prinzipielle
Stellung zu dieser Frage in mehreren Unterredungen auseinandergesetzt. Ich bedauere,
von meinem damaligen Standpunkt auch heute nicht abgehen zu können.“450
Zeichnungen der „wachsenden Häuser“ zeigen, dass Franz Singers Atelier sich auch
mit der Außenarchitektur von Kleinhauswohnbauten auseinandersetzte.451 Die Mehr-
zahl der erhaltenen Grundrissstudien und Entwürfe für Innenausbauten verdeutlichen
jedoch, dass der Auftrag der Palestine Economic Corporation sich auf die Innenausstattung
konzentrierte.452
Ausgehend von der Singer zugesandten Zeichnung des „Agricultural Workers House
Type 7“ mit den Ausmaßen von 6,20 x 6,60 Metern, wurden neue Entwürfe für Land-
arbeiter-Häuser entwickelt (Abb. 371). Die Grundrisse führen anhand von Berechnun-
gen das Verhältnis von verbauter Fläche zur Wohnfläche vor (Abb. 372). Bei der ersten
neuen Version von Singer – Entwurf 2 – ist die Anordnung der Räume weitestgehend
beibehalten, jedoch die Größe des Schlafzimmers, des Wohnzimmers sowie der Terrasse
verkleinert und die quadratische Küche in den Wohnraum hineingezogen. Entwurf 3
zeigt den Grundriss durch einen Einschnitt im linken Raum noch weiter verkleinert, zur
Raumgewinnung wird hier ein Klappbett vorgeschlagen. Bei den beiden anschließenden
Entwürfen 4 und 5 ist durch Planung eines Podiums mit darunter eingeschobenen Bet-
448 AGS, Brief Paul Singer an Franz Singer, 11.4.1934.
449 AGS, Brief Franz Singer an Paul Singer, 25.4.1934.
450 AGS, Brief Franz Singer an Österreichischen Werkbund, 17.12.1931. Siehe auch: Briefkorrespon-
denz im Zeitraum 13.12.1929–17.12.1931.
451 Geringfügige Änderungen an den Häusern wurden offenbar 1934 von der Palestine Economic Cor-
poration genehmigt, ob diese aufgrund von Franz Singers Studien vorgenommen wurden, bleibt
jedoch zweifelhaft: „Mr. Vilentshuk reported that Mr. Simon had agreed to slight increase in the
area of the houses. Further the roofs are to be flat instead of being arched as in the previous houses
and water is to be brought to the kitchen and a shower to be built in the house.“ Siehe: AGS, Beilage
eines Briefes von Paul Singer, 6.11.1934.
452 Da die Pläne nicht datiert sind, ist bisher offen, welche Entwürfe 1929 und welche später entstanden
sind.
© 2021 Böhlau Verlag | Brill Österreich GmbH
https://doi.org/10.7767/9783205213161 | CC BY-NC 4.0
Bauhaus in Wien?
Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Titel
- Bauhaus in Wien?
- Untertitel
- Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Autor
- Katharina Hövelmann
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21316-1
- Abmessungen
- 17.4 x 25.6 cm
- Seiten
- 492
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung 9
- 1.1 Ein vergessenes Kapitel Wiener Design- und Architekturgeschichte 9
- 1.2 Forschungsstand 10
- 1.3 Quellenlage 15
- 1.4 Forschungsziele und Methodik 21
- 2 Dickers und Singers künstlerische Ausbildung im Zeichen von Kunstschulreform und Lebensreformbewegung 27
- 2.1 Die Zeit in Wien 27
- 2.1.1 Herkunft und Ausbildung bis 1916 27
- 2.1.2 Kunstschule Johannes Itten und Netzwerke 1916–1919 33
- 2.2 Studienzeit am Bauhaus in Weimar 1919–1923 47
- 2.2.1 Die Wiener Gruppe um Johannes Itten 47
- 2.2.2 Unterricht 56
- 2.2.3 Erste Architekturentwürfe – Vier Einfamilienhäuser 77
- 3 Berufliche Anfänge 89
- 3.1 Aufträge für Theater in Dresden und Berlin 1921–1922 89
- 3.2 Werkstätten Bildender Kunst GmbH, Berlin 1923–1926 92
- 3.2.1 Arbeiten für Die Truppe 107
- 3.2.2 Die Auflösung 114
- 4 Die Wiener Ateliergemeinschaft 1925–1938 117
- 4.1 Die Zusammenarbeit von Dicker und Singer 1925–1931 117
- 4.2 Architekturfachkenntnis im Hintergrund – Die AteliermitarbeiterInnen 134
- 4.3 AuftraggeberInnen 140
- 4.4 Strategien der Bewerbung 147
- 4.4.1 Axonometrie und Modell 147
- 4.4.2 Fotografie 154
- 4.4.3 Publikationen 157
- 4.5 Dickers und Singers Wege ab 1933/1934 162
- 5 „Das moderne Wohnprinzip“ – Zwischen Bauhaus und Wien 173
- 5.1 Das Bauhaus als Basis 173
- 5.2 Zur Situation in Wien – Innenraumgestaltung und Architektur 175
- 5.2.1 Die Wiener Moderne um 1900 175
- 5.2.2 Wien in der Zwischenkriegszeit 177
- 5.3 Theorie und Anspruch der Ateliergemeinschaft 182
- 5.4 Einrichtungsgegenstände: Möbel, Leuchten und Kachelöfen 185
- 5.4.1 Vom Einzelstück zur Typisierung – Frühe Möbel 1925–1929 185
- 5.4.1.1 Bauhaus und De Stijl als Vorbild 185
- 5.4.1.2 Verwandelbarkeit als Prinzip 202
- 5.4.1.3 Verbindungen zum Wiener Jugendstil und Biedermeier 210
- 5.4.1.4 Zwischen sozialem und künstlerischem Anspruch: Typisierungstendenzen 216
- 5.4.1.5 Möbeltischler und Hersteller 228
- 5.4.2 Wege zur Serienfabrikation – Stahlrohr- und Sperrholzmöbel 1929–1938 230
- 5.4.2.1 Der Stahlrohrstapelstuhl von Bruno Pollak 234
- 5.4.2.2 Stahlrohrmöbelentwürfe der Ateliergemeinschaft 238
- 5.4.2.3 Hersteller und Produktionsversuche der Stahlrohrmöbel 251
- 5.4.2.4 Entwürfe für die Firma Metz & Co 253
- 5.4.2.5 Sperrholzmöbel 261
- 5.4.2.6 Produktionsversuche der Sperrholzmöbel 264
- 5.4.3 Eine Welt für Kinder – Kindermöbel und Baukastenspiele 1927–1938 266
- 5.4.4 Leuchten und andere Metallarbeiten 289
- 5.4.5 Kachelöfen 302
- 5.5 Raumgestaltungen und Architektur 309
- 5.5.1 Verwendung von Farbe als Gestaltungsmittel 309
- |5.5.2 Intervention im Haus Moller von Adolf Loos und im dazugehörigen Garten 319
- 5.5.2.1 Ein neu entdeckter Möblierungsentwurf 319
- 5.5.2.2 Das Zimmer für Anny Wottitz-Moller 334
- 5.5.2.3 Das Gartenhaus 337
- 5.5.3 Wohnkonzepte auf kleinster Fläche 339
- 5.5.3.1 Einwohnräume 339
- 5.5.3.2 „Wachsende Häuser“ – Entwürfe für Kleinhauswohnbauten in Palästina 362
- 5.5.4 Fulminanter Höhe- und Endpunkt – Das Gästehaus Auersperg-Hériot 379
- 5.6 Epilog: Sozialer Anspruch oder Zeitgeist? – Eine kritische Bewertung 411
- 6 Resümee und Ausblick 417
- 7 Anhang 425
- 7.1 Quellentexte 425
- 7.2 Biografie Friedl Dicker / Franz Singer 428
- 7.3 Archive und Sammlungen 431
- 7.4 Literatur 436
- 7.5 Webseiten 473
- 7.6 Bildnachweis 477
- 7.7 Abkürzungen 480
- 7.8 Abstract 481
- 7.9 Register 482