Seite - 385 - in Bauhaus in Wien? - Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
Bild der Seite - 385 -
Text der Seite - 385 -
Raumgestaltungen und Architektur 385
und einer Kiesschüttung. Die Wände wurden mit Hohlsteinen aus Kieselgurbeton507
aufgemauert und mit Putz sowie Monolith508 verkleidet.509
Der Grundriss des Obergeschosses zeigt insgesamt 13 abgeschlossene Räume, die
durch vor- und zurückspringende Wände miteinander verschränkt sind (Abb. 394). Das
Ineinanderschachteln bietet zwar eine Auflockerung, negiert aber mit dem traditionellen
Aufbau aus mehreren abgeschlossenen relativ kleinen Zimmern das Prinzip des offenen
Grundrisses und knüpft damit an Bauhaus-Bauten wie das Haus Am Horn an.
Der Grundriss des Neubaus kragte über den alten Bau vor, wobei sich an der südöst-
lichen Seite die viertelkreisförmige Terrasse ausbildete. Das Dach des Baukörpers orien-
tierte sich am Grundriss des alten Gebäudes (Abb. 395). An der Rückseite des Hauses fiel
das Dach im Bereich des Wirtschaftsgangs und der kleinen Gästezimmer zur Belüftung
der Ankleideräume und des Badezimmers niedriger aus (Abb. 396). Beim Gästezimmer
II wurde das Dach in Richtung der Terrasse zu einem Vordach, da der Zimmergrundriss
hier durch eine im Viertelkreis verlaufende Glasterrassentür begrenzt wurde. Eine solche
Gestaltung war bereits beim Gartenhaus Moller 1931 verwendet worden (Abb. 335).
Dieses Wechselspiel vor- und zurückspringender, ineinandergreifender, rechteckiger und
gerundeter Bauelemente setzte sich weiter fort: Die Terrasse war durchbrochen von einem
gläsernen, zylinderförmigen Aufzug, den eine Wendeltreppe umgab und der im Ober-
geschoss in den vorderen Gang des Gebäudes hineinragte.510 Im unteren Bereich war
für den Einbau von Wendeltreppe und Lift ein Mauerstück des bestehenden Gebäudes
entfernt worden, um einen Zugang direkt vom Garten zu ermöglichen (Abb. 397–398).
Von der viertelkreisförmigen Terrasse führte eine freitragende Treppe mit halbkreisför-
miger Treppenwange auf die Dachterrasse mit einer eingebauten Laube mit wiederum
halbkreisförmigem Dach (Abb. 399).
507 Ein aus den Schalen fossiler Kieselalgen gebildetes Sedimentgestein, das als Baustoff verwendet wird.
508 Das Fabrikat Monolith ist ein Sichtestrich – ein Estrich mit geschliffener Oberfläche – aus Zement.
Siehe: Monolith 2016.
509 AGS, Baubeschreibung Atelier Franz Singer „Gästehaus Graf Hériot – Wien II. Prater“, 16.5.1934;
Brief Leopoldine Schrom an Hildegard Auersperg-Hériot, 4.5.1935. Siehe auch: Kat. Ausst. Heili-
genkreuzerhof 1988, S. 84.
510 Der Aufzug wurde ausgeführt von der „Kassen- und Aufzugsfabrik F. Wertheim & Comp.“ Siehe:
WStLA, M. Abt. 236, A16 - EZ - Reihe: Altbestand Bez. 1–9, 20: KG: Leopoldstadt, EZ: 1415,
Bescheid vom 6.6.1933.
© 2021 Böhlau Verlag | Brill Österreich GmbH
https://doi.org/10.7767/9783205213161 | CC BY-NC 4.0
Bauhaus in Wien?
Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Titel
- Bauhaus in Wien?
- Untertitel
- Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Autor
- Katharina Hövelmann
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21316-1
- Abmessungen
- 17.4 x 25.6 cm
- Seiten
- 492
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung 9
- 1.1 Ein vergessenes Kapitel Wiener Design- und Architekturgeschichte 9
- 1.2 Forschungsstand 10
- 1.3 Quellenlage 15
- 1.4 Forschungsziele und Methodik 21
- 2 Dickers und Singers künstlerische Ausbildung im Zeichen von Kunstschulreform und Lebensreformbewegung 27
- 2.1 Die Zeit in Wien 27
- 2.1.1 Herkunft und Ausbildung bis 1916 27
- 2.1.2 Kunstschule Johannes Itten und Netzwerke 1916–1919 33
- 2.2 Studienzeit am Bauhaus in Weimar 1919–1923 47
- 2.2.1 Die Wiener Gruppe um Johannes Itten 47
- 2.2.2 Unterricht 56
- 2.2.3 Erste Architekturentwürfe – Vier Einfamilienhäuser 77
- 3 Berufliche Anfänge 89
- 3.1 Aufträge für Theater in Dresden und Berlin 1921–1922 89
- 3.2 Werkstätten Bildender Kunst GmbH, Berlin 1923–1926 92
- 3.2.1 Arbeiten für Die Truppe 107
- 3.2.2 Die Auflösung 114
- 4 Die Wiener Ateliergemeinschaft 1925–1938 117
- 4.1 Die Zusammenarbeit von Dicker und Singer 1925–1931 117
- 4.2 Architekturfachkenntnis im Hintergrund – Die AteliermitarbeiterInnen 134
- 4.3 AuftraggeberInnen 140
- 4.4 Strategien der Bewerbung 147
- 4.4.1 Axonometrie und Modell 147
- 4.4.2 Fotografie 154
- 4.4.3 Publikationen 157
- 4.5 Dickers und Singers Wege ab 1933/1934 162
- 5 „Das moderne Wohnprinzip“ – Zwischen Bauhaus und Wien 173
- 5.1 Das Bauhaus als Basis 173
- 5.2 Zur Situation in Wien – Innenraumgestaltung und Architektur 175
- 5.2.1 Die Wiener Moderne um 1900 175
- 5.2.2 Wien in der Zwischenkriegszeit 177
- 5.3 Theorie und Anspruch der Ateliergemeinschaft 182
- 5.4 Einrichtungsgegenstände: Möbel, Leuchten und Kachelöfen 185
- 5.4.1 Vom Einzelstück zur Typisierung – Frühe Möbel 1925–1929 185
- 5.4.1.1 Bauhaus und De Stijl als Vorbild 185
- 5.4.1.2 Verwandelbarkeit als Prinzip 202
- 5.4.1.3 Verbindungen zum Wiener Jugendstil und Biedermeier 210
- 5.4.1.4 Zwischen sozialem und künstlerischem Anspruch: Typisierungstendenzen 216
- 5.4.1.5 Möbeltischler und Hersteller 228
- 5.4.2 Wege zur Serienfabrikation – Stahlrohr- und Sperrholzmöbel 1929–1938 230
- 5.4.2.1 Der Stahlrohrstapelstuhl von Bruno Pollak 234
- 5.4.2.2 Stahlrohrmöbelentwürfe der Ateliergemeinschaft 238
- 5.4.2.3 Hersteller und Produktionsversuche der Stahlrohrmöbel 251
- 5.4.2.4 Entwürfe für die Firma Metz & Co 253
- 5.4.2.5 Sperrholzmöbel 261
- 5.4.2.6 Produktionsversuche der Sperrholzmöbel 264
- 5.4.3 Eine Welt für Kinder – Kindermöbel und Baukastenspiele 1927–1938 266
- 5.4.4 Leuchten und andere Metallarbeiten 289
- 5.4.5 Kachelöfen 302
- 5.5 Raumgestaltungen und Architektur 309
- 5.5.1 Verwendung von Farbe als Gestaltungsmittel 309
- |5.5.2 Intervention im Haus Moller von Adolf Loos und im dazugehörigen Garten 319
- 5.5.2.1 Ein neu entdeckter Möblierungsentwurf 319
- 5.5.2.2 Das Zimmer für Anny Wottitz-Moller 334
- 5.5.2.3 Das Gartenhaus 337
- 5.5.3 Wohnkonzepte auf kleinster Fläche 339
- 5.5.3.1 Einwohnräume 339
- 5.5.3.2 „Wachsende Häuser“ – Entwürfe für Kleinhauswohnbauten in Palästina 362
- 5.5.4 Fulminanter Höhe- und Endpunkt – Das Gästehaus Auersperg-Hériot 379
- 5.6 Epilog: Sozialer Anspruch oder Zeitgeist? – Eine kritische Bewertung 411
- 6 Resümee und Ausblick 417
- 7 Anhang 425
- 7.1 Quellentexte 425
- 7.2 Biografie Friedl Dicker / Franz Singer 428
- 7.3 Archive und Sammlungen 431
- 7.4 Literatur 436
- 7.5 Webseiten 473
- 7.6 Bildnachweis 477
- 7.7 Abkürzungen 480
- 7.8 Abstract 481
- 7.9 Register 482