Seite - 418 - in Bauhaus in Wien? - Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
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418 Resümee und Ausblick
gehörten beispielsweise Naum Slutzky und Anny Wottitz, die wie Dicker und Singer
ebenfalls aus Wien stammten und Itten ans Bauhaus gefolgt waren. Aufschlussreich ist
zudem die Positionierung dieser Werkstätten, bei denen sich bereits im Titel eine künst-
lerische Ausrichtung manifestiert, die als Fortsetzung des frühen Credos des Bauhauses,
der Verbindung von Kunst und Handwerk, interpretiert werden kann. Es entstanden vor
allem Textilien, Buchbindearbeiten, Schmuck sowie Bühnenbilder und Kostüme für das
Theaterensemble Die Truppe. Ihre von Oskar Schlemmer inspirierten Kostüme für das
Stück Der Kaufmann von Venedig stießen, wie ein Blick auf die zeitgenössischen Kritiken
nahegelegt hat, allerdings auf keine große Gegenliebe. Da Die Truppe wenig rentabel war,
hatten schließlich auch die Werkstätten Bildender Kunst finanzielle Probleme, und aus
diesem Grund löste Singer sie bereits 1926 wieder auf.
1925 gründeten Dicker und Singer ihre Ateliergemeinschaft in der Wasserburgergasse
2 in Wien, in der sie sich auf den Entwurf von Möbeln, Leuchten, Kachelöfen, Textilien,
Raumgestaltungen und Bauten spezialisierten. In ihrer Heimatstadt konnten sie auf ein
breites AuftraggeberInnen-Netzwerk aus Familie und Freundeskreis zurückgreifen.
Es konnte nachgewiesen werden, dass die im Zuge der ersten, 1970 gezeigten Aus-
stellung eingeführte Bezeichnung „Atelier Singer-Dicker“ von Dicker und Singer nicht
verwendet wurde. Obgleich sie von 1925 bis 1931 eng zusammenarbeiteten, verstand
Singer Dicker vermutlich weniger als formale Partnerin, sondern vielmehr als Mitar-
beiterin der Innenraumgestaltungsprojekte. Dies verdeutlicht sowohl die Tatsache, dass
alle Raumgestaltungen und Bauten in Architekturzeitschriften unter seinem Namen pu-
bliziert wurden, als auch der von ihm auf Zeichnungen verwendete Stempel mit dem
Wortlaut „Diese Zeichnung ist mein geistiges Eigentum. [...]“. Obwohl angenommen
werden kann, dass Dickers Ideen ebenso im Bereich des Möbeldesigns eingeflossen sind,
konzentrierte sich ihr Tätigkeitsbereich vornehmlich auf Farbe, Textilien und Fotografie.
Arbeitete sie in Wien zunächst im Auftrag von Singers Schwester Frieda Stoerk, die sich
auf die Fertigung von Handtaschen spezialisiert hatte, so entwarf und fertigte sie inner-
halb der Ateliergemeinschaft Möbelbezüge, Gurtbespannungen, Vorhänge, Tagesdecken
und Wandteppiche. Zudem beschäftigte sie sich mit Retuschen der Fotos realisierter
Wohnungsprojekte. Parallel arbeitete sie auch für Textilfirmen wie die in Stuttgart an-
sässige Pausa A.G. und die Wiener Firma Spiegler & Söhne. Vertiefende Studien zu den
Textilarbeiten von Dicker, die im Rahmen dieser Arbeit nicht eingehender untersucht
werden konnten, könnten ihren Anteil in der Ateliergemeinschaft weiter präzisieren.
In der Literatur wird angegeben, dass Dicker, die um 1931 der KPÖ beitrat, aufgrund
des Vorwurfs der Passfälschung 1934 verhaftet wurde und daraufhin Österreich verließ.
Durch diesbezügliche Recherchen konnte nun nachgewiesen werden, dass sich diese An-
gabe nicht mit der historischen Faktenlage deckt und Dicker bereits am 4. November
1931 verhaftet wurde. Ihr verstärktes politisches Engagement wird neben privaten Grün-
© 2021 Böhlau Verlag | Brill Österreich GmbH
https://doi.org/10.7767/9783205213161 | CC BY-NC 4.0
Bauhaus in Wien?
Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Titel
- Bauhaus in Wien?
- Untertitel
- Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Autor
- Katharina Hövelmann
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21316-1
- Abmessungen
- 17.4 x 25.6 cm
- Seiten
- 492
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung 9
- 1.1 Ein vergessenes Kapitel Wiener Design- und Architekturgeschichte 9
- 1.2 Forschungsstand 10
- 1.3 Quellenlage 15
- 1.4 Forschungsziele und Methodik 21
- 2 Dickers und Singers künstlerische Ausbildung im Zeichen von Kunstschulreform und Lebensreformbewegung 27
- 2.1 Die Zeit in Wien 27
- 2.1.1 Herkunft und Ausbildung bis 1916 27
- 2.1.2 Kunstschule Johannes Itten und Netzwerke 1916–1919 33
- 2.2 Studienzeit am Bauhaus in Weimar 1919–1923 47
- 2.2.1 Die Wiener Gruppe um Johannes Itten 47
- 2.2.2 Unterricht 56
- 2.2.3 Erste Architekturentwürfe – Vier Einfamilienhäuser 77
- 3 Berufliche Anfänge 89
- 3.1 Aufträge für Theater in Dresden und Berlin 1921–1922 89
- 3.2 Werkstätten Bildender Kunst GmbH, Berlin 1923–1926 92
- 3.2.1 Arbeiten für Die Truppe 107
- 3.2.2 Die Auflösung 114
- 4 Die Wiener Ateliergemeinschaft 1925–1938 117
- 4.1 Die Zusammenarbeit von Dicker und Singer 1925–1931 117
- 4.2 Architekturfachkenntnis im Hintergrund – Die AteliermitarbeiterInnen 134
- 4.3 AuftraggeberInnen 140
- 4.4 Strategien der Bewerbung 147
- 4.4.1 Axonometrie und Modell 147
- 4.4.2 Fotografie 154
- 4.4.3 Publikationen 157
- 4.5 Dickers und Singers Wege ab 1933/1934 162
- 5 „Das moderne Wohnprinzip“ – Zwischen Bauhaus und Wien 173
- 5.1 Das Bauhaus als Basis 173
- 5.2 Zur Situation in Wien – Innenraumgestaltung und Architektur 175
- 5.2.1 Die Wiener Moderne um 1900 175
- 5.2.2 Wien in der Zwischenkriegszeit 177
- 5.3 Theorie und Anspruch der Ateliergemeinschaft 182
- 5.4 Einrichtungsgegenstände: Möbel, Leuchten und Kachelöfen 185
- 5.4.1 Vom Einzelstück zur Typisierung – Frühe Möbel 1925–1929 185
- 5.4.1.1 Bauhaus und De Stijl als Vorbild 185
- 5.4.1.2 Verwandelbarkeit als Prinzip 202
- 5.4.1.3 Verbindungen zum Wiener Jugendstil und Biedermeier 210
- 5.4.1.4 Zwischen sozialem und künstlerischem Anspruch: Typisierungstendenzen 216
- 5.4.1.5 Möbeltischler und Hersteller 228
- 5.4.2 Wege zur Serienfabrikation – Stahlrohr- und Sperrholzmöbel 1929–1938 230
- 5.4.2.1 Der Stahlrohrstapelstuhl von Bruno Pollak 234
- 5.4.2.2 Stahlrohrmöbelentwürfe der Ateliergemeinschaft 238
- 5.4.2.3 Hersteller und Produktionsversuche der Stahlrohrmöbel 251
- 5.4.2.4 Entwürfe für die Firma Metz & Co 253
- 5.4.2.5 Sperrholzmöbel 261
- 5.4.2.6 Produktionsversuche der Sperrholzmöbel 264
- 5.4.3 Eine Welt für Kinder – Kindermöbel und Baukastenspiele 1927–1938 266
- 5.4.4 Leuchten und andere Metallarbeiten 289
- 5.4.5 Kachelöfen 302
- 5.5 Raumgestaltungen und Architektur 309
- 5.5.1 Verwendung von Farbe als Gestaltungsmittel 309
- |5.5.2 Intervention im Haus Moller von Adolf Loos und im dazugehörigen Garten 319
- 5.5.2.1 Ein neu entdeckter Möblierungsentwurf 319
- 5.5.2.2 Das Zimmer für Anny Wottitz-Moller 334
- 5.5.2.3 Das Gartenhaus 337
- 5.5.3 Wohnkonzepte auf kleinster Fläche 339
- 5.5.3.1 Einwohnräume 339
- 5.5.3.2 „Wachsende Häuser“ – Entwürfe für Kleinhauswohnbauten in Palästina 362
- 5.5.4 Fulminanter Höhe- und Endpunkt – Das Gästehaus Auersperg-Hériot 379
- 5.6 Epilog: Sozialer Anspruch oder Zeitgeist? – Eine kritische Bewertung 411
- 6 Resümee und Ausblick 417
- 7 Anhang 425
- 7.1 Quellentexte 425
- 7.2 Biografie Friedl Dicker / Franz Singer 428
- 7.3 Archive und Sammlungen 431
- 7.4 Literatur 436
- 7.5 Webseiten 473
- 7.6 Bildnachweis 477
- 7.7 Abkürzungen 480
- 7.8 Abstract 481
- 7.9 Register 482