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Resümee und
Ausblick420
man Moser feststellen. Insbesondere die bis 1929 ausgeführten würfelförmigen Sitzmö-
bel weisen bemerkenswerte Übereinstimmungen auf.
Mit der Multifunktionalität der Möbel sollte der herrschenden Raumknappheit be-
gegnet werden. Hiermit wurde das Problemfeld von ArchitektInnen der Zwischenkriegs-
zeit aufgegriffen.
Obgleich man seit 1927 einzelne Typen wie das „Diwanbett“ oder den „Kistenkasten“
entwickelte, lassen erst die Möbel auf der von Dezember 1929 bis Januar 1930 gezeig-
ten Ausstellung „Wiener Raumkünstler“ eine verstärkte Hinwendung zur Typisierung
erkennen. Zudem trat die Verwendung von Stahlrohr in den Vordergrund. In Wien, wo
nur wenige MöbelentwerferInnen mit Stahlrohr experimentierten, zeigt dieses Vorge-
hen wiederum eine Orientierung an den fortschreitenden Entwicklungen am Bauhaus.
Die einzelnen Möbeltypen weisen allerdings neben den Parallelen zum Bauhaus auch
Ähnlichkeiten zu Entwürfen von ArchitektInnen der Zwischenkriegszeit wie Margarete
Schütte-Lihotzky, Anton Brenner, Ferdinand Kramer und Franz Schuster auf, die ans
Frankfurter Stadtbauamt berufen wurden. Dass in der Ateliergemeinschaft die Entwürfe
jener EntwerferInnen studiert wurden, verdeutlicht das im Nachlass erhaltene Heft 5 der
Monatsschrift Das Neue Frankfurt, in dem Schütte-Lihotzkys Frankfurter Küche abge-
druckt ist. Darüber hinaus besaß Friedl Dicker Le Corbusiers L’art décoratif (1925) und
Franz Singer J. J. P. Ouds Holländische Architektur aus der Reihe der Bauhausbücher,
womit einmal mehr bewiesen ist, dass sie die aktuellen europäischen Entwicklungen auf
dem Gebiet der Innenraumgestaltung und Architektur interessiert verfolgten.
Im Bereich des Möbeldesigns nehmen die Kindermöbel und Baukastenspiele eine
wichtige Position ein, mit dem sich der pädagogische Gedanke verbindet, einen Beitrag
für die Erziehung des „Neuen Menschen“ zu leisten. Die Kindermöbel waren ebenfalls
auf Multifunktionalität ausgelegt, wobei sich insbesondere Analogien zu den wegweisen-
den Möbeln der Bauhaus-Schülerin Alma Buscher feststellen lassen. Der „Phantasus“-
Baukasten sollte Kindern durch das Zusammensetzen von Figuren aus einfachen geo-
metrischen Bausteinen die wesentlichen Ausdrucksformen moderner Kunstanschauung
begreifbar machen und der Baukasten „Möbelspiel“ und das „Sunplayhouse“ orientier-
ten sich an der Montessori-Pädagogik, die Kinder dazu anregen sollte, eigenständig all-
tägliche Aufgaben zu verrichten.
Dickers und Singers individuelle Handschrift zeichnet sich dadurch aus, dass sie die
Variabilität zum Credo ihrer Möbel erhoben. Dieses Merkmal lässt neben der sozialen
Komponente einerseits Verbindungen zum Bauhaus und andererseits zu russischen
KünstlerInnen des Konstruktivismus erkennen, die kinetische Aspekte ihrer Kunstwerke
auf Möbel übertrugen. Zudem scheint das Motiv der Veränderbarkeit auch aus der an-
fangs beruflich verfolgten Theaterarbeit inspiriert. Die Rezipienten wurden durch die
Schiebe-, Klapp- und Stapelmechanismen der Möbel und Raumgestaltungen aktiv in die
© 2021 Böhlau Verlag | Brill Österreich GmbH
https://doi.org/10.7767/9783205213161 | CC BY-NC 4.0
Bauhaus in Wien?
Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Titel
- Bauhaus in Wien?
- Untertitel
- Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Autor
- Katharina Hövelmann
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21316-1
- Abmessungen
- 17.4 x 25.6 cm
- Seiten
- 492
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung 9
- 1.1 Ein vergessenes Kapitel Wiener Design- und Architekturgeschichte 9
- 1.2 Forschungsstand 10
- 1.3 Quellenlage 15
- 1.4 Forschungsziele und Methodik 21
- 2 Dickers und Singers künstlerische Ausbildung im Zeichen von Kunstschulreform und Lebensreformbewegung 27
- 2.1 Die Zeit in Wien 27
- 2.1.1 Herkunft und Ausbildung bis 1916 27
- 2.1.2 Kunstschule Johannes Itten und Netzwerke 1916–1919 33
- 2.2 Studienzeit am Bauhaus in Weimar 1919–1923 47
- 2.2.1 Die Wiener Gruppe um Johannes Itten 47
- 2.2.2 Unterricht 56
- 2.2.3 Erste Architekturentwürfe – Vier Einfamilienhäuser 77
- 3 Berufliche Anfänge 89
- 3.1 Aufträge für Theater in Dresden und Berlin 1921–1922 89
- 3.2 Werkstätten Bildender Kunst GmbH, Berlin 1923–1926 92
- 3.2.1 Arbeiten für Die Truppe 107
- 3.2.2 Die Auflösung 114
- 4 Die Wiener Ateliergemeinschaft 1925–1938 117
- 4.1 Die Zusammenarbeit von Dicker und Singer 1925–1931 117
- 4.2 Architekturfachkenntnis im Hintergrund – Die AteliermitarbeiterInnen 134
- 4.3 AuftraggeberInnen 140
- 4.4 Strategien der Bewerbung 147
- 4.4.1 Axonometrie und Modell 147
- 4.4.2 Fotografie 154
- 4.4.3 Publikationen 157
- 4.5 Dickers und Singers Wege ab 1933/1934 162
- 5 „Das moderne Wohnprinzip“ – Zwischen Bauhaus und Wien 173
- 5.1 Das Bauhaus als Basis 173
- 5.2 Zur Situation in Wien – Innenraumgestaltung und Architektur 175
- 5.2.1 Die Wiener Moderne um 1900 175
- 5.2.2 Wien in der Zwischenkriegszeit 177
- 5.3 Theorie und Anspruch der Ateliergemeinschaft 182
- 5.4 Einrichtungsgegenstände: Möbel, Leuchten und Kachelöfen 185
- 5.4.1 Vom Einzelstück zur Typisierung – Frühe Möbel 1925–1929 185
- 5.4.1.1 Bauhaus und De Stijl als Vorbild 185
- 5.4.1.2 Verwandelbarkeit als Prinzip 202
- 5.4.1.3 Verbindungen zum Wiener Jugendstil und Biedermeier 210
- 5.4.1.4 Zwischen sozialem und künstlerischem Anspruch: Typisierungstendenzen 216
- 5.4.1.5 Möbeltischler und Hersteller 228
- 5.4.2 Wege zur Serienfabrikation – Stahlrohr- und Sperrholzmöbel 1929–1938 230
- 5.4.2.1 Der Stahlrohrstapelstuhl von Bruno Pollak 234
- 5.4.2.2 Stahlrohrmöbelentwürfe der Ateliergemeinschaft 238
- 5.4.2.3 Hersteller und Produktionsversuche der Stahlrohrmöbel 251
- 5.4.2.4 Entwürfe für die Firma Metz & Co 253
- 5.4.2.5 Sperrholzmöbel 261
- 5.4.2.6 Produktionsversuche der Sperrholzmöbel 264
- 5.4.3 Eine Welt für Kinder – Kindermöbel und Baukastenspiele 1927–1938 266
- 5.4.4 Leuchten und andere Metallarbeiten 289
- 5.4.5 Kachelöfen 302
- 5.5 Raumgestaltungen und Architektur 309
- 5.5.1 Verwendung von Farbe als Gestaltungsmittel 309
- |5.5.2 Intervention im Haus Moller von Adolf Loos und im dazugehörigen Garten 319
- 5.5.2.1 Ein neu entdeckter Möblierungsentwurf 319
- 5.5.2.2 Das Zimmer für Anny Wottitz-Moller 334
- 5.5.2.3 Das Gartenhaus 337
- 5.5.3 Wohnkonzepte auf kleinster Fläche 339
- 5.5.3.1 Einwohnräume 339
- 5.5.3.2 „Wachsende Häuser“ – Entwürfe für Kleinhauswohnbauten in Palästina 362
- 5.5.4 Fulminanter Höhe- und Endpunkt – Das Gästehaus Auersperg-Hériot 379
- 5.6 Epilog: Sozialer Anspruch oder Zeitgeist? – Eine kritische Bewertung 411
- 6 Resümee und Ausblick 417
- 7 Anhang 425
- 7.1 Quellentexte 425
- 7.2 Biografie Friedl Dicker / Franz Singer 428
- 7.3 Archive und Sammlungen 431
- 7.4 Literatur 436
- 7.5 Webseiten 473
- 7.6 Bildnachweis 477
- 7.7 Abkürzungen 480
- 7.8 Abstract 481
- 7.9 Register 482