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50 | Humanismus und Renaissance aus epigraphischer Sicht
Briefe kennen; der überwiegende Teil wurde gemäß der communis opinio 1514 durch
den Brand der Sforza-Bibliothek in Pesaro vernichtet.157 Dennoch können wir uns
von Arbeitsumfang und Arbeitsweise dieses bemerkenswerten Humanisten ein
gutes Bild machen: Seine Aufzeichnungen sind bereits sehr früh von einer großen
Zahl an Nachahmern benutzt worden. Calabi Limentani meint in diesem Zusam-
menhang, Ciriaco habe durch seine commentarii eine neues genus der Literatur ge-
schaffen, nämlich den Typus der epigraphisch-antiquarischen Handschrift158. Diese
Feststellung ist meines Erachtens nicht ganz exakt, denn die zahlreichen Humanis-
ten, die seine Sammlungen benutzt haben, exzerpierten daraus nämlich nur die
Inschriften, denen gerade noch die Ortsangaben – worin sich Ciriaco als sehr zuver-
lässig erwies159 – hinzugefügt wurden. Das übrige Beiwerk (halbgelehrte und oft
wertlose Kommentare) wurde von den späteren Antiquaren beiseite gelassen. Ott
sieht in dieser Vorgangsweise nicht ganz unbegründet die Anpassung an den for-
malen Rahmen einer humanistischen Inschriftensylloge.160
Wie aus den ursprünglich wortreichen Aufzeichnungen von Ciriaco mehr oder
minder reine Inschriftensammlungen wurden, lässt sich anhand einiger dalmatini-
scher Denkmäler zeigen. Durch einen glücklichen Umstand blieben sowohl jener Teil
der commentarii erhalten, der sich auf die betreffende Reise des Anconitaners in den
Jahren 1435/36 bezieht161, als auch die Exzerpte daraus: Neben anderen benutzte
nämlich auch der für Noricum überaus wichtige Augustinus Tyfernus den betreffen-
den Teil von Ciriacos Werk; seine Abschrift blieb auf fol. 9r–19r der Wiener Hand-
schrift CVP 3492 erhalten.162
Wahrscheinlich gelangte Augustinus zu diesem Teil der Ciriaco-Sammlung über Fra
Giovanni Giocondo (Ioannes Iucundus) aus Verona.163 Dieser steht wiederum formal
deutlich unter dem Einfluss Poggios bzw. der Sylloge Signoriliana und ist für Ott
damit repräsentativ für die italienische Tradition der Inschriftensammlung164, die –
wie erwähnt – aus einer starren Abfolge von Ortsangaben (Minuskeln) und Inschrift-
texten (Majuskeln) besteht.
Poggios Sylloge, die Ott immer wieder deutlich hervorhebt, und die Sylloge Signori-
liana sind zweifellos formal prägend geworden. Für die Nachwelt jedoch nicht
157 Kritisch dazu Margherita Guarducci, Epigraphia greca I, Roma 1967, 30, Anm. 1.
158 Calabi Limentani, Epigrafia Latina 43.
159 Vgl. CIL III, S. XXIII.
160 Ott, Entdeckung des Altertums 158–159.
161 Die einzige vollständige Textausgabe (nach einer heute verlorenen Handschrift) stammt von Carlo
Moroni: Epigrammata reperta per Illyricum a Cyriaco Anconitano apud Luburniam (Roma, um 1660).
Vgl. ferner John J. Wilkes, The Manuscript Tradition of Dalmatinian Inscriptions: Cyriac of Ancona and
After, in: Michael H. Crawford, Antonio Agustín Between Renaissance and Counter-Reform. Papers of
the Colloquium, London 1990 (Warburg Institute Surveys and Texts 24), London 1993, 81–93.
162 Allerdings ist gerade dieser Teil des Manuskripts nach Mommsens Urteil „tam corruptus confusus-
que“ (CIL III, S. 93b), dass er für die Publikation der betreffenden Inschriften im CIL V weitgehend
beiseite gelassen wurde (vgl. Kap. 4.3).
163 Zu Giocondo siehe v. a. Kap. 4.3 und 6.1.
164 Ott, Römische Inschriften 217.
Der sogenannte Antiquus Austriacus und weitere auctores antiquissimi
Zur ältesten Überlieferung römerzeitlicher Inschriften im österreichischen Raum
- Title
- Der sogenannte Antiquus Austriacus und weitere auctores antiquissimi
- Subtitle
- Zur ältesten Überlieferung römerzeitlicher Inschriften im österreichischen Raum
- Author
- Doris Marth
- Publisher
- Holzhausen Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-902976-43-7
- Size
- 21.4 x 30.2 cm
- Pages
- 572
- Keywords
- Antiquus Austriacus, Austria, Epigraphy, Humanism, Inscriptions, Manuscript Tradition, Roman Period, Antiquus Austriacus, Epigraphik, Humanismus, Inschriften, Österreich, Römerzeit, Überlieferung
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- 1 Zur historischen Entwicklung der Überlieferung lateinischer, insbesondere norischer Inschriften von den Anfängen bis zum Ende des 14. Jahrhunderts 19
- 1.1 Anfänge und Vorstufen der Überlieferung lateinischer Inschriften 19
- 1.2 Anfänge und Vorstufen der Überlieferung norischer Inschriften 23
- 1.3 Berchtold von Kremsmünster und die älteste Abschrift einer norischen Inschrift 26
- 1.4 Die Inschrift CIL III 5630 im Codex membraneus LIV des Stiftes Lambach 36
- 2 Neue Impulse aus Italien: Humanismus und Renaissance als „Geburtsphase“ der lateinischen Epigraphik 40
- 3 Die Ausbreitung und Etablierung humanistischen Gedankengutes im Ostalpenraum aus epigraphischer Sicht 56
- 4 Augustinus Prygl Tyfernus und die norischen Inschriften 99
- 5 Der sogenannte Antiquus Austriacus: Mommsens Pseudonym für den Verfasser der ältesten Sammlung norischer Inschriften 139
- 6 Die Wiener Handschrift CVP 3255* 147
- 7 Der Codex Pragensis XIII G 14 der Národní Knihovna, Prag 162
- 7.1 Das Verhältnis zwischen CP XIII G 14 und CVP 3255*: Eine Inschriftensammlung und ihr Register 170
- 7.2 Folgen aus dem Zusammenhang CVP 3255* – CP XIII G 14 174
- 7.3 Johannes Fuchsmagen und der CP XIII G 14 182
- 7.4 Zur Frage nach den Quellen für den CP XIII G 14 198
- 7.5 Codex Pragensis XIII G 14: Zusammenfassung der bisherigen Ergebnisse und Gesamtbetrachtung 221
- 8 Konrad Peutinger und die norischen Inschriften 228
- 8.1 Peutingers handschriftliche Inschriftensammlungen 230
- 8.2 Johannes Fuchsmagen als Peutingers Gewährsmann 244
- 8.3 Die „Antiquus-Austriacus-Inschriften“ und die Inschriften von Augustinus Prygl Tyfernus in Peutingers 2° Cod. H 24 246
- 8.4 Zusammenfassung: Der Wert von Peutingers Handschriften für die Überlieferung norischer Inschriften 264
- 9 Johannes Choler und seine Inschriftensammlung 265
- 10 Die „Inscriptiones Sacrosanctae Vetustatis“ von Petrus Apianus und Bartholomaeus Amantius 295
- 10.1 Zur Intention und Gliederung des Werkes sowie zur Nennung seiner Quellen 300
- 10.2 Johannes Choler und die Inscriptiones sacrosanctae vetustatis 301
- 10.3 Die Inschriftensammlungen von Konrad Peutinger und Augustinus Prygl Tyfernus – Quelle für die Inscriptiones sacrosanctae vetustatis? 302
- 10.4 Johannes Aventinus als Quelle für die Inscriptiones sacrosanctae vetustatis 304
- 10.5 Der Codex Pragensis XIII G 14 und sein Verhältnis zu den Inscriptiones sacrosanctae vetustatis 305
- 10.5.1 Das Verzeichnis epigraphischer Abkürzungen im CP XIII G 14 und bei Apianus/Amantius 307
- 10.5.2 Der CP XIII G 14 als Quelle für norische (und oberpannonische) Inschriften bei Apianus/Amantius 311
- 10.5.3 Konsequenzen aus dem unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem CP XIII G 14 und den Inscriptiones sacrosanctae vetustatis 330
- 10.6 Parallel verwendete Quellen und mehrfach überlieferte Inschriften bei Apianus/Amantius 337
- 10.7 Zusammenfassende Betrachtungen zur Arbeitsweise von Apianus/ Amantius und Gesamtbewertung der Inscriptiones sacrosanctae vetustatis 345
- 11 Johannes Fuchsmagen und seine epigraphische Sammeltätigkeit 347
- 12 Anhang: Tabellen zur Überlieferung norischer und oberpannonischer Inschriften 376
- Einleitende Bemerkungen und Hinweise zur Benützung 376
- Tab. 12.1: Inschriften bei Paolo Santonino, Cod. Vat. Lat. 3795 379
- Tab. 12.2: Inschriften, die von Augustinus Tyfernus und vom sogenannten Antiquus Austriacus überliefert werden 380
- Tab. 12.3: Im CVP 3255* und CP XIII G 14 enthaltene Inschriften 386
- Tab. 12.4: Inschriften in den Codices von Augustinus Tyfernus im Vergleich mit dem CP XIII G 14 395
- Tab. 12.5: Inschriften-Erstbelege bei „Antiquus Austriacus“, Augustinus Tyfernus und im CP XIII G 14 415
- Tab. 12.6: Inschriften im 4° Cod. H 26 der SuStBA („Picturae“) im Vergleich mit dem CP XIII G 14 425
- Tab. 12.7: Inschriften in Peutingers 2° Cod. H 23 im Vergleich mit dem CP XIII G 14 427
- Tab. 12.8: Inschriften in Peutingers 2° Cod. H 24 im Vergleich mit dem CP XIII G 14 428
- Tab. 12.9: Inschriften in Cholers CLM 394 im Vergleich mit Peutingers 2° Cod. H 24 und CP XIII G 14 437
- Tab. 12.10: Inschriften bei Apianus/Amantius im Vergleich mit Augustinus Tyfernus und Peutingers 2° Cod. H 24 443
- Tab. 12.11: Inschriften bei Apianus/Amantius im Vergleich mit dem CP XIII G 14 475
- Tab. 12.12: „Antiquus-Austriacus-Inschriften“ bei Peutinger, Choler, CP XIII G 14/Fuchsmagen und Apianus/Amantius 490
- Abkürzungs- und Siglenverzeichnis 503
- Quellen- und Literaturverzeichnis 508
- Abbildungsnachweis 539
- Indices 542
- Inschriftenindex 542
- Orts- und Personenindex 548