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Geschichte Wiens184, dessen Titelblatt mit der Darstellung
Odoaker vor Severin illustriert ist. In Ziskas Geschichte der
Stadt Wien werden mehrere, teilweise auch legendenhafte
Ereignisse aus dem Leben des hl. Severin erzählt,
darun-ter
die Begegnung mit Odoaker.185
Die Kleidung der Figuren in Kupelwiesers Darstellung
entspricht genau den Beschreibungen, wie sie in
zeitge-nössischen
historischen Werken zu finden sind. Severin
war „in grobes Tuch gehüllt und immer barfuss“186,
dem-gemäß
trägt er im Bild eine einfache Kutte und keine
Schuhe; Odoaker hat, wie alle Geschichtsschreiber
beto-nen,
Tierfelle übergeworfen. Während die Darstellung
Severins getreu einer langen Bildtradition folgt,
unter-scheidet
sich die Darstellung Odoakers und seiner
Krie-ger
deutlich von anderen zeitgenössischen Auffassungen.
In Kupelwiesers Gemälde lenken keine exotischen Details
in Haartracht, Kleidung und Waffen vom eigentlichen
Bildgegenstand ab, dessen Inhalt allein durch
Körperhal-tung,
Gestik und Gesichtsausdruck transportiert wird.
Während die meisten Künstler die Begegnung Odoakers
mit Severin gemäß den Beschreibungen in der
zeitgenös-sischen
Geschichtsschreibung in einem niedrigen,
dunk-len
Raum stattfinden lassen, den Odoaker nur gebückt
furcht vor dem Heiligen und seiner Fügung in das ihm
prophezeite Schicksal; der Fürst wird nicht durch seine
Heldentaten charakterisiert, sondern durch versunkenes
Nachsinnen über
dieselben.179In
der Studie180 zur Figur Odoakers (Abb. 82) ist diese
in sich gekehrte Reflexion durch das demütig gesenkte
Haupt des Herulers noch stärker verdeutlicht als im
aus-geführten
Gemälde, in dem Odoaker dem Heiligen
auf-recht
mit erhobenen Kopf gegenübersteht.
Zur Darstellung des Themas in der Geschichts
literatur des frühen 19. Jahrhunderts
Die dargestellte Szene wird in der Geschichtsliteratur des
frühen 19. Jahrhunderts weitgehend übereinstimmend
beschrieben.181
„Der Heilige, mit silberweißen Haaren und langem Barte,
der bis zum Gürtel hinabhing, kniete soeben in seiner Zelle,
die so niedrig war, dass der hohe schlanke Jüngling nicht
einmal darin aufrecht stehen konnte. Diesem kühnen Erobe
rer, der auf gefahrvolle Abenteuer nach Italien zog, sagte
jetzt Severin den glücklichen Erfolg seines Unternehmens in
dem sinkenden Italien, und die baldige Eroberung dieses
Landes vorher, indem er zu ihm die inhaltsschweren Worte
sprach: ,Ziehe hin in deinen armseligen Thierfellen, Italien
tauscht sie dir für köstlichen Schmuck, und vielen magst du
dann große Gaben spenden.‘ Und genau ging in Erfüllung,
was der Heilige gesagt hatte.“182
Hormayr erwähnt die Begebenheit in seinem Taschen
buch für Vaterländische Geschichte183 und widmet dem
Heiligen und Odoaker das gesamte 3. Heft seiner
Abb. 69: Detail aus einem Blatt mit Skizzen zu Wand- und
Deckengemälden: Entwurf zu dem Gemälde „Odoaker vor dem
hl. Severin“ (zwei Skizzen); Bleistift, geripptes Papier, gesamt
240 x 340 mm; Universität Graz, Institut für Kunstgeschichte. Abb. 70: Detail aus dem zweiten Gesamtentwurf für Wand-
und Decken gemälde: Bildfeld „Öst: Apostel St. Severin.
Erste Bildung. 470“; Bleistift, geripptes Papier, gesamt
418 x 569 mm; Nö. Landesmuseum, Inv. Nr. 7000/348.
179 Zur „Handlungshemmung des Helden“ vgl.: Busch (1990) p.
63ff.180
Niederösterreichisches Landesmuseum, Inv. Nr.
7000/884.181
Die Literatur stützte sich dabei ausschließlich auf die von
Eugip-pius
im 5. Jahrhundert verfasste Lebensbeschreibung Vita Sancti
Severini.182
Ziegler (1843 – 1849) Bd. 1, p.
267.183
Hormayr (1811 – 1854) 4. Jg. (1814) p.
267.184
Hormayr (1823 – 1825) Bd. 1, Heft 3, p. 56 –
74.185
Ziska (1847) p. 29 –
31.186
Ziegler (1843 – 1849) Bd. 1, p. 267.
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Das zusammengedrängte Gedenken
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Das zusammengedrängte Gedenken
- Author
- Sigrid Eyb-Green
- Publisher
- Bibliothek der Provinz
- Location
- Weitra
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-99028-075-1
- Size
- 24.0 x 27.0 cm
- Pages
- 312
- Keywords
- Leopold Kupelwieser, Freskenzyklus, Geschichtsdarstellung, 19. Jahrhundert, Werkprozess, Karton, Fresko, Papier, Wien
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Einleitung 13
- Zur Baugeschichte der Niederösterreichischen Statthalterei 15
- Die Genese des Bildprogramms 19
- Erster Programmentwurf 19
- Der zweite Gesamtentwurf 35
- Zweiter und dritter Programmentwurf 39
- Die Aquarellentwürfe 40
- Der Freskenzyklus Einleitung und Überblick 43
- Zu den schriftlichen und bildlichen Quellen Leopold Kupelwiesers 45
- Die einzelnen Bildfelder: Bezüge, Quellen, Intentionen 47
- Die gekrönte Austria 47
- Odoakervor dem heiligen Severin (465 – 470) 56
- LeopoldI. stürmt Melk (984) 63
- Die drei Erbauer der St. Stephanskirche 68
- Die Gründung der Universität Wien durch Rudolf IV. (1364) 77
- Kaiser Marc Aurel: Markomannenschlacht und Tod 81
- Zug Karls des Großen gegen die Hunnawaren 85
- Leopold erhält von Otto II. die Ostmark zum Lehen 90
- Rudolf I. verleiht die Lehen an Albrecht I 95
- Das öffentliche Gericht zu Tulln (1200) 100
- Ferdinand I. setzt 1540 die niederösterreichische Regierung ein 109
- Die Türkenkriege der Jahre 1529, 1683 und 1697 116
- Die Aufgebote von 1797 125
- Erzherzog Karl in der Schlacht von Aspern 132
- Der Kongress zu Wien 1814 137
- Einleitungzu den Herrscherporträts 143
- Rudolf I 144
- MariaTheresia 148
- Maximilian I 151
- Joseph II 154
- Albrecht II 156
- Ferdinand II 158
- Ferdinand I. der Gütige 161
- Franz Joseph I 164
- Rezensionen 166
- Fresko und Karton als Formen öffentlicher Kunst Das Fresko: zur Konstruktion eines Gattungsbegriffs 167
- Die Praxis nazarenischer Wandmalerei in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Technik und Stil 168
- Öffentliche Kunst im Spannungsfeld zwischen Auftraggeber und Publikum 174
- Formen der Öffentlichkeit: Leopold Kupelwieser und die Situation der Geschichtsmalerei in Österreich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts 175
- Leopold Kupelwiesers Statthalterei-Zyklus und Entwurf einer Geschichtshalle: österreichische Identitäten und ihre Inszenierungen 188
- Zum Problem der „geschichtlichen Wahrheit“ in der Geschichtsmalerei 199
- Kupelwiesers Statthalterei-Kartons im Kontext nazarenischer Kartonkunst: „Vom Wesen des Kunstwerks“ 201
- Materialtechnologische Aspekte Der Arbeitsprozess im Überblick: Kartonzeichnungen, Probetafeln und Freskoarbeiten 215
- Zur Herstellung der Kartons 220
- Die Kartons zu den fünf Hauptgemälden der Decke 220
- Fünf Kartons zu Herrscherporträts: Rudolf I., Maximilian I., Ferdinand II., Maria Theresia und Joseph II 224
- Die Kartons zu den Allegorien 225
- Die Kartons zu den historischen Gemälden an den Wänden 231
- Die Kartons zu den beiden Friesen 234
- Die weitere Verwendung von neun Kartons als Deckenbilder im Palais Questenberg-Kaunitz 235
- Die Präsentation der Kartons an der Decke des Palais Questenberg-Kaunitz Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1940 244
- Übergabe aller Kartons 249
- Zur Aufbewahrung jener Kartons, die nicht im Palais Questenberg-Kaunitz präsentiert wurden 249
- Ausstellungen der Kartons 252
- Herstellung und Verwendung von Kartons für Wand- und Deckengemälde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Beispiele und Quellenliteratur 257
- Die Papierbahn 257
- Die Zeichnung 260
- Die Fixierung 263
- Die Übertragung an die Wand 265
- Die Fresko-Probetafeln 267
- Kupelwiesers Palette und Maltechnik 270
- Kupelwiesers Papiere: Ein Überblick über die Papierproduktion in der Habsburgermonarchie um 1850 273
- Die Papiere für Skizzen und Vorstudien 273
- Transparentpapiere 276
- Papiere für die Kartons 279
- Anhang: Programmentwürfe und Korrespondenzen Nö. Landesarchiv, Varia 8/1a: Programmentwurf I 294
- Nö. Landesarchiv, Varia 8/1b: Programmentwurf II 296
- Nö. Landesarchiv, Varia 8/1c: Programmentwurf III 297
- Nö. Landesarchiv, Varia 8: Schreiben von Leopold Kupelwieser an Freiherrn Kübeck von Kübau 297
- Nö.Landesarchiv, Varia 8: Anweisung Kübeck von Kübaus an Freiherrn Talatzko von Gestiecek 298
- Literaturverzeichnis 301
- Quellenverzeichnis 305
- Personenregister 306