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Kunst und Kultur
Das zusammengedrängte Gedenken
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75 dom nur 1883 vollendet dasteht, mit dem Doppelthurme, emporleuchtet über das glückliche fröhliche Wien zur Ver­ herrlichung seines Jubiläums, dass 200 Jahre früher, 1683, Wien und Deutschland für immer befreit wurden von den Türken! Werde der Doppelthurm ein glücklich vorbedeutend Zeichen, dass mit doppelter Kraft, Wien und Österreich ste­ hen für Deutschland gegen jede Gefahr aus Osten, der Dop­ pelthurm, ein neues Wahrzeichen der ruhmgekrönten Ost­ mark, Österreich!“261Der Wunsch, sich an dem großen Werk zu beteiligen, ist Ausdruck einer Sehnsucht nach der Rückversicherung durch Tradition, der Versuch einer Teilnahme an einer als ideal empfundenen Vergangenheit und zugleich deren Vergegenwärtigung. Durch, dem historischen Verständnis entsprechendes, Beseitigen und Hinzufügen von archi-tektonischen Elementen entsteht ein fiktiver vollendeter Zustand, eine monumentale Bestätigung der Verbunden-heit mit der eigenen – selektierten und konstruierten – Geschichte. Dass es – anders als in Köln, Regensburg oder Ulm – nie zu einer Vollendung des Nordturms kam, lässt sich durch die spezifischen politischen Umstände erklären: Wurde die Gotik in Deutschland als Symbol einer ethnisch und kulturell homogenen Nation verstan-den, stand der Vielvölkerstaat der Habsburgermonarchie einer derartigen nationalen Begeisterung für das „deut-sche“ Mittelalter mit Misstrauen gegenüber. Dass Leopold Kupelwieser das Motiv des Stephans-doms – nicht als „abgeschlossenes“ Bauwerk, sondern seine Baugeschichte hervorhebend – in seinen Zyklus integrierte, verwundert nach den zuvor angestellten Überlegungen zur Bedeutung des Baus im 19. Jahrhun-dert nicht. Weiters ist es naheliegend, dass er an den durch seinen guten Freund Carl Roesner und seinen Kollegen Paul Sprenger ausgeführten Restaurierungs-arbeiten am Stephansdom regen Anteil nahm und wohl auch deren Nachforschungen zur Baugeschichte des Doms mit Interesse verfolgte. Bauschäden umfangreiche Restaurierungsarbeiten am Südturm des Stephansdomes notwendig. Nach einer Untersuchung und Bauaufnahme 1839/40 durch Carl Roesner und Josph Baumgartner wurde die obere Turm-pyramide abgetragen.256 Der Architekt Paul Sprenger ließ, die alte Bauhüttentradition aufgebend, die Turmspitze mit einer neu eingebrachten Stahlkonstruktion stützen. Diese Arbeiten wurden von der Öffentlichkeit mit großem Interesse verfolgt; ein Aquarell von Rudolf von Alt und die frühe Daguerrotypie von Leopold Oescher (?) zeigen die eingerüstete Turmspitze.257 In unmittelbarem Zusammen-hang mit diesen Eingriffen ist auch die Forderung nach der Fertigstellung des zweiten Turmes zu sehen. Um 1844 wurde der Bildhauer Joseph Baumgartner beauftragt, ein Konzept zur „Vollendung“ des Doms zu erstellen, das den Ausbau der sieben Langhausgiebel, den Umbau der West-fassade im gotischen Stil und den Ausbau des Nordturms beinhaltete.258 Carl Roesner und Carl Riwnatz schufen dazu Entwürfe für gotische Altäre. Diese Sehnsucht nach einer umfassenden „Vollen-dung“ entsprang der Vorstellung, „mit Mitteln der Denk­ malpflege Vergangenheit weithin sichtbar zu machen“259, sie war die Konsequenz einer romantischen Mittelalter-Rezeption und der Vorstellung eines ursprünglich gewoll­ ten Zustandes. „Soll […] der Wiener an seinem wunderherrlichen Stephans­ dome vorübergehen, ohne an Vollendung des Meisterwerkes zu denken?“260 Die Bedeutungsaufladung, die der Stephansdom dabei vor allem in Zusammenhang mit der Türkenbelagerung erfuhr, und seine symbolische Überhöhung zum die Völ-ker des Abendlandes verbindenden Monument von Glau-ben und Freiheit kommen in diesem Text deutlich zum Ausdruck: „[…] aber was sind 4 Millionen – für Wien? nein für Deutschland! Haben nicht an Wiens Mauern zweimal die Kräfte der Türken gebrochen? Wäre St. Stefan gefallen in Trümmer, wäre nicht vielleicht halb Deutschland geworden, was Ungarn 300 Jahre lang war […]? Gibt es einen deut­ schen Stamm, der nicht seine Söhne gesendet zum Entsatz des heldenmuthigen Wien? Reichten nicht die Böhmen, Polen, Italiener und selbst Spanier sich brüderlich die Hände zu dem wichtigen Werke? Wohlan, diese Völker werden gerne ein Schärflein beitragen zur Vollendung des Wiener Domes, als einem Monumente für ihre Brüder, die einst zu seiner Vertheidigung fielen, weil sie in ihm das Bollwerk ihres eige­ nen Glaubens, eigener Ehre und Freiheit vertheidigten! […] 1844 werden es 700 Jahre, seit Heinrich Jasomirgott den Bau begann, gäbe es ein herrlicheres Jubiläum, als den Stein zur ersten Vollendung seines Riesenwerkes zu legen? Und sollten auch 40 Jahre über dem Werke vergehen, wenn der Stefans­ 256 Siehe auch: Kassal-Mikula (1997) p. 400.257 Abbildungen 4 und 5 in: Nierhaus (2011) p. 106 und p. 107.258 Siehe: Kassal-Mikula (1997) p. 400.259 Ebd. p. 401.260 Österreichische Blätter für Literatur und Kunst, Nr. 1, Wien 31. Jänner 1844, p. 7.261 Ebd. p. 7f.
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Das zusammengedrängte Gedenken
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Title
Das zusammengedrängte Gedenken
Author
Sigrid Eyb-Green
Publisher
Bibliothek der Provinz
Location
Weitra
Date
2016
Language
German
License
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-99028-075-1
Size
24.0 x 27.0 cm
Pages
312
Keywords
Leopold Kupelwieser, Freskenzyklus, Geschichtsdarstellung, 19. Jahrhundert, Werkprozess, Karton, Fresko, Papier, Wien
Category
Kunst und Kultur

Table of contents

  1. Einleitung 13
  2. Zur Baugeschichte der Niederösterreichischen Statthalterei 15
  3. Die Genese des Bildprogramms 19
  4. Erster Programmentwurf 19
  5. Der zweite Gesamtentwurf 35
  6. Zweiter und dritter Programmentwurf 39
  7. Die Aquarellentwürfe 40
  8. Der Freskenzyklus Einleitung und Überblick 43
  9. Zu den schriftlichen und bildlichen Quellen Leopold Kupelwiesers 45
  10. Die einzelnen Bildfelder: Bezüge, Quellen, Intentionen 47
  11. Die gekrönte Austria 47
  12. Odoakervor dem heiligen Severin (465 – 470) 56
  13. LeopoldI. stürmt Melk (984) 63
  14. Die drei Erbauer der St. Stephanskirche 68
  15. Die Gründung der Universität Wien durch Rudolf IV. (1364) 77
  16. Kaiser Marc Aurel: Markomannenschlacht und Tod 81
  17. Zug Karls des Großen gegen die Hunnawaren 85
  18. Leopold erhält von Otto II. die Ostmark zum Lehen 90
  19. Rudolf I. verleiht die Lehen an Albrecht I 95
  20. Das öffentliche Gericht zu Tulln (1200) 100
  21. Ferdinand I. setzt 1540 die niederösterreichische Regierung ein 109
  22. Die Türkenkriege der Jahre 1529, 1683 und 1697 116
  23. Die Aufgebote von 1797 125
  24. Erzherzog Karl in der Schlacht von Aspern 132
  25. Der Kongress zu Wien 1814 137
  26. Einleitungzu den Herrscherporträts 143
  27. Rudolf I 144
  28. MariaTheresia 148
  29. Maximilian I 151
  30. Joseph II 154
  31. Albrecht II 156
  32. Ferdinand II 158
  33. Ferdinand I. der Gütige 161
  34. Franz Joseph I 164
  35. Rezensionen 166
  36. Fresko und Karton als Formen öffentlicher Kunst Das Fresko: zur Konstruktion eines Gattungsbegriffs 167
  37. Die Praxis nazarenischer Wandmalerei in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Technik und Stil 168
  38. Öffentliche Kunst im Spannungsfeld zwischen Auftraggeber und Publikum 174
  39. Formen der Öffentlichkeit: Leopold Kupelwieser und die Situation der Geschichtsmalerei in Österreich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts 175
  40. Leopold Kupelwiesers Statthalterei-Zyklus und Entwurf einer Geschichtshalle: österreichische Identitäten und ihre Inszenierungen 188
  41. Zum Problem der „geschichtlichen Wahrheit“ in der Geschichtsmalerei 199
  42. Kupelwiesers Statthalterei-Kartons im Kontext nazarenischer Kartonkunst: „Vom Wesen des Kunstwerks“ 201
  43. Materialtechnologische Aspekte Der Arbeitsprozess im Überblick: Kartonzeichnungen, Probetafeln und Freskoarbeiten 215
  44. Zur Herstellung der Kartons 220
  45. Die Kartons zu den fünf Hauptgemälden der Decke 220
  46. Fünf Kartons zu Herrscherporträts: Rudolf I., Maximilian I., Ferdinand II., Maria Theresia und Joseph II 224
  47. Die Kartons zu den Allegorien 225
  48. Die Kartons zu den historischen Gemälden an den Wänden 231
  49. Die Kartons zu den beiden Friesen 234
  50. Die weitere Verwendung von neun Kartons als Deckenbilder im Palais Questenberg-Kaunitz 235
  51. Die Präsentation der Kartons an der Decke des Palais Questenberg-Kaunitz Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1940 244
  52. Übergabe aller Kartons 249
  53. Zur Aufbewahrung jener Kartons, die nicht im Palais Questenberg-Kaunitz präsentiert wurden 249
  54. Ausstellungen der Kartons 252
  55. Herstellung und Verwendung von Kartons für Wand- und Deckengemälde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Beispiele und Quellenliteratur 257
  56. Die Papierbahn 257
  57. Die Zeichnung 260
  58. Die Fixierung 263
  59. Die Übertragung an die Wand 265
  60. Die Fresko-Probetafeln 267
  61. Kupelwiesers Palette und Maltechnik 270
  62. Kupelwiesers Papiere: Ein Überblick über die Papierproduktion in der Habsburgermonarchie um 1850 273
  63. Die Papiere für Skizzen und Vorstudien 273
  64. Transparentpapiere 276
  65. Papiere für die Kartons 279
  66. Anhang: Programmentwürfe und Korrespondenzen Nö. Landesarchiv, Varia 8/1a: Programmentwurf I 294
  67. Nö. Landesarchiv, Varia 8/1b: Programmentwurf II 296
  68. Nö. Landesarchiv, Varia 8/1c: Programmentwurf III 297
  69. Nö. Landesarchiv, Varia 8: Schreiben von Leopold Kupelwieser an Freiherrn Kübeck von Kübau 297
  70. Nö.Landesarchiv, Varia 8: Anweisung Kübeck von Kübaus an Freiherrn Talatzko von Gestiecek 298
  71. Literaturverzeichnis 301
  72. Quellenverzeichnis 305
  73. Personenregister 306
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