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zusammenvereinigt in verschiedenen Epochen, durch die
verschiedensten Zufälle, des Kriegs, der Erbfolge, und wech
selseitiger Verbindungen
[…]“.680Gerade
durch die teilweise sehr unterschiedlichen und
mitunter widersprüchlichen Interpretationen dieser
gemeinsamen Vergangenheit konnte Geschichte im
österreichischen Kaiserstaat nicht dieselbe suggestive
Selbstverständlichkeit entwickeln wie in anderen
europä-ischen
Nationalstaaten. Dies hatte den Konflikt zwischen
einer identitätsstiftenden Reichsgeschichte und der
Mobilisierung einer Vielzahl von regional-nationalen
Mythen zur Folge.681
Kupelwieser machte in seinem Entwurf für eine
Geschichtshalle682 früh eine in diesem Zusammenhang
interessante Aussage:
„Die Darstellung der Entwicklung des Gesamtstaates als
Österreichische Monarchie muss durch die richtige Reihen
folge der Ereignisse bezeichnet sein, das allmähliche
Anschließen fremder Völker und Reiche, sie bietet […] einen
hohen Reiz welchen sich keine andere Geschichte erfreut,
wobei jedoch mit strenger Beobachtung historischer Wahr
heit und Treue, jede Schonung fremdnationaler Eigentüm
lichkeit eingehalten werden
muss.“683Hier
beginnt sich ein Argument abzuzeichnen, das, im
Gegensatz zu nationalistischer Projektion von politischer
und kultureller Kohärenz, die Vielfalt als
identitätsstif-tende
Kraft benennt. Deutlicher kommt dieser Gedanke
in der Einleitung zu Hormayrs Österreichischem Plutarch
zum Ausdruck:
„In diesem herrlichen Kranze reicher, starker Länder sind der
untergeordneten Mittelpunkte mehrere. Von jedem geht ein
eigentümliches Leben aus über den Ungarn und Böhmen,
Österreicher und Gallizier. Solch vermehrtes Hin und Her
wogen, solch vielfältiges Aus und Zurückströmen, solche
Nähe und Fülle wechselseitig hilfreicher Kraft […] nährt und
stärkt die Lande deren Originalität in einer sich ewig wie
derkäuenden Einförmigkeit bald verwesen würde.“684
Die bildenden Künste wurden nicht durch Politik
instru-mentalisiert,
sondern behaupteten sehr selbstbewusst
ihren Platz in der Gestaltung des öffentlichen Lebens. Nach
Kupelwiesers Überzeugung haben sie von allen Formen der
Geschichtsvermittlung die größte Überzeugungskraft:
„Kein Buch, keine Lehrkanzel, keine Überlieferung anderer
Art ist imstande zu leisten, was die bildende Kunst auf ihrem
eigentlichen Gebiethe zu wirken vermag.“672
Allgemeiner formuliert, bedürfen nationale Identitäten
der Performanz, der ständigen Wiederholung der
Erzäh-lung.
Die zu Gedenktagen organisierten Feierlichkeiten
schufen dabei durch Wiederholung eine
Vergegenwärti-gung
der Geschichte nach dem Vorbild der christlichen
Liturgie673 und verankerten sie im täglichen
Bewusst-sein.674
In der Rubrik Historische Tageserinnerungen etwa
rief Hormayr in seinem Archiv für Geographie, Historie,
Staats und Kriegskunst Begebenheiten nach dem
Erinne-rungsmuster
des Kalenders ins Gedächtnis; in Feiern wie
der alljährlichen Öffnung des Ehrensaals im
Invaliden-haus
zum Jahrestag der Schlacht von Leipzig, wo das
Publikum Peter Kraffts großformatige Gemälde mit den
Darstellungen der Schlachten von Aspern und Leipzig
bewundern konnte, wurden die Eckdaten vaterländischer
Triumphe und Trauertage inszeniert. Diese „fundierenden
Erinnerungsfiguren, in deren ständiger Wiederholung und
Vergegenwärtigung eine Gesellschaft oder Kultur sich ihrer
Identität versichert“675, schufen durch jedes
Wiedererzäh-len
von Identitätsmerkmalen neue Wirklichkeiten, denn
das Erinnerte steht niemals still und wird mit jedem Abruf
neu konstruiert.676 „Mehr als die Geschichte selbst interes
siert uns der Sinn, den die Ägypter ihr abgewonnen haben“,
schreibt Assmann.677
Das besondere Potential der bildenden Kunst
hinsicht-lich
der Konstruktion verschiedener Identitäten lag dabei
nicht nur in der Wahl der Sujets, sondern vor allem auch
im Spannungsfeld unterschiedlicher
Interpretationsmög-lichkeiten,
die ihr zur Verfügung standen, und ihrer
emo-tionalen
Wirkungsmacht.678 Die Botschaft – Vorstellung
einer gemeinsamen Vergangenheit – sollte innerhalb des
Reiches Kohärenz und Kontinuität schaffen, beides
kon-stituierende
Elemente für eine gemeinsame Identität.
Gerade die zahlreichen geschichtlichen Ereignisse
be-treffend
kam es zwischen österreichischem Kaiserreich
und den Kronländern bzw. Regionen zu Divergenzen, die
sich in wechselnden Einstellungen zur Aneignung der
eige-nen
Geschichte manifestierten.679 Hormayr schrieb dazu:
„Auf dem kolossalen Flächenraume von Kronstadt bis Salz
burg und von Krakau bis Triest, […] lebet und wirket ein
Völkerverein von mehr als 22 Millionen Menschen, an Anla
gen, Sitten, Sprache, Verfassungen unendlich verschieden, 672 Zit. nach: Feuchtmüller (1970) p.
60.673
Vgl.: Telesko (2006) p. 36f. und p. 41.
674 Vgl.: Ebd. p. 19 und p.
36.675
Assmann (1999) p. 22.
676 Telesko (2006) p. 19.
677 Assmann (1999) p.
9.678
Vgl.: Telesko (2006) p.
21.679
Ebd. p.
20.680
Hormayr (1807 – 1814) 12. Bd., (1807) p.
X.681
Telesko (2006) p.
22.682
Dieser Entwurf entstand während Kupelwiesers Arbeit an den
Fresken in der Niederösterreichischen Statthalterei und wurde
am 13. März 1849 dem Präsidium der Akademie der bildenden
Künste
übermittelt.683
Zit. nach: Feuchtmüller (1970) p. 60.
684 Hormayr (1807 – 1814) 12. Bd. (1807) p. Xf.
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Das zusammengedrängte Gedenken
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Das zusammengedrängte Gedenken
- Author
- Sigrid Eyb-Green
- Publisher
- Bibliothek der Provinz
- Location
- Weitra
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-99028-075-1
- Size
- 24.0 x 27.0 cm
- Pages
- 312
- Keywords
- Leopold Kupelwieser, Freskenzyklus, Geschichtsdarstellung, 19. Jahrhundert, Werkprozess, Karton, Fresko, Papier, Wien
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Einleitung 13
- Zur Baugeschichte der Niederösterreichischen Statthalterei 15
- Die Genese des Bildprogramms 19
- Erster Programmentwurf 19
- Der zweite Gesamtentwurf 35
- Zweiter und dritter Programmentwurf 39
- Die Aquarellentwürfe 40
- Der Freskenzyklus Einleitung und Überblick 43
- Zu den schriftlichen und bildlichen Quellen Leopold Kupelwiesers 45
- Die einzelnen Bildfelder: Bezüge, Quellen, Intentionen 47
- Die gekrönte Austria 47
- Odoakervor dem heiligen Severin (465 – 470) 56
- LeopoldI. stürmt Melk (984) 63
- Die drei Erbauer der St. Stephanskirche 68
- Die Gründung der Universität Wien durch Rudolf IV. (1364) 77
- Kaiser Marc Aurel: Markomannenschlacht und Tod 81
- Zug Karls des Großen gegen die Hunnawaren 85
- Leopold erhält von Otto II. die Ostmark zum Lehen 90
- Rudolf I. verleiht die Lehen an Albrecht I 95
- Das öffentliche Gericht zu Tulln (1200) 100
- Ferdinand I. setzt 1540 die niederösterreichische Regierung ein 109
- Die Türkenkriege der Jahre 1529, 1683 und 1697 116
- Die Aufgebote von 1797 125
- Erzherzog Karl in der Schlacht von Aspern 132
- Der Kongress zu Wien 1814 137
- Einleitungzu den Herrscherporträts 143
- Rudolf I 144
- MariaTheresia 148
- Maximilian I 151
- Joseph II 154
- Albrecht II 156
- Ferdinand II 158
- Ferdinand I. der Gütige 161
- Franz Joseph I 164
- Rezensionen 166
- Fresko und Karton als Formen öffentlicher Kunst Das Fresko: zur Konstruktion eines Gattungsbegriffs 167
- Die Praxis nazarenischer Wandmalerei in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Technik und Stil 168
- Öffentliche Kunst im Spannungsfeld zwischen Auftraggeber und Publikum 174
- Formen der Öffentlichkeit: Leopold Kupelwieser und die Situation der Geschichtsmalerei in Österreich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts 175
- Leopold Kupelwiesers Statthalterei-Zyklus und Entwurf einer Geschichtshalle: österreichische Identitäten und ihre Inszenierungen 188
- Zum Problem der „geschichtlichen Wahrheit“ in der Geschichtsmalerei 199
- Kupelwiesers Statthalterei-Kartons im Kontext nazarenischer Kartonkunst: „Vom Wesen des Kunstwerks“ 201
- Materialtechnologische Aspekte Der Arbeitsprozess im Überblick: Kartonzeichnungen, Probetafeln und Freskoarbeiten 215
- Zur Herstellung der Kartons 220
- Die Kartons zu den fünf Hauptgemälden der Decke 220
- Fünf Kartons zu Herrscherporträts: Rudolf I., Maximilian I., Ferdinand II., Maria Theresia und Joseph II 224
- Die Kartons zu den Allegorien 225
- Die Kartons zu den historischen Gemälden an den Wänden 231
- Die Kartons zu den beiden Friesen 234
- Die weitere Verwendung von neun Kartons als Deckenbilder im Palais Questenberg-Kaunitz 235
- Die Präsentation der Kartons an der Decke des Palais Questenberg-Kaunitz Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1940 244
- Übergabe aller Kartons 249
- Zur Aufbewahrung jener Kartons, die nicht im Palais Questenberg-Kaunitz präsentiert wurden 249
- Ausstellungen der Kartons 252
- Herstellung und Verwendung von Kartons für Wand- und Deckengemälde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Beispiele und Quellenliteratur 257
- Die Papierbahn 257
- Die Zeichnung 260
- Die Fixierung 263
- Die Übertragung an die Wand 265
- Die Fresko-Probetafeln 267
- Kupelwiesers Palette und Maltechnik 270
- Kupelwiesers Papiere: Ein Überblick über die Papierproduktion in der Habsburgermonarchie um 1850 273
- Die Papiere für Skizzen und Vorstudien 273
- Transparentpapiere 276
- Papiere für die Kartons 279
- Anhang: Programmentwürfe und Korrespondenzen Nö. Landesarchiv, Varia 8/1a: Programmentwurf I 294
- Nö. Landesarchiv, Varia 8/1b: Programmentwurf II 296
- Nö. Landesarchiv, Varia 8/1c: Programmentwurf III 297
- Nö. Landesarchiv, Varia 8: Schreiben von Leopold Kupelwieser an Freiherrn Kübeck von Kübau 297
- Nö.Landesarchiv, Varia 8: Anweisung Kübeck von Kübaus an Freiherrn Talatzko von Gestiecek 298
- Literaturverzeichnis 301
- Quellenverzeichnis 305
- Personenregister 306