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Philosophie 173
De mathematicis
complementis,
De complementis
theologicis
– von der Rechtfertigung aus dem Glauben die Rede ist. Die erste vollständige
deutsche Übersetzung des Werks erschien 1643, nicht zufällig während des Drei-
ßigjährigen Krieges : Das Titelblatt (abgebildet in Opera omnia 1932–2010, Bd. 7,
nach 102) nimmt ausdrücklich auf die Zeitumstände und auf eine erhoffte positive
Wirkung durch die Schrift Bezug. Bezeichnend ist das Interesse Lessings fĂĽr das
Werk. Im selben Jahr 1779, in dem er Nathan der Weise fertig stellte, erbat er sich
von einem Freund, dem Theologen und Philologen Arnold Schmid eine Ăśberset-
zung von De pace fidei. Lessing wollte die Schrift auch neu herausgeben, woran ihn
schlieĂźlich aber Krankheit und Tod hinderten.
Nach De pace fidei verfasste Cusanus zunächst zwei kleinere Schriften mathe-
matischen und mathematisch-theologischen Inhalts. Es entstand der erste Teil von
De mathematicis complementis, dem mathematischen Hauptwerk von Cusanus. Der
zweite Teil wurde erst im folgenden Jahr 1454 hinzugefĂĽgt. Gleich auf den ersten
Teil folgte De complementis theologicis. Die Werke sind Cusanus’ Freund Tommaso
Parentucelli gewidmet, einem Humanisten, der mittlerweile als Papst Nikolaus V.
regierte. Dieser Papst hatte sich um eine Ausgabe des Archimedes verdient gemacht,
und um ein archimedisches Problem ging es auch in De mathematicis complementis,
nämlich um die Quadratur des Kreises, also die geometrische Konstruktion eines
Quadrats mit dem Flächeninhalt eines gegebenen Kreises. Cusanus war von diesem
Problem fasziniert, in seinen mathematischen Schriften nimmt es eine dominie-
rende Stellung ein. Mathematikgeschichtlich waren seine Versuche zwar eine Sack-
gasse : 1882 bewies Ferdinand von Lindemann, dass die Aufgabe unlösbar ist. Vor
dem Hintergrund der Koinzidenzlehre des Cusanus sind seine Bestrebungen jedoch
verständlich. Der Zusammenfall von Kreis und Quadrat diente ihm als Gleichnis
für den Zusammenfall der Gegensätze in ihrem gemeinsamen Prinzip. Selbstbe-
wusst verkĂĽndete Cusanus gegenĂĽber Nikolaus V., dass er das alte Problem und
die damit zusammenhängenden Fragen nun gelöst habe. Damit sei ihm die noch
fehlende Ergänzung zu Archimedes gelungen – daher auch der Titel complementum
(„Ergänzung“). Die folgenden Theologischen Ergänzungen bauen auf diesen Voraus-
setzungen auf. Cusanus versucht hier, seine soeben gewonnenen mathematischen
Erkenntnisse fĂĽr die philosophische Theologie fruchtbar zu machen. In einer Hs.
der Königlichen Bibliothek Brüssel von De complementis theologicis (11.479–484,
Bl. 68r–78v) ist nach dem 11. Kapitel der erste Entwurf zu Cusanus nächstem grö-
Ăźeren Werk, zu De visione Dei eingefĂĽgt. Dieses hat sich also aus jenem entwickelt.
Verbindendes gibt es einerseits in der Theorie der Winkel, die in De visione Dei
zu einer Theorie der beschränkten individuellen Blickwinkel und des unendlichen
Blickwinkels Gottes wird. Andererseits wird in beiden Werken die Frage nach der
Bestimmbarkeit des Unendlichen aufgeworfen, nach der Benennbarkeit des unbe-
nennbaren Gottes.
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 1
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 602
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Ăśberblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593