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270 Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog FerdinandsÂ
II. von Tirol (1595)
Stil
weitere
Bildungsdramen
Agricolas
Mariendrama hassten Unterricht zu fliehen. Ihre Väter werden demnächst auf Reisen gehen und ihnen
das Hauswesen ĂĽberantworten. Diese Gelegenheit wollen sie wahrnehmen, sich mit dem
Familienvermögen absetzen und als Händler zu großem Reichtum kommen. Während die-
ses Gesprächs überrascht sie der Lehrer Sophronius („Verständiger“), tadelt sie wegen ihres
Fernbleibens und beginnt sie zu zĂĽchtigen. Das lassen sich die beiden aber nicht gefallen
und verprĂĽgeln ihrerseits den Lehrer. Nach einiger Zeit eilen diesem die zwei fleiĂźigen
Schüler Romaeus und Hellenius (etwa „Römer-“ und „Griechenfreund“) zu Hilfe und ver-
treiben seine Peiniger. In einer Passage, in welcher der Autor sichtlich ins Träumen gerät,
heben sie zu einer Lobeshymne auf die Lehrer an und verdammen den Undank, der ihnen
widerfährt. Sie schwören sich ewige Freundschaft im Namen der Wissenschaft und zeigen
die beiden Missetäter beim Richter an. Dieser verfolgt sie mit seinen Zuchtmeistern und
fĂĽhrt sie der gerechten Bestrafung im Kerker zu.
Noch mehr als in vielen anderen Bildungsdramen ist im Ludus das Vorbild der
römischen Komödie greifbar. Das zeigt sich einerseits in Vokabular und Sprache
– man vergleiche z.B. V. 51 plagis compleor praegnantibus („ich werde mit tüchti-
gen Hieben eingedeckt“) mit Plaut. Asin. 276 plagas praegnatis dabo („ich werde
tüchtige Hiebe austeilen“) –, andererseits in der Verwendung bestimmter Motive.
Besonders auffällig sind hier der Vater-Sohn-Konflikt und der von den Söhnen
begehrte Geldschatz. Die breit dargestellten PrĂĽgelszenen und groben Beschimp-
fungen orientieren sich an den zahlreichen entsprechend rohen Szenen bei Plautus.
Ein weiteres Sujet bildet z.B. der Kontrast zwischen Studenten- und Soldatenle-
ben in einem 1586 aufgefĂĽhrten Dialogus brevis ad distribuenda praemia accommo-
datus („Kurzer Dialog, zur Verleihung der Preise eingerichtet“ ; 1586, Valentin, Nr.
240). Die Verbreitung der Thematik zeigt u.a. Jakob Pontanus’ 1588 aufgeführter
Stratocles, das Innsbrucker Drama zeigt aber eine andere Entwicklung. Der letzte
Beleg fĂĽr ein Bildungsdrama auf der frĂĽhen Innsbrucker JesuitenbĂĽhne ist ein 1595
gespieltes Stück Drama de scientiarum usu et abusu („Über den Ge- und Missbrauch
der Wissenschaften“ ; Valentin, Nr. 363). Vielleicht ist es kein Zufall, dass das Ende
dieser – freilich nur heuristisch definierten – Periode der Bildungsdramen mit dem
Todesjahr des theaterbegeisterten und offenbar bei sämtlichen Aufführungen der
Jesuiten anwesenden Erzherzogs Ferdinand II. zusammenfällt. Auf lokaler Ebene
diente das Thema Schule und Bildung nämlich wohl auch zum Ausdruck eines spe-
zifischen Anliegens der Innsbrucker Jesuiten an Ferdinand II., die Errichtung eines
eigenen Schulgebäudes für den Unterricht (s.u.). Als Ferdinand 1595 starb und für
längere Zeit kein neuer Landesherr in Innsbruck residierte, hatten die Bildungsdra-
men ihren wichtigsten Adressaten verloren.
Das einleitend erwähnte lat. Lesedrama des späteren Brixner Bischofs (reg. 1625–
1627) Hieronymus Otto Agricola weist einige Ă„hnlichkeiten mit den besprochenen
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 1
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 602
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Ăśberblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593