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Beredsamkeit 285
Aliprandi,
Leichenrede
für Eufemia
Madruzzo
erlebte zuerst in Italien, dann auch im restlichen Europa eine große Blüte (McMa-
namon 1989 ; Eybl 2001, v.a. 147–150). Dabei wurden solche Reden nicht immer
im Rahmen der Begräbnisfeierlichkeiten selbst, sondern oft auch bei Gedenkgot-
tesdiensten gehalten, die häufig eine Woche oder einen Monat nach dem Tod des
Betreffenden stattfanden. Derartige Feierlichkeiten konnten sich bei wichtigen Per-
sönlichkeiten über mehrere Tage erstrecken und eine ganze Reihe von Leichenreden
zeitigen (vgl. etwa Inama, Ludovici […] laudatio funebris [hier S.
465–467], Bl. 1v).
Vortragsort dürfte in der Regel eine Kirche gewesen sein. Das Publikum umfasste
oft weite Teile der Stadtbevölkerung. In inhaltlich-formaler Hinsicht ist in Anleh-
nung an antike Theoretiker häufig eine Gliederung in drei Teile festzustellen : ein
(gerne zeitlich und nach biographischen Schemata geordnetes) Lob des Verstorbe-
nen, eine Klage und einen tröstenden Abschnitt. Allerdings werden v.a. der erste
und der zweite Teil häufig ineinandergearbeitet.
Einen ersten Einblick in dieses Genus gewährt Biagio Aliprandis (vgl. hier
S. 432–435) nur hs. erhaltene In trigesimo illustris ac piissimae matronae Euphemiae
baronissae a Madrutio oratio […] („Rede zum dreißigsten Tag nach dem Tod der
berühmten, überaus frommen Frau Eufemia, Baronin von Madruzzo […]“ ; BCT,
ms. 299/3 [M. 859]), auch wenn es sich hierbei, wie wir gleich sehen werden, um
ein einigermaßen untypisches Produkt handelt. Eufemia verstarb im Jahr 1557 (Dal
Prà 1993, 102). Gehalten wurde die Rede wohl (wie schon bei Giorgio de Fatis, vgl.
hier S. 104) im Trientner Dom.
Der Redner will, um sich nicht zu übernehmen, nur wenig aus der überreichen Materie
behandeln ; v.a. will er sich die Anführung historischer Exempla versagen (Bl. [1]r). Welch
hervorragende Frau Eufemia Madruzzo, geborene Sporemberg, deren dreißigster Todes-
tag gefeiert wird, gewesen ist, wird daraus ersichtlich, dass Giangaudenzio Madruzzo sie
geheiratet hat. Die zwei führten eine gute Ehe und hatten Kinder beiderlei Geschlechts,
die sie vorbildlich erzogen (Bl. [1]v–[2]r). Giangaudenzio machte Karriere unter Bernhard
von Cles und Erzherzog Ferdinand, dessen Söhne er erzog (Bl. [2]r–[3]r). Sein einziger
Kummer war der frühe Tod seines Sohnes Aliprando, eines großen Feldherrn, den selbst
Karl V. mit militärischen Aufgaben betraut hatte (Bl. [3]r–[4]r). Sein Bruder Nicolò Ma-
druzzo ist ebenfalls militärisch kompetent und ein guter Herrscher (Bl. [4]r–[5]r). Der
größte Madruzzo ist aber Cristoforo. Schon früh hat er sich eine umfassende Bildung und
dadurch Ansehen und Ruhm erworben. Deshalb wurde ihm zunächst das Bischofsamt von
Trient, dann zusätzlich das von Brixen angetragen. Auch Kardinal wurde er. Zudem war
er Rat Karls V., ist jetzt Rat seines Sohnes Philipp und hat auf dessen Bitte das schwierige
Amt der Regentschaft in Mailand übernommen, es allerdings nach zwei Jahren freiwillig
niedergelegt (Bl. [5]r–[8]v). Trotz alldem wurde die Verstorbene nie hochmütig. Jetzt ist sie
im Himmel (Bl. [8]v).
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 1
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 602
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Überblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593