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Beredsamkeit 297
Exempla und
Metaphern
sammelt, um sie zu ehren und die Schüler anzuspornen (Bl. 91v–92r). Um sich zu bilden,
muss man große Mühen auf sich nehmen und darf sich nicht durch die herrschende Bil-
dungsfeindlichkeit abschrecken lassen (Bl. 92r–93r). Auch die Anfänge der Bildung, wie sie
am Jesuitengymnasium vermittelt werden, sind nicht zu verachten (Bl. 93rv). Die Schüler
mögen sich ein Beispiel an bildungsbeflissenen Männern der Vergangenheit nehmen und
sich anstrengen (Bl. 93v–95r).
Die Rede ist eine der abwechslungsreichsten und eindringlichsten in diesem Co-
dex. Unter den antiken Exempla ist v.a. die von Lukian in seinem Hercules be-
schriebene Statue eines Gallischen Herakles (Bl. 90v–91r) bemerkenswert, welche
die Macht der Beredsamkeit durch von der Zunge des Standbilds zu den Ohren
einer Hörerschaft verlaufende Fäden symbolisiert ; ihre Anführung ohne Nennung
des Autors entspricht dem Umstand, dass Lukian in der frühen Neuzeit populär
war und auch am Innsbrucker Jesuitengymnasium gelesen wurde (Lechner 1907–
1914, Teil 2, 64). Außergewöhnlich ist auch die lebhafte Metaphorik, die sich zu
detailreichen Bildern ausweiten kann : So wird etwa die Bildung als am Wege ste-
hender Obstbaum dargestellt, der von böswilligen Ignoranten mit Steinen bewor-
fen, von den Intellektuellen aber um seiner Früchte willen geschätzt und erklettert
wird (Bl. 92v–93r), was Motive aus der pseudoovidischen Nux („Nussbaum“) mit
der Isokrates zugeschriebenen Vorstellung von der Bildung als einem Gewächs
kombiniert, dessen Wurzeln bitter, dessen Früchte aber süß seien. Geradezu ein
Leitmotiv stellt die immer wieder auftauchende Metapher von der Liebe zur Bil-
dung als einem verzehrenden Feuer dar. Welch glühende Begeisterung der Redner
damit in seinen Hörern entzünden möchte, mag folgender kurzer Abschnitt (Bl.
90r) andeuten :
Quae [sc. absolutissima eruditionis forma] si oculis usurpari ac cerni posset, quas quaeso non
ignitissimas faces in animos ac iecur nostrum efibraret [d.h. evibraret] ? Quae non ciere<t>
incendia, si cum animo tantum concepta comprehensaque est ac quasi per umbram conspecta,
tam ingentes flammas ubique gentium concitavit, ut universum orbem longe lateque occupa-
verit ?
Wenn sie [d.h. die allervollkommenste Schönheit der Bildung] mit Augen erfasst und ge-
sehen werden könnte, welch feurigste Brände würde sie nicht in unseren Geist und unser
Innerstes schleudern ? Welche Feuersbrünste würde sie nicht erregen, wo sie doch schon
jetzt, nur im Geist erfasst und ergriffen und gleichsam schattenhaft gesehen, so ungeheure
Flammen bei allen Völkern hat auflodern lassen, dass sie den gesamten Erdkreis weit und
breit unter ihre Herrschaft gebracht hat ?
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 1
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 602
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Überblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593