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298 Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands
II. von Tirol (1595)
dritte
Eröffnungsrede
Redeagon Weit weniger kunstvoll präsentiert sich die letzte der Eröffnungsreden, die 1586
gehaltene De litterarum studiis oratio („Rede über das Studium der Wissenschaf-
ten“ ; Bl. 131r–134v). Der Redner kündigt in der Einleitung an, über Ehre und
Nutzen der Bildung reden zu wollen (Bl. 131rv), und hält sich im Hauptteil gera-
dezu ängstlich an diese Zweiteilung (Ehre : Bl. 131v–133r, Nutzen : Bl. 133r–134v ;
sachlich unterscheidet sich beides nur wenig voneinander). Eine kurze peroratio mit
Ermahnungen an die jugendlichen Hörer (Bl. 134v) bildet den Abschluss. Zwar
verbreiten die obligaten Exempla (unter denen mit Alfons V. von Aragonien und
Kaiser Karl IV. als Beispielen bildungsbeflissener Herrscher auch zwei ‚moderne‘
auftauchen) wie in den anderen Eröffnungsreden eine Aura der Gelehrsamkeit. Sie
vermögen jedoch nicht über krasse sachliche Fehler – Bl. 133r erscheinen etwa die
Äthiopier als Intellektuellenkaste der Gymnosophisten ! –, eine exzentrische lat.
Orthographie (verocitate für ferocitate, [Bl. 133v ; „Wildheit“]) und entstellte grie-
chische Zitate (Bl. 132v) hinwegzutäuschen. Auch der Stil ist teilweise plump. So
wird etwa der Übergang zum Nutzen der Bildung in der Mitte der Rede einfach mit
einem Venio nunc ad utilitatem („Ich komme jetzt zum Nutzen“) angekündigt. Zu
alldem passt eine wenig flüssige Handschrift. Sollte hier statt eines Lehrers einmal
ein Schüler zur Feder gegriffen haben ?
Vom konventionellen Typ der Eröffnungsrede, wie ihn die drei eben besprochenen
Texte repräsentieren, heben sich vier von verschiedenen Sprechern vorgetragene,15
aber zusammengehörige Reden aus dem Jahr 1582 ab, die offenbar direkt vor der
Preisverleihung gehalten wurden. Es handelt sich um einen Redewettkampf zur
Frage der Existenzberechtigung der Dichtung. Ein solcher Agon ist im vorliegenden
Codex ohne Gegenstück und stellte in Innsbruck bei einer Schuljahreseröffnung
wohl eine Neuerung dar : Der erste Redner kündigt dem Publikum jedenfalls eine
Überraschung an und setzt dabei voraus, dass dieses sich nun am ehesten ein Thea-
terstück oder einen Dialog erwartet (Bl. 17rv). Den Anlass zu dieser Darbietung bot
die kürzliche Eröffnung oder Wiedereröffnung der Humanitas, der Klasse, in der
man sich v.a. mit Dichtung beschäftigte (Bl. 17v).16
15 Zumindest die Reden der beiden Kontrahenten dürften dabei von Schülern, nicht von Professoren
gehalten worden sein : Bl. 17v ist, wohl mit Bezug auf den zweiten Redner, von adulescentum [sic]
(„Jugendlichen“) die Rede.
16 Von einer Wiedereröffnung spricht unser Text ([…] poeticam facultatem, quae annis aliquot […]
exularat […] restitutam […] fuisse, „[…] dass die Humanitas, die einige Jahre […] verbannt gewesen
war, […] wiederhergestellt […] worden ist“), von einer erstmaligen Eröffnung, wie es scheint, die
historia domus (vgl. hier S.
332–334) : Hactenus consuetis scholarum exercitationibus classis humanita-
tis adiuncta est (Bd. 1, 34 ; „Den bisher üblichen Übungen für die Schüler wurde eine Humanisten-
klasse hinzugefügt“) sowie, vielleicht hierauf gestützt, Lechner 1907–1914, Teil 1, 61.
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 1
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 602
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Überblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593