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302 Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands
II. von Tirol (1595)
kunstvolle
Gestaltung
zwei griechische
Reden Ausgehend vom erfreulichen Anlass der Rede (Bl. 106v) spricht der Redner zunächst über
die Mission des Heilands auf Erden und seine Passion (Bl. 106v–108r). Sein Tod hat den
Tod überwunden (Bl. 108rv). Wenn dem Redner auch die Kräfte fehlen, so will er sich
doch anstrengen, den grandiosen Triumph Christi zu beschreiben (Bl. 108v–110r). Dass
Christus wahrhaftig auferstanden ist, bezeugen die Evangelien. Juden und Heiden, die
dergleichen für unmöglich halten, lassen sich leicht widerlegen (Bl. 110r–111v). Christus
triumphiert und öffnet allen das Tor zum ewigen Leben (Bl. 111v–112r).
Die Rede ist insofern noch kunstvoller gestaltet als die beiden Weihnachtsreden,
als sie ein regelrechtes Binnenproömium enthält (Bl. 108v–109r) und der Hauptteil
dadurch in zwei komplementäre Teile geteilt wird, von denen der erste die Passion,
der zweite in konsequenter Fortsetzung und Steigerung die Auferstehung behan-
delt. Mit der zweiten Weihnachtsrede berührt sie sich sowohl im ausdrücklichen
Verzicht auf die übliche captatio benevolentiae (eine solche ist angesichts des von
Anfang an vorhandenen Wohlwollens der Hörer überflüssig, Bl. 106v) als auch in
den pathetischen Anreden an Christus und das Publikum. Pathossteigernd wirken
aber auch z.B. die zahlreichen heri/hodie(„gestern/heute“)-Antithesen, mit denen
zum Schluss (Bl. 111v–112r) der Lage der Menschheit vor dem Opfer Christi das
jetzige Leben in der Gnade entgegengesetzt wird. Auf der motivischen Ebene fal-
len die zum Triumphthema passenden agonalen und militärischen Bilder auf, mit
denen die Passion beschrieben wird, eine Metaphorik, die sich schon in den Pau-
lusbriefen findet. Die Beschreibung des Triumphzugs Christi selbst (Bl. 109v–110r)
könnte durch die zeitgenössische Praxis der trionfi, prächtiger Umzüge zu festlichen
Gelegenheiten, mit angeregt sein ; erst 1582 hatte Innsbruck anlässlich der Hoch-
zeit Ferdinands II. mit Anna Caterina Gonzaga einen solchen trionfo zu sehen be-
kommen (Auer u.a. 1998, 44). Wie in der ersten Weihnachtsrede findet sich auch
hier ein argumentativ-polemischer Teil, der sich diesmal mit Juden und Heiden
auseinandersetzt. Zwei bemerkenswerte Analoga aus Natur und Kunst, mit deren
Hilfe die leibliche Auferstehung Christi plausibel gemacht werden soll, sind dabei
die beschädigte Bronzestatue, die ihr Schöpfer einschmelzen und in ihrer ursprüng-
lichen, vollendeten Gestalt neu gießen kann, sowie das Samenkorn, das im Dunkel
der Erde keimt und dann zu einem mächtigen Baum heranwächst (Bl. 111r).
Abschließend sei noch kurz erwähnt, dass die lat. Jesuitenreden sogar zwei grie-
chische Entsprechungen haben, die zum Schuljahresanfang 1585 und zu Weih-
nachten 1586 vorgetragen wurden (Bl. 135r–137v, 180r–181r). Diese Stücke, welche
die frühesten konkreten Belege für Griechischunterricht in Tirol überhaupt darstel-
len dürften,19 sind allerdings nicht nur viel kürzer, sondern auch rhetorisch weni-
19 Griechisch muss aber bereits seit der Gründung des Gymnasiums unterrichtet worden sein, da es
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 1
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 602
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Überblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593