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Geschichtsschreibung 313
Quellen
Sprache
literarische
Technik
Selbstbild
widmet und dürften demnach erst nach De vitis Pontificum entstanden sein. Das
Gesamtwerk mit allen drei Schriften wurde abschließend ebenfalls Cristoforo Ma-
druzzo empfohlen.
In der Benutzung und v.a. Zitierweise seiner Quellen zeigt sich Pincio von zwei
Seiten : antike Autoren (die Historiker Polybios, Livius, Sueton, Tacitus, Florus,
Paulus Diaconus, die Geographen Ptolemaios, Strabon u.a.) werden stets nament-
lich genannt, wohingegen jüngere Quellen nur sehr ungenau zitiert werden. Häufig
sind Formulierungen wie sunt, qui tradunt („manche überliefern“) oder ut accepi-
mus („wie ich vernommen habe“). Manchmal ist von monumenta („Zeugnisse“)
oder von nicht weiter bestimmten „Annalen“ die Rede.
In seinem Dialog Ciceronianus („Der Ciceronianer“) lässt Erasmus von Rotter-
dam einen gewissen Bulephorus gegen die v.a. in Italien wirkenden Neulateiner po-
lemisieren, die sich weigern, ein lat. Wort zu verwenden, wenn es sich nicht schon
bei Cicero finde. Pincio wäre ein Musterbeispiel für einen solchen Ciceronianer :
Seine Diktion ist an den Klassikern geschult, und wenn er doch einmal ein unklas-
sisches Wort verwenden muss, entschuldigt er sich dafür, z.B.: ecclesia, quo vocabulo
multis in locis ex usu horum temporum necesse est uti (Bl. 13r ; „‚Kirche‘, ein Wort, das
man an vielen Stellen aufgrund der heutigen Gepflogenheiten verwenden muss“).
Sogar für die gängigsten Worte scheint er sich zu schämen : comes (Bl. 7v ; „Graf“),
cancellarius (Bl. 12r ; „Kanzler“), marescalchus (Bl. 20v ; „Marschall“).
Nicht nur Pincios Sprache ist an den Klassikern geschult, sondern auch seine
Darstellungsart : In die Erzählung sind immer wieder Exkurse verschiedenster Art
eingebaut, Reden gewähren Einsicht in das Innenleben der Helden. Gewisse Ge-
stalten werden ganz nach antiken Vorbildern stilisiert ; so erscheint etwa Belen-
zani im dritten Buch als wahrhaft catilinarischer Revolutionär. Allgemein wechseln
nüchtern berichtende und dramatisch gestaltete Passagen einander ab ; ein Mus-
terbeispiel für diesen Wechsel ist etwa die Erzählung vom Martyrium des kleinen
Simon im vierten Buch.
In der Widmungsepistel an Aliprand Cles brüstet sich Pincio damit, mit seinem
Geschichtswerk einen Weg eingeschlagen zu haben, den keiner zuvor betreten habe
(viam nemini antea protritam). Neben dieser Pionier-Metapher gebraucht er für
sich und sein Tun noch das Bild des demütigen Vorarbeiters, wenn es am Ende von
De origine auf Bl. 16r heißt : […] breviter perstrinximus, ut eorum, qui veritatis et his-
toriae Tridentinae studiosi sunt, minueretur labor („[…] habe ich kurz skizziert, da-
mit diejenigen, die sich um die Wahrheit und um die Geschichte Trients bemühen,
weniger Mühe haben“). Bei ungeklärten Fragen schildert er meist mehrere Versi-
onen, ohne zu polemisieren, denn viel wichtiger ist es ihm, dass seine Geschichte
plena („detailliert“) und iucunda („ergötzlich“) ist, wie es auf dem Deckblatt von
De vitis Pontificum heißt.
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 1
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 602
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Überblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593