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Brief 519
Polemik :
Bayer, Epistola
admonitoria
des Jesuiten Michael Staudacher an seinen Ordenskollegen Athanasius Kircher, das
dieser in seinem Mundus Subterraneus („Unterirdische Welt“ ; 10,4,11, Bd. 2, S.
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der Ausgabe Amsterdam 1678) zitiert. Kircher lässt Anfang und Schluss weg, sodass
wir kein Datum erhalten haben, doch da Staudacher iussu principum archiducum
(„auf Befehl des fürstlichen Erzherzogpaars“) schreibt, muss der Brief in die Jahre
zwischen 1650, als er das Amt des Innsbrucker Hofpredigers antrat, und 1662 fal-
len, als Ferdinand Karl starb (sein Nachfolger Sigmund Franz blieb ja unverheira-
tet). Thema ist der Reichtum Tirols an Edelsteinen. Der Brief zählt aber nicht nur
die im Land vorkommenden Arten von Steinen auf und nennt einige ihrer Fund-
orte, sondern hebt auch lobend die mineralogischen Interessen des Fürstenpaares,
insbesondere der Fürstin, hervor, der sogar eine eigene Theorie über die Entstehung
von Edelsteinen (aus wässrigen Lösungen über das Zwischenstadium Talk) zuge-
schrieben wird, und verbindet so Wissenschaftlichkeit mit Panegyrik. Auffällig ist
auch ein gewisser lokalpatriotischer Zug : Die Schönheit der Tiroler Steine wird in
den höchsten Tönen gepriesen, und die in Tirol tatsächlich vorkommenden Arten
werden um Rubine und Diamanten ergänzt, die zwar klein, aber dafür so hart seien,
dass sie alle anderen Diamanten schnitten.
Den zweiten wissenschaftlichen Brief, eine 143 Seiten starke Epistola admoni-
toria ad Franciscum Cimam medicum Venetum („Mahnbrief an den venezianischen
Arzt Francesco Cima“) lässt ein Johannes Michael Bayer, Doktor der Philosophie
und der Medizin, über den sonst nichts bekannt ist, der sich aber selbst als Oenipon-
tanus („Innsbrucker“) bezeichnet, 1662 in Padua bei Carlo Rizzardi drucken. Der
medizinische Inhalt dieses offenen Briefes lässt sich in der These zusammenfassen,
man dürfe die Diagnose „Podagra“ und die entsprechende Behandlung nur auf
ausschließlich den Fuß betreffende Erkrankungen anwenden. Seine Entstehungs-
geschichte lässt sich folgendermaßen rekonstruieren : I.F. und M., zwei angesehene
Ärzte und Mitglieder derselben Akademie, wurden im Fall einer adeligen Dame,
die an Gelenkschmerzen litt, zu Rate gezogen, vertraten dabei aber verschiedene
Meinungen. M. fasste seine Position gegen I.F. in einer kurzen anonymen Schrift
zusammen. Cima, ein junger Arzt und Schüler von I.F., fand, er müsse seinen Leh-
rer verteidigen, und attackierte M. in einer zweiten Schrift, gegen die sich nun
Bayer (vielleicht seinerseits ein Schüler M.s) wendet. Bayers Werk ist wissenschafts-
und sozialgeschichtlich interessant als Zeugnis für die Organisationsformen der
Medizin in Norditalien im 17. Jh. (Akademien, Behandlung wichtiger Patienten
durch mehrere konkurrierende Ärzte, Lehrer-Schüler-Verhältnisse, Austragung wis-
senschaftlicher Fehden über Schüler). Gleichzeitig kann es als Beispiel eines wis-
senschaftlichen Briefes, der sich gleichzeitig als polemischer offener Brief oder als
Streitschrift charakterisieren lässt, auch literarisches Interesse beanspruchen. Bayer
nutzt geschickt die formalen Eigentümlichkeiten der Briefform zur eindringliche-
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 1
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 602
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Überblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593