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566 Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669)
Grewel
Gegenreformator
lat. Schriften
Reliquien-
konservierung
Anlass und
Entstehung Guarinonius war ein sehr produktiver Schriftsteller.2 Er schrieb lat., deutsch und
italienisch und übersetzte aus dem Italienischen ins Deutsche. Sein opus magnum
ist ein in deutscher Sprache verfasstes Werk, der 1610 in Ingolstadt erschienene,
1330 Seiten starke Folioband Die Grewel der Verwüstung Menschlichen Geschlechts,
in dem das menschliche Leben von medizinischen und moralischen Standpunkten
her beleuchtet und der heutzutage v.a. als Fundgrube für die Kulturgeschichte der
Frühen Neuzeit geschätzt wird.
Als Schriftsteller und Übersetzer stellte sich Guarinonius entschieden in den
Dienst der Gegenreformation. Ein wichtiges Thema seines Schaffens waren Hei-
lige und Personen, die ein heiligmäßiges Leben geführt hatten : Unter anderem
entdeckte er die Hl. Notburga wieder, erfand nach dem Vorbild Simons von Trient
sein Nordtiroler Pendant Anderl von Rinn (vgl. hier S. 826–828) und propagierte
neue, erst kurz zuvor kanonisierte Heilige, nämlich Francisca Romana und Karl
Borromäus. Letzterem ließ er an der Volderer Brücke nach eigenen Plänen auch
eine Kirche errichten. In seinen Werken stellte er die katholische Orthodoxie als
einzigen Weg zur Seligkeit dar und lehnte es stets ab, so zu schreiben, dass „man
kaum erkennen kann, ob ein heidnisches Buch einen belehrt, ob es von einem
Katholiken oder von einem Ketzer geschrieben wurde“ (Chylosophia, [VIII] ; num
gentilis docuerit liber, a catholico an haeretico scriptus sit, haud facile animadvertas).
Im Unterschied zur seiner Rolle als ‚Volksschriftsteller‘ hatten Guarinonius’
lat. Schriften auf dem Gebiet der Medizin ein kleineres, dafür aber gebildeteres
Ziel pub likum, vor welchem er die ganze Subtilität seiner Gelehrsamkeit entfalten
konnte, sei es in der Polemik, sei es in der Darstellung medizinischer Entdeckungen
oder auch bei der Lösung an ihn herangetragener praktischer Probleme.
Die 1638 verfasste Schrift mit dem langen und sperrigen barocken Titel Sancto
Simoni […] trium medicorum B.S., P.L., H.G. medela […] curato actam medendi
methodum de tribus infimus […] vovet („Dem durch Hilfe dreier Ärzte, B.S., P.L.
und H.G. […] geheilten […] Hl. Simon widmet […] der niedrigste von den dreien
die durchgeführte Methode der Heilung“ ; Autograph in BCT, ms. 1935, zeitgenös-
sische Abschrift in TLMF, Dip. 272/1 ; vgl. Abb. 90, 91) kann zwar nur bedingt zu
den medizinischen Schriften gezählt werden – sie zeigt Guarinonius in der Rolle
des Heilers eines längst Verstorbenen, nämlich als Konservator der Reliquie des
Simon von Trient (vgl. hier S. 67–69) –, sei aber der Einfachheit halber an dieser
Stelle erörtert.
1636 entdeckten zwei Trientner Würdenträger, der Domherr Giovanni Francesco
Gentilotti und der Weihbischof Giovanni Paolo Ciurletta, dass sich der einbalsa-
2 Vgl. für das definitive Schriftenverzeichnis Neuhauser 2008, wo auch die Überlieferungsfrage aus-
führlich behandelt wird.
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 1
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 602
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Überblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593