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„Das moderne Wohnprinzip“ – Zwischen Bauhaus und Wien
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Den Tisch Ti27 und den Cocktailwagen Ti/Sch6a ließ Berkovich gar nicht erst ver-
suchsweise herstellen, da er die Produktionskosten für die Klapptechnik des Tischs als zu
hoch erachtete und die Schiebetechnik des Cocktailwagens für unbrauchbar hielt: „Op-
pervlakte afmeting (44 cm) en te kleine rollen maken deze meubel onbruikbaar daar op
tapijt zelfs op oude materiaal niet zal rollen.“213 [Oberflächengröße (44 cm) und kleine
Rollen machen dieses Möbel unbrauchbar, weil es auf Teppich, sogar auf altem Material,
nicht rollen wird.]214 Als zu teuer in der Produktion beurteilte er auch den Drehstuhl
S12, zu dem er notierte: „Als bureaustoel zeer kostbaar. Tegenover de in de handel zijnde
modellen biedt weinig voordeelen en 100% duurder.“215 [Für einen Bürostuhl sehr teuer.
Gegenüber den im Handel erhältlichen Modellen wenig Vorteile und 100% teurer.]216
Zu den Entwürfen, für die sich Metz & Co dagegen ernsthaft interessierte, gehörte das
1936/1937 entwickelte Möbelspiel, ein Baukasten zum Bauen von Kindermöbeln und
Spielzeug (Kom.-Nr. S.R.21), mit dessen zeichnerischer Ausarbeitung vor allem die Mit-
arbeiterin Eugenie Pillat beschäftigt war (Abb. 221).217 Durch einen Brief von Metz &
Co an Franz Singer ist die Suche nach einem Hersteller belegt: „Weiter ist heute ebenfalls
das Spielzeug fertiggekommen auszer [sic!] den zwei groszen [sic!] Rädern. Wir haben ja
endlich eine Fabrik gefunden, die dieses Spielzeug machen kann. [...] Jetzt möchten wir
postwendend von Ihnen eine Angabe empfangen von den Farben des Kinderspielzeuges
und weiter eine Erklärung, wie man die Spiele kombinieren kann.“218 Trotz dieses Hin-
weises bleibt eine tatsächliche Produktion ungewiss.219
Ins Sortiment aufgenommen wurden definitiv zwei runde Stahlrohrtische (Kom.-
Nr. S.R.1a, Kom.-Nr. S.R.1b). Beide sind in dem um 1936 erschienenen Verkaufskata-
Im Archiv der Firma befinden sich jedoch noch weitere Zeichnungen mit den Kommissionsnum-
mern S.R.2, S.R.5, S.R.9, S.R.22–S.R.23.
213 SAA, Archiv Metz & Co, Liste von Elmar Berkovich, Inv.-Nr. 977-203.
214 Übersetzung d. Verf.
215 SAA, Archiv Metz & Co, Liste von Elmar Berkovich, Inv.-Nr. 977-203.
216 Übersetzung d. Verf.
217 Pillat war vornehmlich mit der Ausarbeitung des Möbel-Spiels betraut, dies belegen die Angaben ih-
rer Arbeitszeitnachweise. Siehe: AGS, Arbeitszeitnachweise von Eugenie (Jenny) Pillat aus dem Jahr
1936: 13.–18.7.1936, 26.–31.7.1936, 2.–8.8.1936, 31.8–6.9.1936, 7.–12.9.1936, 14.–19.9.1936,
21.–26.9.1936, 28.9–3.10.1936, 5.–10.10.1936, 12.–17.10.1936, 26.–31.10.1936, 1.–7.11.1936,
30.11.–5.12.1936, 7.–12.12.1936, 14.–19.12.1936.
218 SAA, Brief Metz & Co an Franz Singer, um 1936, Inv.-Nr. 977-203.
219 Frederike Huygen schreibt, dass der Baukasten tatsächlich von Metz & Co ausgeführt worden sei,
bezeichnet ihn jedoch mit dem Namen des früher entstandenen Phantasus-Baukasten: „Deze bou-
wdoos, een ontwerp van Dicker en Singer genaamd ‚Phantasius‘ uit ca 1924, was in de jaren dertig
in Engeland geproduceerd en werd in 1937 door Metz uitgevoerd.“ Siehe: Huygen 1993, S. 143.
[Dieser Baukasten, ein Entwurf von Dicker und Singer mit der Bezeichnung ‚Phantasius‘ von etwa
1924, wurde in den 1930er-Jahren in England hergestellt und 1937 von Metz ausgeführt.] Überset-
zung d. Verf.
© 2021 Böhlau Verlag | Brill Österreich GmbH
https://doi.org/10.7767/9783205213161 | CC BY-NC 4.0
Bauhaus in Wien?
Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Titel
- Bauhaus in Wien?
- Untertitel
- Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Autor
- Katharina Hövelmann
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21316-1
- Abmessungen
- 17.4 x 25.6 cm
- Seiten
- 492
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung 9
- 1.1 Ein vergessenes Kapitel Wiener Design- und Architekturgeschichte 9
- 1.2 Forschungsstand 10
- 1.3 Quellenlage 15
- 1.4 Forschungsziele und Methodik 21
- 2 Dickers und Singers künstlerische Ausbildung im Zeichen von Kunstschulreform und Lebensreformbewegung 27
- 2.1 Die Zeit in Wien 27
- 2.1.1 Herkunft und Ausbildung bis 1916 27
- 2.1.2 Kunstschule Johannes Itten und Netzwerke 1916–1919 33
- 2.2 Studienzeit am Bauhaus in Weimar 1919–1923 47
- 2.2.1 Die Wiener Gruppe um Johannes Itten 47
- 2.2.2 Unterricht 56
- 2.2.3 Erste Architekturentwürfe – Vier Einfamilienhäuser 77
- 3 Berufliche Anfänge 89
- 3.1 Aufträge für Theater in Dresden und Berlin 1921–1922 89
- 3.2 Werkstätten Bildender Kunst GmbH, Berlin 1923–1926 92
- 3.2.1 Arbeiten für Die Truppe 107
- 3.2.2 Die Auflösung 114
- 4 Die Wiener Ateliergemeinschaft 1925–1938 117
- 4.1 Die Zusammenarbeit von Dicker und Singer 1925–1931 117
- 4.2 Architekturfachkenntnis im Hintergrund – Die AteliermitarbeiterInnen 134
- 4.3 AuftraggeberInnen 140
- 4.4 Strategien der Bewerbung 147
- 4.4.1 Axonometrie und Modell 147
- 4.4.2 Fotografie 154
- 4.4.3 Publikationen 157
- 4.5 Dickers und Singers Wege ab 1933/1934 162
- 5 „Das moderne Wohnprinzip“ – Zwischen Bauhaus und Wien 173
- 5.1 Das Bauhaus als Basis 173
- 5.2 Zur Situation in Wien – Innenraumgestaltung und Architektur 175
- 5.2.1 Die Wiener Moderne um 1900 175
- 5.2.2 Wien in der Zwischenkriegszeit 177
- 5.3 Theorie und Anspruch der Ateliergemeinschaft 182
- 5.4 Einrichtungsgegenstände: Möbel, Leuchten und Kachelöfen 185
- 5.4.1 Vom Einzelstück zur Typisierung – Frühe Möbel 1925–1929 185
- 5.4.1.1 Bauhaus und De Stijl als Vorbild 185
- 5.4.1.2 Verwandelbarkeit als Prinzip 202
- 5.4.1.3 Verbindungen zum Wiener Jugendstil und Biedermeier 210
- 5.4.1.4 Zwischen sozialem und künstlerischem Anspruch: Typisierungstendenzen 216
- 5.4.1.5 Möbeltischler und Hersteller 228
- 5.4.2 Wege zur Serienfabrikation – Stahlrohr- und Sperrholzmöbel 1929–1938 230
- 5.4.2.1 Der Stahlrohrstapelstuhl von Bruno Pollak 234
- 5.4.2.2 Stahlrohrmöbelentwürfe der Ateliergemeinschaft 238
- 5.4.2.3 Hersteller und Produktionsversuche der Stahlrohrmöbel 251
- 5.4.2.4 Entwürfe für die Firma Metz & Co 253
- 5.4.2.5 Sperrholzmöbel 261
- 5.4.2.6 Produktionsversuche der Sperrholzmöbel 264
- 5.4.3 Eine Welt für Kinder – Kindermöbel und Baukastenspiele 1927–1938 266
- 5.4.4 Leuchten und andere Metallarbeiten 289
- 5.4.5 Kachelöfen 302
- 5.5 Raumgestaltungen und Architektur 309
- 5.5.1 Verwendung von Farbe als Gestaltungsmittel 309
- |5.5.2 Intervention im Haus Moller von Adolf Loos und im dazugehörigen Garten 319
- 5.5.2.1 Ein neu entdeckter Möblierungsentwurf 319
- 5.5.2.2 Das Zimmer für Anny Wottitz-Moller 334
- 5.5.2.3 Das Gartenhaus 337
- 5.5.3 Wohnkonzepte auf kleinster Fläche 339
- 5.5.3.1 Einwohnräume 339
- 5.5.3.2 „Wachsende Häuser“ – Entwürfe für Kleinhauswohnbauten in Palästina 362
- 5.5.4 Fulminanter Höhe- und Endpunkt – Das Gästehaus Auersperg-Hériot 379
- 5.6 Epilog: Sozialer Anspruch oder Zeitgeist? – Eine kritische Bewertung 411
- 6 Resümee und Ausblick 417
- 7 Anhang 425
- 7.1 Quellentexte 425
- 7.2 Biografie Friedl Dicker / Franz Singer 428
- 7.3 Archive und Sammlungen 431
- 7.4 Literatur 436
- 7.5 Webseiten 473
- 7.6 Bildnachweis 477
- 7.7 Abkürzungen 480
- 7.8 Abstract 481
- 7.9 Register 482