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„Das moderne Wohnprinzip“ – Zwischen Bauhaus und Wien
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durch eine kreisrunde Öffnung in der Decke geführt. Die Idee könnte für Singers Ent-
wurf vorbildhaft gewesen sein (Abb. 424).
Die Außenbepflanzung hatte jedoch ihre Tücken, denn bereits zwei Jahre später zeig-
ten sich erhebliche Frostschäden am Bau. Dies betraf die Blumenbehältnisse auf der
Dachterrasse, deren Auskleidungen stark verwittert waren und daher ausgewechselt wer-
den mussten. Auf der unteren Terrasse mussten die blauen Fliesen neu verlegt werden
und der darunter „aufgefrorene“ Unterlagebeton sowie die an den Randstellen „aufgefro-
renen“ schwarzen Terrassen-Platten vollständig erneuert werden.538 Ursache war offenbar
die Erde, die sich bei Frost in den Blumenbehältern und Grasfugen ausdehnte und den
Bau stark beschädigte. Zudem wurden auch Wasserschäden am Bau festgestellt. Im Be-
dienstetenzimmer II und im Gästezimmer I hatten sich Wasserflecken aufgrund schad-
hafter Leitungen gebildet, am Dach des Aufzugs war der Wassereinlauf zu hoch versetzt,
sodass das Wasser nicht richtig ablief, und der Aufzugsmotor hatte Schaden aufgrund der
herrschenden Feuchtigkeit im Maschinenraum im Keller genommen.539 Fotos, die einen
späteren Zustand des Hauses dokumentieren, sind nicht erhalten. Allerdings bezeugen
Fotografien des 1928 erbauten Tennisklubhauses für Hans Heller, dass auch dieses Ge-
bäude wenige Jahre später bereits einen stark verwitterten Eindruck machte, vermutlich
wurde es aus diesem Grund bereits um 1935 wieder abgetragen (Abb. 425).540 Mit der
Priorität der Optik ohne Rücksicht auf die Bauqualität zeigt sich ebenfalls eine Parallele
zu anderen Bauten der Moderne, so war beispielsweise auch das zur Terrasse ausgebaute
Flachdach der von Le Corbusier und Pierre Jeanneret geplanten Villa Savoye undicht
und das Haus von den EigentümerInnen daher de facto nicht nutzbar.
Das frisch fertiggestellte Gästehaus war jedoch von den Auersperg-Hériots zunächst so
positiv aufgenommen worden, dass 1934 der Gedanke aufkam, auch das erst wenig zuvor
von Fritz Reichl 1931 eingerichtete Wohnhaus durch Singers Atelier nochmals umge-
stalten zu lassen. Aufwändige Axonometrien und Grundrisse zeigen Ideen für die Halle
mit dem Treppenhaus, für das Wohn- und Bibliothekszimmer im Erdgeschoss, für das
Wohnzimmer im Obergeschoss sowie für das Damen- und Herrenzimmer mit angren-
zendem Ankleide- und Badezimmer (Abb. 426). Pläne veranschaulichen die raumspa-
rende Umgestaltung des Damenschlafzimmers. Dort war wie im Gästehaus ein Podest
mit Drehbett und dahinter liegendem „Schrankraum“ geplant (Abb. 427). Kennzeich-
nend für die Einrichtungsentwürfe sind die klar gegliederten Räume mit Wandschränken
und wenigen frei im Raum aufgestellten Möbeln.
538 AGS, Brief Leopoldine Schrom an Baumeister Carl Fleischer am 4.5.1935 als Beilage eines Briefes
an Hildegard Auersperg-Hériot, 4.5.1935.
539 AGS, Brief Leopoldine Schrom an Baumeister Carl Fleischer am 4.5.1935 als Beilage eines Briefes
an Hildegard Auersperg-Hériot, 4.5.1935; Brief Leopoldine Schrom an Franz Singer, 6.5.1935.
540 Vgl. BHA, Fotosammlung, Franz Singer, Inv.-Nr. 7909/108.
© 2021 Böhlau Verlag | Brill Österreich GmbH
https://doi.org/10.7767/9783205213161 | CC BY-NC 4.0
Bauhaus in Wien?
Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Titel
- Bauhaus in Wien?
- Untertitel
- Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Autor
- Katharina Hövelmann
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21316-1
- Abmessungen
- 17.4 x 25.6 cm
- Seiten
- 492
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung 9
- 1.1 Ein vergessenes Kapitel Wiener Design- und Architekturgeschichte 9
- 1.2 Forschungsstand 10
- 1.3 Quellenlage 15
- 1.4 Forschungsziele und Methodik 21
- 2 Dickers und Singers künstlerische Ausbildung im Zeichen von Kunstschulreform und Lebensreformbewegung 27
- 2.1 Die Zeit in Wien 27
- 2.1.1 Herkunft und Ausbildung bis 1916 27
- 2.1.2 Kunstschule Johannes Itten und Netzwerke 1916–1919 33
- 2.2 Studienzeit am Bauhaus in Weimar 1919–1923 47
- 2.2.1 Die Wiener Gruppe um Johannes Itten 47
- 2.2.2 Unterricht 56
- 2.2.3 Erste Architekturentwürfe – Vier Einfamilienhäuser 77
- 3 Berufliche Anfänge 89
- 3.1 Aufträge für Theater in Dresden und Berlin 1921–1922 89
- 3.2 Werkstätten Bildender Kunst GmbH, Berlin 1923–1926 92
- 3.2.1 Arbeiten für Die Truppe 107
- 3.2.2 Die Auflösung 114
- 4 Die Wiener Ateliergemeinschaft 1925–1938 117
- 4.1 Die Zusammenarbeit von Dicker und Singer 1925–1931 117
- 4.2 Architekturfachkenntnis im Hintergrund – Die AteliermitarbeiterInnen 134
- 4.3 AuftraggeberInnen 140
- 4.4 Strategien der Bewerbung 147
- 4.4.1 Axonometrie und Modell 147
- 4.4.2 Fotografie 154
- 4.4.3 Publikationen 157
- 4.5 Dickers und Singers Wege ab 1933/1934 162
- 5 „Das moderne Wohnprinzip“ – Zwischen Bauhaus und Wien 173
- 5.1 Das Bauhaus als Basis 173
- 5.2 Zur Situation in Wien – Innenraumgestaltung und Architektur 175
- 5.2.1 Die Wiener Moderne um 1900 175
- 5.2.2 Wien in der Zwischenkriegszeit 177
- 5.3 Theorie und Anspruch der Ateliergemeinschaft 182
- 5.4 Einrichtungsgegenstände: Möbel, Leuchten und Kachelöfen 185
- 5.4.1 Vom Einzelstück zur Typisierung – Frühe Möbel 1925–1929 185
- 5.4.1.1 Bauhaus und De Stijl als Vorbild 185
- 5.4.1.2 Verwandelbarkeit als Prinzip 202
- 5.4.1.3 Verbindungen zum Wiener Jugendstil und Biedermeier 210
- 5.4.1.4 Zwischen sozialem und künstlerischem Anspruch: Typisierungstendenzen 216
- 5.4.1.5 Möbeltischler und Hersteller 228
- 5.4.2 Wege zur Serienfabrikation – Stahlrohr- und Sperrholzmöbel 1929–1938 230
- 5.4.2.1 Der Stahlrohrstapelstuhl von Bruno Pollak 234
- 5.4.2.2 Stahlrohrmöbelentwürfe der Ateliergemeinschaft 238
- 5.4.2.3 Hersteller und Produktionsversuche der Stahlrohrmöbel 251
- 5.4.2.4 Entwürfe für die Firma Metz & Co 253
- 5.4.2.5 Sperrholzmöbel 261
- 5.4.2.6 Produktionsversuche der Sperrholzmöbel 264
- 5.4.3 Eine Welt für Kinder – Kindermöbel und Baukastenspiele 1927–1938 266
- 5.4.4 Leuchten und andere Metallarbeiten 289
- 5.4.5 Kachelöfen 302
- 5.5 Raumgestaltungen und Architektur 309
- 5.5.1 Verwendung von Farbe als Gestaltungsmittel 309
- |5.5.2 Intervention im Haus Moller von Adolf Loos und im dazugehörigen Garten 319
- 5.5.2.1 Ein neu entdeckter Möblierungsentwurf 319
- 5.5.2.2 Das Zimmer für Anny Wottitz-Moller 334
- 5.5.2.3 Das Gartenhaus 337
- 5.5.3 Wohnkonzepte auf kleinster Fläche 339
- 5.5.3.1 Einwohnräume 339
- 5.5.3.2 „Wachsende Häuser“ – Entwürfe für Kleinhauswohnbauten in Palästina 362
- 5.5.4 Fulminanter Höhe- und Endpunkt – Das Gästehaus Auersperg-Hériot 379
- 5.6 Epilog: Sozialer Anspruch oder Zeitgeist? – Eine kritische Bewertung 411
- 6 Resümee und Ausblick 417
- 7 Anhang 425
- 7.1 Quellentexte 425
- 7.2 Biografie Friedl Dicker / Franz Singer 428
- 7.3 Archive und Sammlungen 431
- 7.4 Literatur 436
- 7.5 Webseiten 473
- 7.6 Bildnachweis 477
- 7.7 Abkürzungen 480
- 7.8 Abstract 481
- 7.9 Register 482