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36 An mulier sit capax imperii? Die Reichspublizistik zur Rolle der Kaiserin
Justus Lipsius, eine Herrschaftsbeteiligung von Kaiserinnen zu vertreten. Doch selbst Mel-
chior Goldast, der dabei 1613 wohl am weitesten ging, platzierte seine Stellungnahme in-
nerhalb der allgemeinen Rechtsnormen der Zeit, die Herrschaft von Frauen grundsätzlich
ablehnte82. Die Herrschaft ausübende Frau als Ausnahme – im konkreten Fall aufgrund
ihres besonderen Ranges und der damit verbundenen besonders ausgeprägten Tugenden
– war dabei wie gesagt nicht nur in der Reichspublizistik eine mögliche Rechtfertigungs-
strategie. Schließlich trug im 18. Jahrhundert die stärkere Reflexion nicht verschriftlichter
Rechtstraditionen noch weiter zur Marginalisierung der juristisch akzeptierten Hand-
lungsfelder der Kaiserin bei.
Inhaltliche Schwerpunkte der Reichspublizistik
Die Majestas-Debatte
Eine der grundlegenden Debatten der Reichspublizistik handelte davon, wer in welchem
Ausmaß im Heiligen Römischen Reich über „souveraineté“ verfügte83. Dieser zentrale Be-
griff des bedeutenden französischen Juristen Jean Bodin84 wurde in der – bis ins 18. Jahr-
hundert auf Lateinisch geführten – reichspublizistischen Diskussion mit „majestas“ über-
setzt. Das Konzept der Majestas als Verbindung von öffentlichem Recht und Politica im
Sinne von Staatswissenschaft85 spielte eine maĂźgebliche Rolle bei Diskussionen um die
Rolle des Kaisers und die Staatlichkeit des Reiches. Dass gerade in den ersten Jahrzehnten
der publizistischen Debatte der Status der Kaiserin dabei einbezogen wurde, ist selbst in
Untersuchungen wie der von Rudolf Hoke ĂĽber das fĂĽr diese Diskussion wesentliche Werk
von Johannes Limnaeus86 nicht berĂĽcksichtigt worden.
Oben war bereits angesprochen worden, dass Bodin selbst in seinen „Six livres“ „weib-
liche“ Souveränität mehrfach erwähnte; jedoch blieb sie ausnahmslos negativ konnotiert.
Auf die grundsätzlich misogynen Prämissen des Werkes hat Claudia Opitz bereits vor
einigen Jahren hingewiesen87. Als Kern herrscherlicher Souveränität, eben von Majestas,
galt Bodin dabei die Gesetzgebungskompetenz. Daneben gehörten die Entscheidungsge-
82 Wunder, Herrschaft; Koch, Frau im Recht.
83 Siehe dazu generell Gross, Empire; Stolleis, Reichspublizistik, 156–166, 177; Hoke, Reichspub-
lizistik, 722.
84 Dabei scheint Bodin eher über lateinische als über französische Ausgaben rezipiert worden zu sein,
siehe etwa Carpzov, Disputatio feudalis, Questio II, 22.
85 Gross, Empire, 136; Stollberg-Rilinger, Des Kaisers Kleider, 141–146.
86 Hoke, Limnaeus.
87 Opitz, Bodin, 20 und oft.
https://doi.org/10.7767/ 9783205213383 | CC BY 4.0
© BRILL Österreich GmbH Böhlau Verlag, Zeltgasse 1/6a, A-1080 Wien
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Die Kaiserin
Reich, Ritual und Dynastie
- Title
- Die Kaiserin
- Subtitle
- Reich, Ritual und Dynastie
- Author
- Katrin Keller
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21338-3
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 430
- Keywords
- Heiliges Römisches Reich, Kaiserin, Kulturgeschichte, Geschlechtergeschichte, Krönung
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Kaiserin und Reich: Einleitung 9
- An mulier sit capax imperii? Die Reichspublizistik zur Rolle der Kaiserin 21
- Ăśberblick 22
- Wie wird man Kaiserin? 29
- Inhaltliche Schwerpunkte der Reichspublizistik 36
- Die Majestas-Debatte 36
- Der Rang der Kaiserin: Die Diskussion um die Goldene Bulle 42
- Juribus singularis: Privilegien und Rechte der Kaiserin 47
- Welche Rechte hat die Kaiserin? 48
- Die Erzämter 53
- Das Ius Primariarum Precum 58
- Schluss 62
- Die Krönung der Kaiserin im Heiligen Römischen Reich der Frühen Neuzeit 65
- Der rituelle Ablauf 68
- Traditionen: Die Krönung im Mittelalter 68
- Der Ablauf der Krönung 71
- Ritual und Geschlecht 82
- Die Kaiserinnenkrönung als Inszenierung des Reiches: Konstellationen und Konflikte 86
- Kaiser und KurfĂĽrsten 87
- 1612: Der Neuanfang 103
- 1630: Die Verlegenheitslösung 110
- 1637: Kaiserin und Königin 114
- 1653: Kompetenzen und Präzedenzen 122
- 1690: Zeremonialkonflikte 133
- 1742: Abgesang? 142
- Schluss 153
- Kaiserinnen in den Medien 157
- Kaiserinnen in gedruckten Medien: Ein Ăśberblick 160
- Eigenständige Publikationen 161
- Chronikwerke 171
- Zeitungen 178
- Die Krönung als Medienereignis 181
- Medienformen 183
- Die Krönungsbeschreibungen 191
- Texte und Bilder 200
- Die mediale Präsenz der Krönungen im Vergleich 225
- Die Kaiserin in aller Munde? Die Geburt des Thronfolgers 1716 226
- Lucerna abscondita: Wie gedenkt man einer Kaiserin? 232
- Schluss 241
- Handlungsfelder 245
- Kaiserliche Repräsentation: Audienzen 248
- Audienzen beim Reichstag 1653 252
- Audienzen in Wien 254
- Dauer und Gegenstand von Audienzen 258
- Audienzen für reichsständische Diplomaten 261
- Netzwerke: Korrespondenzen 268
- Zur Ăśberlieferung 268
- Das Korrespondenzregister Kaiserin Eleonora Magdalenas (I) 271
- GruĂźbriefe und Courtoisieschreiben 273
- Jenseits von Korrespondenzen: Patenschaften und Damenorden 277
- FĂĽrbitten 279
- Das Korrespondenzregister Kaiserin Eleonora Magdalenas (II) 279
- Die Kaiserin als FĂĽrsprecherin: Beispiele 284
- Die Regentin: Kaiserin-Witwe Eleonora Magdalena und die Kaiserwahl 1711 297
- Die BegrĂĽndung der Regentschaft 300
- Zum Selbstverständnis der Regentin 304
- Die Kaiserwahl als Aufgabe 309
- Schluss 319
- Kaiserin und Reich: Schluss 323
- Anhang 331
- Die Königinnen und Kaiserinnen der Frühen Neuzeit 331
- Aufenthalte von Königinnen bzw. Kaiserinnen „im Reich“ (ca. 1550 bis 1745) 332
- Korrespondentinnen und Korrespondenten von Kaiserin Eleonora
- Magdalena im Heiligen Römischen Reich 1697–1705 334
- Verwendete Darstellungen der Reichspublizistik 337
- Ungedruckte und gedruckte Krönungsbeschreibungen 344
- Tabellenverzeichnis 354
- Abbildungsverzeichnis 355
- AbkĂĽrzungsverzeichnis 356
- Quellenverzeichnis 357
- Literaturverzeichnis 367
- Gedruckte Quellen und Editionen 367
- Mehrfach zitierte Onlineressoucen 377
- Literatur 378
- Personenregister 410
- Ortsregister 427