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Verbreitung des Humanismus mit seinen rhetorischen Bildungsgedanken und litera-
rischen Formen spielt Piccolomini daher eine zentrale Rolle: „Daß von Eneas Silvius
Piccolomini wenn schon nicht der erste, so doch der erste wichtige und vor allem
nachhaltige Impuls für die Rezeption des Frühhumanismus in Österreich ausgegan-
gen ist, ist in der modernen Forschung unbestritten.“40
Wie bei vielen anderen Humanisten, in Italien und nördlich der Alpen, erweist
sich allerdings die erste Zeit des Aufenthaltes am Hof als sehr schwierig, da die tra-
ditionellen Strukturen von Kirche, Politik, Militär und Feudalsystem dem Intellek-
tuellen zunächst misstrauisch bis ablehnend gegenüber stehen. In dem auf Grund
seines Inhaltes als De miseriis curialium titulierten Brief aus Bruck an der Mur im
November 1444 an seinen deutschen Freund Johann von Eych zieht Piccolomini
eine weitgehend negative Bilanz und schildert in mehreren – zweifellos in rhetori-
scher Absicht dramatisierten – Beispielen die vielfältigen Hindernisse, die sich sei-
nen Ambitionen entgegen stellen. Ganz im Sinne der Moralphilosophie Petrarcas
entwirft er ein abschreckendes Bild von der Sklaverei höfischer Existenz, die von
leidenschaftlichem Ehrgeiz dominiert wird. Der Autor nennt fünf Begierden, die die
Höflinge unaufhörlich tyrannisieren:
Mihi videntur omnes qui regum vel principum latera stipant aut honores quae-
rere famamque saeculi aut potentiam et divitias aut voluptates ; nec inficias non-
nullos esse qui se apud principes lucrari animas arbitrentur, ut meritum tanto
maius nanciscantur, quanto cum maiore periculo militaverint.41
Ehrsucht, Ruhm, Macht, Reichtum und Sinneslust treiben selbst jene an, die ihre
Seele in diesem Umfeld einer gefährlichen Bewährung aussetzen möchten. Illus-
triert mit Verweisen auf die antike Literatur, deformiert Piccolomini in seinen dras-
tischen Bildern das Hofleben zu einem Narrenspital, in welchem die psychischen
und physischen Leiden zu unheilbaren und absurden, weil selbst gewählten Martern
werden. Dazu kommt noch die ökonomische Abhängigkeit, die den anständigsten
Menschen zum skrupellosen Schmeichler werden lässt, der um des nackten Überle-
bens willen perfideste Demütigungen auf sich nehmen muss.
Mit dem zunehmenden Vordringen von Nichtadeligen in die höfischen Instan-
zen des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit findet auch diese antihöfische Sa-
tire als literarische Gattung eine weite Verbreitung. Piccolominis Brief gehört dabei
40 Wagendorfer: Eneas Silvius Piccolomini, S. 21.
41 Wolkan: Der Briefwechsel, S. 454.
Enea Silvio Piccolomini in Wien
Die italienische Literatur in Österreich
Von den Anfängen bis 1797, Volume I
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die italienische Literatur in Österreich
- Subtitle
- Von den Anfängen bis 1797
- Volume
- I
- Author
- Alfred Noe
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78730-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 780
- Keywords
- Italian Literature, Habsburg Monarchy, Libretto, Court Festivities
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Einführung 9
- I. Der italienische Humanismus in Österreich 27
- II. Der Petrarkismus und die Akademiebewegung in Österreich 79
- II.1 Petrarkismus und protestantischer Adel 81
- II.2 Die Rezeption der Madrigalistik an den Höfen 87
- II.3 Barocke Akademien 92
- III. Die religiöse Literatur von der Gegenreformation zur katholischen Frühaufklärung 99
- III.1 Reformorden aus Italien und ihre Volksmissionen 101
- III.2 Die kontemplative Literatur für Laien 114
- III.3 Die katholische Frühaufklärung 127
- IV. Die italienische Improvisationskomödie 135
- V. Die literarische Selbstdarstellung des Kaiserhofes im Barock 199
- V.1 Die Bedeutung der Historiographie 208
- V.2 Die Funktion der kaiserlichen Hofdichter 214
- V.3 Geistliche Musikdramen und Oratorien 218
- V.4 Die Rezeption des italienischen Musiktheaters zu Beginn des 17. Jahrhunderts 263
- V.5 Serenaden, Kammerfeste und andere Kleinformen 274
- V.6 Ballette und Einleitungen zu Balletten 293
- V.7 Aufzüge und Rossballette 302
- V.8 Musikalische Feste 305
- V.9 Faschingsopern 314
- V.10 Opern zu Geburts- und Namenstagen im Kaiserhaus 334
- V.11 Opern zu Geburten im Kaiserhaus 369
- V.12 Hochzeitsopern 375
- VI. Die italienische Aufklärung in Österreich 385
- VII. Von der Spätaufklärung zur Frühromantik 490
- VIII. Die Verbreitung der italienischen Literatur 531
- IX. Verzeichnis der Drucke 549