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Der italienische Humanismus in
Österreich50
genarium de amore conveniat audire? Iuvenes animos res ista delectat et tenera
corda deposcit. Senes autem tam idonei sunt amoris auditores quam prudentie
iuvenes.69
Auf angebliches, rhetorisch vorgeschütztes Drängen von Sozzini erzählt er dennoch
eine wahre Geschichte, um die zahlreichen Gefahren der Liebe (die der Autor selbst
auch durchgestanden hat, wie er ähnlich Boccaccio in seinem Vorwort zum Deca-
meron gesteht) zu illustrieren. Die Geschichte dieser beiden Liebenden könnte viel-
leicht nützlich sein, denn die weibliche Hauptfigur starb an Liebeskummer und ihr
Liebhaber litt auch zeit seines Lebens an der tragischen Erinnerung:
Instruit hec historia iuvenes, ne militie se accingant amoris, que plus fellis habet
quam mellis, sed obmissa lascivia, que homines reddit insanos, virtutis incumbant
studiis, que possessorem sui sola beare potest. In amore autem quot lateant mala,
si quis nescit, hinc poterit scire.70
Als der deutsche Kaiser Sigismund 1432 auf der Reise nach Rom mit seinem Ge-
folge in Siena einzieht, kommen ihm die vornehmen Frauen der Stadt, unter ihnen
die verheiratete Protagonistin Lucretia, in einer Prozession entgegen. Die erste Be-
schreibung Lucretias folgt genau dem Blick des zunehmend interessierten Betrach-
ters: größer als die anderen, goldblonde Haarfülle, darin Gold und Edelsteine, hohe
harmonisch weite Stirn ohne Falten, dunkle und zart geschwungene Augenbrauen in
perfektem Abstand, strahlende Augen voll sonnengleicher Kraft, gerade Nase, rosige
Wangen mit Grübchen beim Lachen, schöner kleiner Mund, korallenrote Lippen,
kleine regelmäßige Zähne wie aus Kristall und süßer Fluss der Rede.71 Es ist dies ein
Porträt ganz in der Tradition des italienischen dolce stil nuovo des 13. Jahrhunderts
und der petrarkistischen Liebeslyrik, verbunden mit metaphorischen Elementen der
Bibel und klassischer Autoren. Der männliche Protagonist Euryalus, angeblich der
69 Chiarini (Hg.): Novelle italiane. Il Quattrocento, S. 132.
70 Chiarini (Hg.): Novelle italiane. Il Quattrocento, S. 136.
71 Statura mulieris eminentior reliquis. Comae illi copiosae et aureis laminis similes, quas non more virginum
retrofusas miserat, sed auro gemmisque incluserat. Frons alta spatiique decentis nulla intersecta ruga. Superci-
lia in arcum tensa, pilis paucis nigrisque, debito intervallo disiuncta. Oculi tanto nitore splendentes, ut in solis
modum respicientium intuitus hebetarent. His illa et uccidere, quos voluti, poterat et mortuos, cum libuisset,
in vitam resumere. Nasus in filum directus roseas genas aequali censura disterminabat. Nihil his genis amabi-
lius, nihil delectabilius visu; quae, cum mulier risit, in parvam utrimque dehiscebant foveam. Nemo has vidit,
qui non cuperet oculari. Os parvum decensque. Labia corallini coloris ad morsum aptissima. Dentes parvuli et
in ordinem positi ex cristallo videbantur. Per quos tremula lingua discurrens non sermonem, sed harmoniam
suavissimam movebat. (Piccolomini: Euryalus und Lucretia, S. 4
– 6; alle Zitate nach dieser Ausgabe.)
Die italienische Literatur in Österreich
Von den Anfängen bis 1797, Volume I
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die italienische Literatur in Österreich
- Subtitle
- Von den Anfängen bis 1797
- Volume
- I
- Author
- Alfred Noe
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78730-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 780
- Keywords
- Italian Literature, Habsburg Monarchy, Libretto, Court Festivities
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Einführung 9
- I. Der italienische Humanismus in Österreich 27
- II. Der Petrarkismus und die Akademiebewegung in Österreich 79
- II.1 Petrarkismus und protestantischer Adel 81
- II.2 Die Rezeption der Madrigalistik an den Höfen 87
- II.3 Barocke Akademien 92
- III. Die religiöse Literatur von der Gegenreformation zur katholischen Frühaufklärung 99
- III.1 Reformorden aus Italien und ihre Volksmissionen 101
- III.2 Die kontemplative Literatur für Laien 114
- III.3 Die katholische Frühaufklärung 127
- IV. Die italienische Improvisationskomödie 135
- V. Die literarische Selbstdarstellung des Kaiserhofes im Barock 199
- V.1 Die Bedeutung der Historiographie 208
- V.2 Die Funktion der kaiserlichen Hofdichter 214
- V.3 Geistliche Musikdramen und Oratorien 218
- V.4 Die Rezeption des italienischen Musiktheaters zu Beginn des 17. Jahrhunderts 263
- V.5 Serenaden, Kammerfeste und andere Kleinformen 274
- V.6 Ballette und Einleitungen zu Balletten 293
- V.7 Aufzüge und Rossballette 302
- V.8 Musikalische Feste 305
- V.9 Faschingsopern 314
- V.10 Opern zu Geburts- und Namenstagen im Kaiserhaus 334
- V.11 Opern zu Geburten im Kaiserhaus 369
- V.12 Hochzeitsopern 375
- VI. Die italienische Aufklärung in Österreich 385
- VII. Von der Spätaufklärung zur Frühromantik 490
- VIII. Die Verbreitung der italienischen Literatur 531
- IX. Verzeichnis der Drucke 549