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51Enea
Silvio Piccolomini in Wien
kaiserliche Kanzler Kaspar Schlick, erblickt sie, und beide verlieren ihre Seelenruhe,
denn die entflammte Liebe fordert gnadenlos ihre Erfüllung. Dieser Konflikt zwi-
schen Vernunft und Begierde wird vor allem an den Gewissenskonflikten der verhei-
rateten Lucretia gezeigt:
Excute conceptas e casto pectore flammas si potes, infelix. Si possem, non essem
aegra, ut sum. Nova me vis invitam trahit. Aliud cupido suadet, alia mens. Scio
quid sit melius, quod deterius est sequor.72
Lucretia bezieht schließlich ihre literarische Rechtfertigung aus mythologischen
Vorbildern wie Helena, Ariadne oder Medea und beschließt dann bei sich:
Nemo errantem arguit, qui cum multis errat.73
Als sie die Heimlichkeit ihrer Liebe nicht mehr erträgt, vertraut sich Lucretia einem
langjährigen Diener namens Sosias an, der auf Grund seiner deutschen Abstam-
mung auch helfen kann, die sprachlichen Hürden auf dem Weg zu ihrem Gelieb-
ten zu überwinden. Sosias beschwört die junge Frau, doch vernünftig zu sein und
nicht ihre Position für diese unsinnige Leidenschaft aufs Spiel zu setzen. Vergeblich,
weshalb der Autor Lucretias leichtsinnige Begierden in einem sozialphilosophischen
Kommentar auf ihre finanziellen Möglichkeiten zurückführt:
Ita est sane, ut sapientibus videtur: humiles tantum casas habitat castitas solaque
pauperies affectu sano tenetur et quae domus se coercet modico. Divites aedes
nescit pudicitia.74
Nach einer Reihe von klassischen Textreferenzen von Ovid bis Seneca lässt der
Autor auch den von Lucretia vollkommen faszinierten Franken Euryalus zu dem
fatalen Schluss kommen, dass es vergeblich ist, sich der natürlichen Kraft der Liebe
entgegen stellen zu wollen:
72 O tilge den sich ausbreitenden Brand aus der keuschen Brust, wenn du es kannst, Unselige! Doch woher
die Kraft nehmen? Eine nie gekannt Gewalt reißt mich willenlos fort. Hier lockt die Liebe, dort mahnt
die Vernunft. Ich kenne wohl das Gute und folge doch dem Bösen. (S. 10–11)
73 Ovid: Heroides 4.134; Wer aber mit vielen anderen fehlt, gilt als entschuldigt. (S. 12–13)
74 Es ist wahr, was die Philosophen sagen: Keuschheit und Treue wohnen nur in den Hütten der Armen,
nur wer in Kargheit und Bescheidenheit lebt, hat ein reines Herz. Treu und Schamhaftigkeit meiden die
Häuser der Reichen. (S. 14–15)
Die italienische Literatur in Österreich
Von den Anfängen bis 1797, Volume I
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die italienische Literatur in Österreich
- Subtitle
- Von den Anfängen bis 1797
- Volume
- I
- Author
- Alfred Noe
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78730-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 780
- Keywords
- Italian Literature, Habsburg Monarchy, Libretto, Court Festivities
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Einführung 9
- I. Der italienische Humanismus in Österreich 27
- II. Der Petrarkismus und die Akademiebewegung in Österreich 79
- II.1 Petrarkismus und protestantischer Adel 81
- II.2 Die Rezeption der Madrigalistik an den Höfen 87
- II.3 Barocke Akademien 92
- III. Die religiöse Literatur von der Gegenreformation zur katholischen Frühaufklärung 99
- III.1 Reformorden aus Italien und ihre Volksmissionen 101
- III.2 Die kontemplative Literatur für Laien 114
- III.3 Die katholische Frühaufklärung 127
- IV. Die italienische Improvisationskomödie 135
- V. Die literarische Selbstdarstellung des Kaiserhofes im Barock 199
- V.1 Die Bedeutung der Historiographie 208
- V.2 Die Funktion der kaiserlichen Hofdichter 214
- V.3 Geistliche Musikdramen und Oratorien 218
- V.4 Die Rezeption des italienischen Musiktheaters zu Beginn des 17. Jahrhunderts 263
- V.5 Serenaden, Kammerfeste und andere Kleinformen 274
- V.6 Ballette und Einleitungen zu Balletten 293
- V.7 Aufzüge und Rossballette 302
- V.8 Musikalische Feste 305
- V.9 Faschingsopern 314
- V.10 Opern zu Geburts- und Namenstagen im Kaiserhaus 334
- V.11 Opern zu Geburten im Kaiserhaus 369
- V.12 Hochzeitsopern 375
- VI. Die italienische Aufklärung in Österreich 385
- VII. Von der Spätaufklärung zur Frühromantik 490
- VIII. Die Verbreitung der italienischen Literatur 531
- IX. Verzeichnis der Drucke 549