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209Die
Bedeutung der Historiographie
illustriert das Beispiel des wichtigsten Rivalen des Wiener Kaiserhofes:432 1677 be-
ruft König Ludwig XIV. von Frankreich den angesehensten Autor des Landes, Jean
Racine (1639–99), in diese prestigereiche und finanziell äußerst attraktive Position.
Auch wenn Racine keine bedeutenden Werke auf diesem Gebiet hinterlässt, unter-
streicht allein der Glanz seines Namens den höheren Ruhm seines Dienstgebers.
Diese Aufmerksamkeit für die Historiographie ist auch in Österreich deutlich
zu registrieren und manifestiert sich in zahlreichen italienischen Texten, deren Auf-
gabe es ist, spektakuläre Nachrichten zu verbreiten. So berichtet z.B. die Perfetta
e veridica Relazione delli Processi criminali et Essecutioni delli medesimi, fattasi contro li
3 Conti, Francesco Nadasdi, Pietro di Zrin, e Francesco Christofforo Frangepani (Wien
1671) über die 1666 in Ungarn begonnene so genannte Magnatenverschwörung
(Wesselényi-Verschwörung), welche am 30. April 1671 mit der Hinrichtung u.a. von
Ferenc Nádasdy, Petar Zrinski und Fran Krsto Frankopan in der Ratsstube des alten
Wiener Rathauses zu Ende geht.
Auf dem Gebiet der aktuellen Berichterstattungen sind neben den bereits in Ka-
pitel 2 erwähnten Zeitungen433 vor allem die Veröffentlichungen in Zusammenhang
mit den Türkenkriegen zu erwähnen: Der Hofbuchdrucker und Verleger Johann
van Ghelen verbreitet unmittelbar nach der erfolgreichen Abwehr der zweiten Tür-
kenbelagerung Wiens im September 1683 eine Relazione compendiosa, ma veridica
di quanto è passato nel famoso assedio […] di Vienna, auf welche noch im selben Jahr
weitere einschlägige Berichte folgen: ein Diario del seguito di giorno in giorno durante
l’assedio della città di Vienna tra gli assediati, et il nemico, eine Vera relazione del combat-
timento ottenuto dall’armi cesaree, e polacche contro gli Ottomani, sotto Vienna venuto li
24. settembre 1683 sowie Johann Peter von Vaelckerens Dell’assedio di Vienna con le
vittorie de’ Christiani, das im darauf folgenden Jahr in Neapel nachgedruckt wird.
Das bemerkenswerteste literarische Resultat der Bedrohung Wiens durch die
osmanische Armee stellt das etwas anachronistische, zweifellos an Torquato Tassos
La Gerusalemme liberata (1584) inspirierte Epos von Gabriele Petrina Le glorie della
christianità ovvero Vienna liberata dar, das in Prag erscheint, wo sich der Hof wegen
der kriegerischen Ereignisse zu dieser Zeit aufhält.434
432 Vgl. Friedrich Polleroß: Sonnenkönig und österreichische Sonne. Kunst und Wissenschaft als Fortset-
zung des Krieges mit anderen Mitteln. In: Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte 40 (1987), S. 239 –256.
– Jeroen Duindam: Vienna and Versailles. The courts of Europe’s major dynastic rivals, ca. 1550 –1780.
Cambridge 2003. – Jutta Schumann: Die andere Sonne. Kaiserbild und Medienstrategien im Zeitalter
Leopolds I. Berlin 2003.
433 Ab 1671 Il Corriere ordinario mit dem um 1700 dazu gekommenen Foglio aggiunto all’ordinario; die Jahr-
gänge 1677–1721 sind im Katalog der ÖNB unter Avvisi italiani, ordinarii e straordinarii zu finden.
434 Auch in Italien erscheint eine ganze Reihe derartiger Werke wie z.B. Giuseppe Guazzugli: Vienna as-
Die italienische Literatur in Österreich
Von den Anfängen bis 1797, Volume I
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die italienische Literatur in Österreich
- Subtitle
- Von den Anfängen bis 1797
- Volume
- I
- Author
- Alfred Noe
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78730-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 780
- Keywords
- Italian Literature, Habsburg Monarchy, Libretto, Court Festivities
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Einführung 9
- I. Der italienische Humanismus in Österreich 27
- II. Der Petrarkismus und die Akademiebewegung in Österreich 79
- II.1 Petrarkismus und protestantischer Adel 81
- II.2 Die Rezeption der Madrigalistik an den Höfen 87
- II.3 Barocke Akademien 92
- III. Die religiöse Literatur von der Gegenreformation zur katholischen Frühaufklärung 99
- III.1 Reformorden aus Italien und ihre Volksmissionen 101
- III.2 Die kontemplative Literatur für Laien 114
- III.3 Die katholische Frühaufklärung 127
- IV. Die italienische Improvisationskomödie 135
- V. Die literarische Selbstdarstellung des Kaiserhofes im Barock 199
- V.1 Die Bedeutung der Historiographie 208
- V.2 Die Funktion der kaiserlichen Hofdichter 214
- V.3 Geistliche Musikdramen und Oratorien 218
- V.4 Die Rezeption des italienischen Musiktheaters zu Beginn des 17. Jahrhunderts 263
- V.5 Serenaden, Kammerfeste und andere Kleinformen 274
- V.6 Ballette und Einleitungen zu Balletten 293
- V.7 Aufzüge und Rossballette 302
- V.8 Musikalische Feste 305
- V.9 Faschingsopern 314
- V.10 Opern zu Geburts- und Namenstagen im Kaiserhaus 334
- V.11 Opern zu Geburten im Kaiserhaus 369
- V.12 Hochzeitsopern 375
- VI. Die italienische Aufklärung in Österreich 385
- VII. Von der Spätaufklärung zur Frühromantik 490
- VIII. Die Verbreitung der italienischen Literatur 531
- IX. Verzeichnis der Drucke 549