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219Geistliche
Musikdramen und Oratorien
Richtung dramatischer Bühnenhandlungen in Gang setzt. Auch wenn das geistliche
Musikdrama des Barock erst durch die szenische Realisierung seine ganze dramati-
sche Aussagekraft entfaltet, bleiben doch Rückgriffe auf die ursprünglich statische
Form durchaus aktuell, wodurch die Grenzen zum Oratorium während des 17. und
18. Jahrhunderts bei wechselnden Bezeichnungen der Gattungen schwankend blei-
ben. Wie sich an den einzelnen Werken zeigen wird, muss der Versuch scheitern,
zwischen Sacra rappresentazione, Sepolcro458 und Oratorio eindeutig unterscheiden zu
wollen. Im ersten Viertel des 18. Jahrhunderts vollzieht sich eine immer deutlichere
Abkehr von der szenischen Aufführung, so dass die geistlichen Musikdramen ab
diesem Zeitpunkt gegenüber der vorwiegend konzertanten Form des Oratoriums
an Bedeutung verlieren:
Nach dem Tode Josephs I. scheint ein allmählicher Übergang von der szeni-
schen zur konzertanten Aufführungspraxis eingetreten zu sein. Bis zur Urauf-
führung von Caldaras „Morte e sepultura di Cristo“ im Jahre 1724 finden sich
noch Hinweise auf die spezifische Form der sepolcri, danach ist meist nur mehr
von Oratorien die Rede. Die Tradition verliert sich endlich nach dem Tode
Karls VI. um die Mitte des 18. Jahrhunderts, ohne daß ein genaues Datum des
Erlöschens anzugeben wäre.459
Das Interesse der Fürstenhöfe, allen voran das des Kaiserhofes, an derartigen
religiösen Festlichkeiten steht natürlich in unmittelbarem Zusammenhang mit
der bereits dargelegten Absicht, die katholische Gegenreformation mit Hilfe
von Ordensgemeinschaften und religiösen Praktiken aus Italien in Österreich
voranzutreiben. Die erste nachweisbare Aufführung eines geistlichen Musikdramas in
Wien bildet in Bezug auf Aufführungsort und Publikum ein hervorragendes Beispiel
für die Symbolik der Veranstaltung im Allgemeinen und im Besonderen jener durch
die in den Texten behandelten Themen:
458 Das Sepolcro steht als Kurzform für Rappresentazione sacra al Santissimo Sepolcro und stellt die einzige mu-
sikalische Gattung dar, die autochthon auf dem Boden der kaiserlichen Hofmusikkapelle in Wien ent-
standen ist, kann aber als Libretto – abgesehen von den Hinweisen auf die Szene vor dem Grab – nicht
schlüssig von den anderen Texten für geistliche Musikdramen unterschieden werden. Vgl. auch Maria
Girardi: Al Sepolcro di Cristo: una poetica consuetudinaria. Religione, prassi, devozione e rappresent-
azione nei riti oratoriali del Venerdì Santo, a Vienna e a Venezia. In: Il tranquillo seren del secol d’oro.
Musica e spettacolo musicale a Venezia e a Vienna fra Seicento e Settecento. Mailand 1984, S. 127–196.
– Siegrid Wiesmann: Das Wiener Sepolcro. In: Albert Gier (Hg.): Oper als Text. Romanistische Beiträge
zur Libretto-Forschung. Heidelberg 1986, S. 25–31.
459 Richard Bletschacher: Rappresentazione sacra. Geistliches Musikdrama am Wiener Kaiserhof. Wien
1985, S. 11.
Die italienische Literatur in Österreich
Von den Anfängen bis 1797, Volume I
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die italienische Literatur in Österreich
- Subtitle
- Von den Anfängen bis 1797
- Volume
- I
- Author
- Alfred Noe
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78730-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 780
- Keywords
- Italian Literature, Habsburg Monarchy, Libretto, Court Festivities
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Einführung 9
- I. Der italienische Humanismus in Österreich 27
- II. Der Petrarkismus und die Akademiebewegung in Österreich 79
- II.1 Petrarkismus und protestantischer Adel 81
- II.2 Die Rezeption der Madrigalistik an den Höfen 87
- II.3 Barocke Akademien 92
- III. Die religiöse Literatur von der Gegenreformation zur katholischen Frühaufklärung 99
- III.1 Reformorden aus Italien und ihre Volksmissionen 101
- III.2 Die kontemplative Literatur für Laien 114
- III.3 Die katholische Frühaufklärung 127
- IV. Die italienische Improvisationskomödie 135
- V. Die literarische Selbstdarstellung des Kaiserhofes im Barock 199
- V.1 Die Bedeutung der Historiographie 208
- V.2 Die Funktion der kaiserlichen Hofdichter 214
- V.3 Geistliche Musikdramen und Oratorien 218
- V.4 Die Rezeption des italienischen Musiktheaters zu Beginn des 17. Jahrhunderts 263
- V.5 Serenaden, Kammerfeste und andere Kleinformen 274
- V.6 Ballette und Einleitungen zu Balletten 293
- V.7 Aufzüge und Rossballette 302
- V.8 Musikalische Feste 305
- V.9 Faschingsopern 314
- V.10 Opern zu Geburts- und Namenstagen im Kaiserhaus 334
- V.11 Opern zu Geburten im Kaiserhaus 369
- V.12 Hochzeitsopern 375
- VI. Die italienische Aufklärung in Österreich 385
- VII. Von der Spätaufklärung zur Frühromantik 490
- VIII. Die Verbreitung der italienischen Literatur 531
- IX. Verzeichnis der Drucke 549