Page - 250 - in Die italienische Literatur in Österreich - Von den Anfängen bis 1797, Volume I
Image of the Page - 250 -
Text of the Page - 250 -
Die literarische Selbstdarstellung des Kaiserhofes im
Barock250
versammelten Engelschor und durch die allegorischen Figuren von La Pia Medi-
tatione und Il Dolore della Passione di Christo wird die gerechte Seele durch den
Genuss der Früchte des Kreuzes in Ekstase versetzt. Sie berichtet schließlich von
ihrem Zustand, in welchem sie Visionen der Profeten des Alten Testaments (Isaia,
Geremia, Ezechiele e Daniele) hat.
In der Fastenzeit 1692 werden in der Hofburgkapelle zwei neue Oratorien ge-
spielt: Il Prezzo del cuore humano eines unbekannten Autors mit der Musik des zwei
Jahre zuvor in Venedig verstorbenen Legrenzi und das sehr statische L’anima in
transito eines weiter nicht dokumentierten Dottor Pezuoli in der Vertonung von
Pederzuoli, in dem der Erzähler die Seele mit Hilfe von einem Engel, dem Teufel
und einigen allegorischen Figuren (Ragione, Senso, Sinderesi und Consuetudine)
auf das Leben nach dem Tod vorbereitet. Am Karfreitag, den 4. April 1692, wird
Minatos Il sagrificio non impedito. Rappresentatione sacra mit der Musik von Draghi
und Leopold I. vor dem Hl. Grab aufgeführt. Darin zeigt sich vor allem, dass der
Abstraktionsgrad der allegorischen Figuren bei Minato eine deutliche Steigerung
erfährt: Neben zwei reuigen Sündern (Due Peccatori Pentiti) und der Verkörperung
ihrer Emotionen (Il Desiderio della Vita Eterna und Il Timor dell’Inferno) sowie der
gewohnten Gestalt des Glaubens (La Fede) treten vor allem Personifikationen der
katholischen Religionspraxis (Il Rito della Chiesa Cattolica und La Commemorati-
one della Morte di Christo) und der theologischen Beschäftigung mit den Schriften
(La Verità Evangelica und L’Interpretatione della Sacra Scrittura) auf. In den äußerst
subtilen Debatten wird erklärt, dass im Gegensatz zum Opfertod Isaaks, der durch
die göttliche Intervention im letzten Moment durch ein Tieropfer ersetzt wurde, je-
ner von Christus eben deshalb nicht verhindert wurde, weil er den Weg zum ewigen
Leben darstellt.
1692 werden außerdem in dem 1582 durch Elisabeth von Österreich (1554–92),
Tochter von Kaiser Maximilian II. und Witwe des französischen Königs Karl IX.,
gestifteten Königinkloster der Klarissen in der Dorotheergasse in Wien, wo sich
heute die Lutherische Stadtkirche befindet, die anonymen Oratorien San Francesco
Saverio Apostolo dell’Indie und Il Tobia in der Vertonung von Pietro Romolo Pignatta
(~1660–~1700) an einem bisher nicht ermittelten Datum aufgeführt. Das zweite
dieser Werke ist Karl Ernst von Waldstein (1661–1713), dem österreichischen Bot-
schafter in Spanien und Savoyen, gewidmet.
Die Fastenzeit 1693 bietet in diesem Rahmen eine ungewöhnliche Steigerung
an Uraufführungen: Neben Lutis Il sacrificio d’Abramo. Oratorio mit der Musik des
in Bologna wirkenden Francesco Passerini (1636–94) und La Fenice. Oratorio sopra la
vita di S. Filippo Neri d’autore incerto in der Vertonung von C. F. Pollarolo wird auch
Die italienische Literatur in Österreich
Von den Anfängen bis 1797, Volume I
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die italienische Literatur in Österreich
- Subtitle
- Von den Anfängen bis 1797
- Volume
- I
- Author
- Alfred Noe
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78730-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 780
- Keywords
- Italian Literature, Habsburg Monarchy, Libretto, Court Festivities
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Einführung 9
- I. Der italienische Humanismus in Österreich 27
- II. Der Petrarkismus und die Akademiebewegung in Österreich 79
- II.1 Petrarkismus und protestantischer Adel 81
- II.2 Die Rezeption der Madrigalistik an den Höfen 87
- II.3 Barocke Akademien 92
- III. Die religiöse Literatur von der Gegenreformation zur katholischen Frühaufklärung 99
- III.1 Reformorden aus Italien und ihre Volksmissionen 101
- III.2 Die kontemplative Literatur für Laien 114
- III.3 Die katholische Frühaufklärung 127
- IV. Die italienische Improvisationskomödie 135
- V. Die literarische Selbstdarstellung des Kaiserhofes im Barock 199
- V.1 Die Bedeutung der Historiographie 208
- V.2 Die Funktion der kaiserlichen Hofdichter 214
- V.3 Geistliche Musikdramen und Oratorien 218
- V.4 Die Rezeption des italienischen Musiktheaters zu Beginn des 17. Jahrhunderts 263
- V.5 Serenaden, Kammerfeste und andere Kleinformen 274
- V.6 Ballette und Einleitungen zu Balletten 293
- V.7 Aufzüge und Rossballette 302
- V.8 Musikalische Feste 305
- V.9 Faschingsopern 314
- V.10 Opern zu Geburts- und Namenstagen im Kaiserhaus 334
- V.11 Opern zu Geburten im Kaiserhaus 369
- V.12 Hochzeitsopern 375
- VI. Die italienische Aufklärung in Österreich 385
- VII. Von der Spätaufklärung zur Frühromantik 490
- VIII. Die Verbreitung der italienischen Literatur 531
- IX. Verzeichnis der Drucke 549