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Die literarische Selbstdarstellung des Kaiserhofes im
Barock326
Lisimaco, der König der Abderiter, entlässt Agide in der letzten Szene, obwohl die-
ser um Verzeihung für seine Fehler bittet, mit folgenden Worten:
Agide và: Conobbi
Il Genio tuo ne la follia. Non voglio
Chi di portar sul dorso il Ciel si vante:
Jo sò de le mie sfere esser l’Atlante. (S. 78)
Hinter der Gestalt des Odriste, der Agides schrankenlosen Ehrgeiz anprangert („Per
smoderata Ambition delira“, S. 6) und sich selbst als ungeheuer reich einstuft („Io
son Creso, e hò gran Tesoro“, S. 6), vermutet Seifert590 den einige Jahre später we-
gen Amtsmissbrauchs verurteilten Hofkammerpräsidenten Georg Ludwig von Sin-
zendorf, hinter jener des Licoferne den Juristen Johann Paul Hocher (1616–83), seit
1667 Oberster Hof-Kanzler und 1671 Leiter des Sondergerichts gegen die ungari-
sche Magnatenverschwörung.
Erst am 20. Februar 1677 gelangt mit Minatos Chilonida. Drama per musica in
der Vertonung von Draghi, Leopold I. und J. H. Schmelzer wieder eine Faschings-
oper zur Aufführung, und zwar im Saal der Erzherzogin Maria Anna, die das Werk
laut Titelblatt dem Geburtstag der Kaiserin widmet.591 Die Gestalten und die
Handlung des Werkes weichen jedenfalls von den vorhergehenden Faschingsopern
deutlich ab und entsprechen eher dem Lob der hervorragenden Tugenden einer
Frau.
Teilweise von Valerius Maximus (Facta et dicta memorabilia IV,1, ext. 8) inspiriert,
ziehen in Minatos dreiaktigem Libretto die siegessicheren Spartaner in den Krieg
gegen die Tegeaten, werden jedoch besiegt, und ihr König Teopompo gefangen-
genommen. Chilonida begibt sich unerkannt zu ihrem Gemahl in die feindliche
Stadt und erweckt dort die Liebe des Prinzen Isauro. Bei einem Besuch Chiloni-
das im Gefängnis flieht Teopompo in ihren Kleidern und entführt außerdem die
Diana-Priesterin Amaltea, um sie gegen seine im Gefängnis verbliebene Gemahlin
auszutauschen. Weil sie seine Absichten nicht durchschaut, entbrennt Chilonida in
Eifersucht, wird aber ihrerseits von der in Isauro verliebten Cleandra verfolgt. Aus
590 Seifert: Die Oper am Wiener Kaiserhof, S. 267.
591 Zunächst unklar scheinen die Angaben auf dem Titelblatt: Per celebrarsi il felicissimo| Giorno| NATA-
LIZIO,| Della S. C. R. M.tà| Dell’IMPERATRICE| ELEONORA,| Dell’Anno 1676.| Trasportato al
Dì 21. Febraro| M. DC. LXXVII. Denn zum Geburtstag von Kaiserin-Witwe Eleonora wurde am 18.
November 1676 Minatos nur in einer Handschrift (ÖNB Mus. Hs. 18.857) überliefertes Werk Sciegliere
non potendo adoprare mit der Musik von Draghi und Leopold I. gespielt. Minatos Hinweis in seiner Wid-
mung betrifft demnach die entstandenen Terminkollisionen.
Die italienische Literatur in Österreich
Von den Anfängen bis 1797, Volume I
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die italienische Literatur in Österreich
- Subtitle
- Von den Anfängen bis 1797
- Volume
- I
- Author
- Alfred Noe
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78730-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 780
- Keywords
- Italian Literature, Habsburg Monarchy, Libretto, Court Festivities
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Einführung 9
- I. Der italienische Humanismus in Österreich 27
- II. Der Petrarkismus und die Akademiebewegung in Österreich 79
- II.1 Petrarkismus und protestantischer Adel 81
- II.2 Die Rezeption der Madrigalistik an den Höfen 87
- II.3 Barocke Akademien 92
- III. Die religiöse Literatur von der Gegenreformation zur katholischen Frühaufklärung 99
- III.1 Reformorden aus Italien und ihre Volksmissionen 101
- III.2 Die kontemplative Literatur für Laien 114
- III.3 Die katholische Frühaufklärung 127
- IV. Die italienische Improvisationskomödie 135
- V. Die literarische Selbstdarstellung des Kaiserhofes im Barock 199
- V.1 Die Bedeutung der Historiographie 208
- V.2 Die Funktion der kaiserlichen Hofdichter 214
- V.3 Geistliche Musikdramen und Oratorien 218
- V.4 Die Rezeption des italienischen Musiktheaters zu Beginn des 17. Jahrhunderts 263
- V.5 Serenaden, Kammerfeste und andere Kleinformen 274
- V.6 Ballette und Einleitungen zu Balletten 293
- V.7 Aufzüge und Rossballette 302
- V.8 Musikalische Feste 305
- V.9 Faschingsopern 314
- V.10 Opern zu Geburts- und Namenstagen im Kaiserhaus 334
- V.11 Opern zu Geburten im Kaiserhaus 369
- V.12 Hochzeitsopern 375
- VI. Die italienische Aufklärung in Österreich 385
- VII. Von der Spätaufklärung zur Frühromantik 490
- VIII. Die Verbreitung der italienischen Literatur 531
- IX. Verzeichnis der Drucke 549