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359Opern
zu Geburts- und Namenstagen im Kaiserhaus
zwischen der Rom feindlichen Königin Sofonisba und dem römischen Verbündeten
Massinissa so bewegend aus, dass zumindest vorübergehend der Protagonist Scipio
völlig in den Hintergrund tritt. Nicht zuletzt deshalb wählt Giangiorgio Trissino
1524 diesen Stoff für die erste Tragödie der italienischen Literatur, La Sofonisba, und
Minato greift ihn ebenfalls in seinem Scipione Africano 1664 auf.
Minatos Creso behandelt ganz im Sinne des in Xerse entwickelten Konzepts histo-
rische Figuren, die Herodot in seinen Historien (I,85) erwähnt:
Kroisos selbst hatte folgendes Schicksal: Einer seiner Söhne, den ich schon oben
erwähnt habe, war sonst ein trefflicher Mann, aber stumm. Früher, in den Tagen
seines Glücks, hatte Kroisos alles für ihn getan, was er konnte. Unter anderem,
was er ersann, hatte er auch Boten nach Delphi geschickt, um das Orakel seinet-
wegen zu befragen. Die Pythia hatte ihm geantwortet: „Lyder dem Blute nach,
König von vielen, gewaltiger Tor doch,| Kroisos, wünsche dir nicht im Haus die
erbetene Stimme| Deines sprechenden Sohnes zu hören; es ist für dich besser.|
Denn, wenn zuerst er spricht, das ist am Tage des Unglücks.“ Als jetzt die Mauer
genommen war, ging ein Perser, der Kroisos nicht kannte, auf ihn los, um ihn
zu töten. Kroisos sah ihn zwar herankommen, achtete aber nicht darauf; denn
das Schicksal hatte ihn so gebeugt, daß ihn der Tod nicht schreckte. Als aber sein
stummer Sohn den Perser auf den Vater zustürzen sah, lösten Furcht und Leid
seine Stimme, und er rief: „Mensch, töte Kroisos nicht!“ Das war das erste Wort,
das er sprach. Seitdem konnte er zeit seines Lebens wieder reden.620
In I,75– 91 berichtet Herodot von den Auseinandersetzungen zwischen Kroisos und
Kyros; die zitierte Stelle liegt zwischen dem Fall von Sardes und der Gefangenschaft
von Kroisos. Die erste Erwähnung des stummen Sohnes bezieht sich auf I,34, wo man
allerdings entdeckt, dass nicht – wie bei Minato – dieser, sondern sein Bruder den Na-
men Atys trägt: „Kroisos hatte zwei Söhne: einer war versehrt, denn er war taubstumm.
Der andere aber übertraf seine Altersgenossen in allem; er hieß Atys.“ 621
Ohne seine Quelle zu nennen, verweist Minato in seinem Argomento ausdrücklich
auf diesen Anteil an historischer Wahrheit, den er jedoch im Hinblick auf die Steige-
rung dramatischer Effekte leicht modifiziert. In Historien I,29–33 – der dem Beginn
620 Herodot: Historien, Bd. 1: Bücher I–V. Griechisch-deutsch hg. von Josef Feix (Zürich, 1995), S. 81f.; vgl.
Moriz Enzinger: Die Entwicklung des Wiener Theaters vom 16. zum 19. Jahrhundert (Stoffe und Mo-
tive). Berlin 1918, S. 252. Diesen Stoff hat u. a. auch Aurelio Aureli in Il Creso tolto alle fiamme (Venedig
1705) behandelt. Vgl. den Abschnitt IV.3 über die Rezeption dieses Werkes in der Wanderbühne.
621 Herodot: Historien, S. 35.
Die italienische Literatur in Österreich
Von den Anfängen bis 1797, Volume I
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die italienische Literatur in Österreich
- Subtitle
- Von den Anfängen bis 1797
- Volume
- I
- Author
- Alfred Noe
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78730-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 780
- Keywords
- Italian Literature, Habsburg Monarchy, Libretto, Court Festivities
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Einführung 9
- I. Der italienische Humanismus in Österreich 27
- II. Der Petrarkismus und die Akademiebewegung in Österreich 79
- II.1 Petrarkismus und protestantischer Adel 81
- II.2 Die Rezeption der Madrigalistik an den Höfen 87
- II.3 Barocke Akademien 92
- III. Die religiöse Literatur von der Gegenreformation zur katholischen Frühaufklärung 99
- III.1 Reformorden aus Italien und ihre Volksmissionen 101
- III.2 Die kontemplative Literatur für Laien 114
- III.3 Die katholische Frühaufklärung 127
- IV. Die italienische Improvisationskomödie 135
- V. Die literarische Selbstdarstellung des Kaiserhofes im Barock 199
- V.1 Die Bedeutung der Historiographie 208
- V.2 Die Funktion der kaiserlichen Hofdichter 214
- V.3 Geistliche Musikdramen und Oratorien 218
- V.4 Die Rezeption des italienischen Musiktheaters zu Beginn des 17. Jahrhunderts 263
- V.5 Serenaden, Kammerfeste und andere Kleinformen 274
- V.6 Ballette und Einleitungen zu Balletten 293
- V.7 Aufzüge und Rossballette 302
- V.8 Musikalische Feste 305
- V.9 Faschingsopern 314
- V.10 Opern zu Geburts- und Namenstagen im Kaiserhaus 334
- V.11 Opern zu Geburten im Kaiserhaus 369
- V.12 Hochzeitsopern 375
- VI. Die italienische Aufklärung in Österreich 385
- VII. Von der Spätaufklärung zur Frühromantik 490
- VIII. Die Verbreitung der italienischen Literatur 531
- IX. Verzeichnis der Drucke 549