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429Die
weltlichen Libretti der Generation vor Metastasio
geradezu wahnsinnigen Leidenschaften in der Liebeskette Dorotea (amante di Fern-
ando) – Fernando (principe di Andalusia, amante di Lucinda) – Lucinda (amante di
Cardenio), welche alle die Vernunft und damit ihre Menschenwürde verlieren, so
dass Liebe und Eifersucht (im Falle von Cardenio) sie zu rasenden Unwesen macht.
Welche Rolle intertextuelle Ironie in der Tradition des Librettos spielen kann, hat
Seifert am Beispiel eines Duetts von Sancio mit der von ihm umworbenen Magd
Maritorne gezeigt, in welchem der berühmte Beginn von Minatos Xerse (Venedig
1654 bzw. die Überarbeitung durch Silvio Stampiglia, Rom 1694), nämlich die Ver-
ehrung der Platane des Perserkönigs (Ombra mai fu…), paraphrasiert wird. Die we-
nig begeisterte Maritorne erwidert Sancio:
Odimi: villan più sordido,
villan più ruvido, villan più critico,
villan più rustico, più detestabile,
più bastonabile mai non vi fu.720
Don Chisciotte in Sierra Morena wird noch drei Mal im Februar 1719 gespielt und
löst in der Folge ein lebhaftes Interesse an diesem Stoff aus.721 So wird in Wien am
6. Februar 1727 Pasquinis Don Chisciotte in Corte della Duchessa. Opera serioridicola in
fünf Akten mit der Musik von Caldara und Matteis in acht Bühnenbildern von Giu.
Galli Bibiena erstmals dargeboten und im selben Monat drei Mal wiederholt. Pas-
quinis Don Chisciotte ist außerdem für die Rezeptionsgeschichte interessant, weil das
Libretto in der Überlieferung seit seiner irrtümlichen Zuordnung zu Zeno in Band 4
(S. 319–442) der Biblioteca teatrale italiana von Ottaviano Diodati (Lucca 1762) regel-
mäßig mit dem Don Chisciotte von Pariati und Zeno verwechselt wird.722 Pasquini
liefert noch eine Fortsetzung des beliebten Stoffes mit Sancio Panza Governatore
dell’Isola Barattaria. Commedia per musica in der Vertonung durch Caldara am 27. Ja-
nuar 1733 in Wien.
720 Seifert: Pietro Pariati, S. 67.
721 Vgl. Biancamaria Brumana: Figure di Don Chisciotte nell’opera italiana tra Seicento e Settecento. In:
P. Csobádi / G. Gruber / J. Kuehnel / U. Mueller / O. Panagl (Hg.): Europäische Mythen der Neuzeit:
Faust und Don Juan. Salzburg 1992, S. 699–712.
722 Selbst in Zenos Poesie drammatiche (Orléans 1785–86) passiert diese Verwechslung. Auch Campanini (Un
precursore del Metastasio, S. 165–176) resümiert eigentlich Pasquini, ohne es zu bemerken. Selbst in der
Sammelausgabe Drammi per musica dal Rinuccini allo Zeno von Andrea Della Corte (Turin 1958) wird Pa-
squinis Text abgedruckt (Band 2, S. 375–520) mit dem seltsamen Hinweis: „Il titolo del libretto, cinque
atti, Don Chisciotte in Sierra Morena, «tragicommedia per musica», di Apostolo Zeno e Pietro Pariati, fu
poi cangiato, e se ne ignora la ragione, in Don Chisciotte in corte della Duchessa.“ (S. 375)
Die italienische Literatur in Österreich
Von den Anfängen bis 1797, Volume I
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die italienische Literatur in Österreich
- Subtitle
- Von den Anfängen bis 1797
- Volume
- I
- Author
- Alfred Noe
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78730-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 780
- Keywords
- Italian Literature, Habsburg Monarchy, Libretto, Court Festivities
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Einführung 9
- I. Der italienische Humanismus in Österreich 27
- II. Der Petrarkismus und die Akademiebewegung in Österreich 79
- II.1 Petrarkismus und protestantischer Adel 81
- II.2 Die Rezeption der Madrigalistik an den Höfen 87
- II.3 Barocke Akademien 92
- III. Die religiöse Literatur von der Gegenreformation zur katholischen Frühaufklärung 99
- III.1 Reformorden aus Italien und ihre Volksmissionen 101
- III.2 Die kontemplative Literatur für Laien 114
- III.3 Die katholische Frühaufklärung 127
- IV. Die italienische Improvisationskomödie 135
- V. Die literarische Selbstdarstellung des Kaiserhofes im Barock 199
- V.1 Die Bedeutung der Historiographie 208
- V.2 Die Funktion der kaiserlichen Hofdichter 214
- V.3 Geistliche Musikdramen und Oratorien 218
- V.4 Die Rezeption des italienischen Musiktheaters zu Beginn des 17. Jahrhunderts 263
- V.5 Serenaden, Kammerfeste und andere Kleinformen 274
- V.6 Ballette und Einleitungen zu Balletten 293
- V.7 Aufzüge und Rossballette 302
- V.8 Musikalische Feste 305
- V.9 Faschingsopern 314
- V.10 Opern zu Geburts- und Namenstagen im Kaiserhaus 334
- V.11 Opern zu Geburten im Kaiserhaus 369
- V.12 Hochzeitsopern 375
- VI. Die italienische Aufklärung in Österreich 385
- VII. Von der Spätaufklärung zur Frühromantik 490
- VIII. Die Verbreitung der italienischen Literatur 531
- IX. Verzeichnis der Drucke 549