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Der frühneuzeitliche Festungsbau in Theorie und Praxis | 131
4.2 Zu den Anfängen der neuen Festungstechnik
Wie für viele in der Geschichte neu auftretende Erscheinungen oder Erfindungen
steht die Frage nach den Ursprüngen, d. h. nach dem zeitlich frühesten Auftreten solch
neuer Phänomene, nach der Verortung dieser Anfänge25 und nach dem/den mögli-
chen Erfinder/n seit jeher im besonderen Fokus der Forschung – und das gilt für die
Entwicklung des bastionären Festungssystems ganz genauso. Der genannte britische
Forscher John Rigby Hale hat dazu gemeint, dass auf diesem Feld des bisweilen ge-
radezu ausufernden Chauvinismus es in jedem Fall geraten ist, die Denkmäler selbst
in Augenschein zu nehmen.26 Bei Gerő wird die Ausbreitung der Bastionärsfestung
folgendermaßen beschrieben : »Die ersten Burgen mit Basteien entstanden in Italien.
Italiens wohlbekannte Beziehungen zu Spanien trugen zur Entfaltung einer zweiten
Epoche in Spanien bei, und das Vordringen der Türkenarmee am Balkan förderte in
großer Zahl die Errichtung der neuen Wehrbauten in Ungarn.«27 Eindeutig zu geringe
Beachtung findet dabei die gleichfalls von Italien ausgehende und von italie nischen
Spezialisten getragene frühe Verbreitung der neuen Festungsbauweise im Mittelmeer-
raum. Jüngst meint Büchi unter Hinweis auf die bahnbrechenden Veränderungen der
neuen Fortifikationsformen und -methoden, dass es im Kern um den Ȇbergang von
der ›antiken‹ zur ›modernen‹ Befestigung« gehe. Er unterstreicht dabei nachdrücklich,
dass weniger die Ablösung der Rundbastei durch die Spitzbastei als vielmehr die Ge-
samtkonzeption der Anlage im Zentrum steht.28
Die neue Festungstechnik wurde maßgeblich durch die Errichtung von Bastionen
bestimmt und gefördert. Diese dienten nicht nur als Geschützplattformen, sondern
mit ihrer Hilfe wurde auch der gefürchtete tote Winkel vermieden, der dem Angreifer
die Möglichkeit bot, in einem vom Feuer der Verteidiger nicht bestreichbaren Raum
25 Eher lapidar verweist jüngst Büchi, Fortifikationsliteratur, 28, darauf hin, dass der »Anfang der mo-
dernen Festungsbaukunst … meist mit dem von Karl VIII. in den Jahren 1495 und 1495 gegen Neapel
geführten Feldzug datiert« wird.
26 Hale, Development of the bastion, 467 mit Anm. 1, verweist hier auf Viollet-le-Duc, der in Unkenntnis
der tatsächlichen Bauwerke den Anspruch der Italiener, sie seien die Erfinder dieser neuen Bauweise,
zurückgewiesen hat, zitiert aber auch die bereits 1898 veröffentlichte Studie des deutschen Militärs und
provinzialrömischen Archäologen Cohausen, Befestigungswesen, 331, der Deutschland als Ursprungs-
land der neueren Befestigungsweise ansieht ; zu (Carl bzw. Karl) August von Cohausen (1812–1894)
vgl. Kutsch, Cohausen, 309 f., online unter : http://www.deutsche-biographie.de/pnd116627824.html
(16.11.2014).
27 Gerő, Entwicklung der europäischen Festungsbauten, 137.
28 Büchi, Fortifikationsliteratur, 25 (Kapitelüberschrift) und 53. – Problematisch bleibt in jedem Fall die
Begrifflichkeit der ›antiken‹ Befestigung, muss man dabei doch die mittelalterlichen Entwicklungen
subsumieren.
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Wien als Festungsstadt im 16.Jahrhundert
Zum kartografischen Werk der Mailänder Familie Angielini
- Title
- Wien als Festungsstadt im 16.Jahrhundert
- Subtitle
- Zum kartografischen Werk der Mailänder Familie Angielini
- Authors
- Ferdinand Opll
- Heike Krause
- Christoph Sonnlechner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20210-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 586
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Inhalt
- Einleitung 9
- Die Angielinis, ihr Werk und Wirken 10
- Wien als Festungsstadt 13
- Terminologie und Onomastik 14
- Internet 16
- Abbildungen 17
- Dank 17
- 1 Die Familie Angielini und ihr kartografisches Schaffen 21
- 1.1 Biografisches 21
- 1.2 Das beruflich-persönliche Umfeld der Angielinis 38
- 1.3 Das kartografische Werk der Familie Angielini 44
- 1.4 Die Überlieferungen der »Angielini«-Atlanten in Wien, Dresden und Karlsruhe 51
- 1.5 Exkurs : Die in den fünf »Angielini«-Atlanten vorkommenden Wasserzeichen 52
- 1.6 Analyse und Autopsie der fünf »Angielini«-Atlanten 59
- 2 Der in den »Angielini«-Atlanten erfasste Raum 87
- 3 Der ungarische Raum und die Stadt Wien in frühen kartografischen Zeugnissen 101
- 4 Der frühneuzeitliche Festungsbau in Theorie und Praxis 127
- 5 Wien wird Festungsstadt – Der Ausbau nach der Belagerung von 1529 bis in die Mitte der 1560er Jahre 147
- 5.1 Die fortifikatorischen Folgen der Ersten Türkenbelagerung von Wien im Jahr 1529 147
- 5.2 Der Festungsbau aus umwelthistorischer Perspektive 197
- 6 Autopsie und Kontextualisierung der drei »Angielini«-Pläne von Wien 221
- 6.1 Das weitere Umfeld – eine Annäherung an die Stadt 221
- 6.2 Die unmittelbare Umgebung der Stadt 228
- 6.3 Die Befestigung 250
- 6.3.1 Bastei bei dem Burgtor 252
- 6.3.2 Bastei zwischen Burg- und Schottentor 255
- 6.3.3 Bastei beim Schottentor 258
- 6.3.4 Elendbastei 261
- 6.3.5 Arsenal und Reste der mittelalterlichen Stadtmauer 263
- 6.3.6 Neutorbastei 267
- 6.3.7 Mittelalterliche Stadtmauer zwischen Werdertor und Piattaforma samt neuer Kurtine 268
- 6.3.8 Piattaforma 268
- 6.3.9 Mittelalterliche Stadtmauer zwischen Piattaforma und Biberbastei 270
- 6.3.10 Biberbastei 272
- 6.3.11 Bastei bei den Predigern 274
- 6.3.12 Stubentor und angrenzende Kurtinen 277
- 6.3.13 Untere Paradeisbastei 278
- 6.3.14 Unteres Zeughaus auf der Seilerstätte 281
- 6.3.15 Obere Paradeisbastei 282
- 6.3.16 Bastei beim Kärntner Tor 286
- 6.3.17 Mittelalterliche Stadtmauer und sogenannter Augustinerturm 290
- 6.3.18 Stadtgraben 292
- 6.3.19 Resümee 293
- 6.4 Das Stadtinnere 294
- 7 Zusammenfassung und Summary 305
- 8 Tafeln 313
- 9 Anhang 325
- 9.1 Die mit dem kartografischen Schaffen der Familie Angielini in Verbindung stehenden kartografischen Darstellungen 325
- 9.2 Anzahl der in den »Angielini«-Atlanten enthaltenen Stadtpläne, Festungsgrundrisse und -schrägansichten 457
- 9.3 Reihenfolge der in den Überlieferungen der »Angielini«-Atlanten enthaltenen kartografischen Darstellungen 459
- 9.4 Konkordanz der in den Stadtplänen, Festungsgrundrissen und -schrägansichten der »Angielini«-Atlanten verwendeten Ortsnamen 462
- 9.5 Italienische Festungsbaumeister des 16. Jahrhunderts (bis ca. 1580) und ihre Einsatzgebiete im habsburgisch-osmanischen Grenzbereich 466
- 9.6 Festungsbautraktate des 15. und 16. Jahrhunderts und ihre Autoren 479
- 9.7 Chronologisches Verzeichnis der im Buch häufig verwendeten Wien-Pläne und Wien-Ansichten (15.‒18. Jahrhundert) 483
- 10 Glossar 494
- 11 Verzeichnisse 499