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104 Liebe verdeutlicht hier einmal mehr das in Kunst und
Literatur konstruierte und propagierte
väterlich-liebe-volle
Verhältnis zwischen dem Herrscher und seinen
Untertanen.Ursprünglich schloss sich Kupelwieser dieser
Bildtra-dition
an, wie die erste Pauszeichnung für das
Wandge-mälde
belegt, die den Markgrafen in Begleitung seiner
Frau Theodora durch die Straßen der Stadt ziehend
dar-stellt,
wo sie von einer Gruppe Bürger empfangen werden,
die offenbar eine Petition vorlegen. Leopold erscheint
hier außerhalb der Konventionen des Hofes und tritt den
Bürgern zu Fuß – auf Augenhöhe – entgegen, um sich
ihrer Sorgen und Wünsche anzunehmen.
In der Figurengruppe links im Bild, wo ein
Gefolgs-mann
Leopolds Gaben an eine am Boden kniende Frau
mit ihrem Kind verteilt, kündigt sich bereits jenes Motiv
an, das Kupelwieser schließlich in das Wandgemälde
übernahm. Bei dem Wechsel der Bildgegenstände findet
eine deutliche Akzentverschiebung statt; Leopold wird
nicht mehr als volksnaher, treusorgender Fürst
geschil-dert,
sondern als gerechter Richter, der durch die
sym-bolische
Überhöhung zu einer vorbildhaften, aber
unnahbaren Figur wird. Auch diese Interpretation der
Herrscherfigur beruht auf Darstellungen in der
zeitge-nössischen
Geschichtsschreibung, wo es etwa heißt:
„So wie Leopold in allen Dingen ein weiser und kluger Regent
war, ebenso war er ein Beschirmer aller Rechte seiner
Unterthanen, ein großer Helfer in den Tagen der Noth, und
ein treuer Beschützer für Witwen und Waisen.“379
Bei Hormayr380 finden sich ausführliche Zitate aus
Leo-polds
Gesetzgebung, die vor allem in einer für die Zeit
ungewöhnlich modernen Rechtsauffassung die Situation
von Witwen und Waisen zu verbessern suchte. Auch Ziska
und Ziegler beschäftigten sich in ihren Werken
einge-hend
mit Leopolds Gesetzen:
„Seine Aufklärung überstieg die Klippen der damaligen fin
steren Barbarei, indem sie ihn zu einem wahren Kenner und
Freunde der Wissenschaften und Künste aufschwang“372,
schreibt Anton
Ziegler.Immer
wieder wird auch Leopolds besondere
Bezie-hung
zur Stadt Wien betont, der er Stadtrecht und
Sta-pelrecht
verlieh und die er so zu einem wichtigen
Han-delszentrum
machte. Unter seiner Herrschaft wurde Wien
großzügig ausgebaut, unter anderem wurde an der Stelle
des heutigen Schweizerhofes eine neue Burg errichtet,
die zu seiner zeitweiligen Haupt-Niederlassung wurde.373
Die Bürger der solcherart zu Ansehen und Wohlstand
gekommenen Stadt erwiesen sich ihrem Fürsten
gegen-über
besonders dankbar und ergeben. Über seinen Tod
berichtet Anton Ziegler:
„Ganz Deutschland trauerte um diesen Fürsten, noch mehr aber
häufte sich der Kummer der Unterthanen, und vorzugsweise bei
den Wienern, die ihn aufs herzlichste geliebt hatten.“374
Hier taucht bereits das Thema der starken Verbundenheit
der Untertanen mit ihrem Herrscher auf, das an die
bie-dermeierlich
geprägte Inszenierung vom guten Kaiser
Franz, dem Vater des Volkes, erinnert. Tatsächlich
bezeich-net
Ziska Leopold den Glorreichen, ganz in der Tradition
der Verehrung von Franz I., als „liebevollsten Vaters des
Vaterlandes“.375 Als unmittelbare Reaktion auf das
revolu-tionäre
französische Gedankengut wurde die Vorstellung
gegenseitiger Anteilnahme und Zuneigung, die jede
Auf-lehnung
gegen den Herrscher widersinnig erscheinen
lässt, nicht nur in der Gegenwart inszeniert, sondern
auch auf die Vergangenheit projiziert.
In der vaterländischen Malerei wurde dieses Motiv
aufgegriffen und in der Folge besonders im
Zusammen-hang
mit Leopold dem Glorreichen zu einem beliebten
Gegenstand. So etwa zeigt Leander Ruß in seinem 1836
entstandenen Werk Leopold VI. öffnet den Wiener Bürgern
seine Schätze zur Förderung von Handel und Gewerbe den
Herrscher als Wohltäter der Bürger. Dasselbe Thema
gestaltete Carl Ruß in seinem Bilderzyklus zur Geschichte
Wiens; das Blatt Nr. 65 zeigt Herzog Leopold vor seiner
geöffneten Schatztruhe, deren Schlüssel er den um ihn
versammelten Bürgern übergibt.376
Johann Nepomuk Geiger wiederum stellte jene
anek-dotenhafte
Szene dar, in der Leopold am Weihnachtstag
durch die Straßen von Wien reitet, um unerkannt dem
festlichen Treiben der Bürger seiner Stadt beizuwohnen,
schließlich jedoch von seinen Untertanen erkannt und
reichlich beschenkt wird.377 Carl Ruß griff dieses Motiv
in seiner vor 1843 entstandenen Federzeichnung Die
Bürger Wiens bringen mit kindlicher Liebe ihrem hochver
ehrtesten Landesfürsten Herzog Leopold VI. Weihnachtsge
schenke 1223378 wieder auf. Die Formulierung kindliche 372 Ziegler (1838 – 1840) Bild Nr.
33.373
Ziskas Werk enthält eine Rekonstruktion jener Burg von Sears.
Ziska (1847) p.
79.374
Ebd. Bild Nr.
33.375
Ziska (1847) p. 83. Auch Schmidl spricht in Zusammenhang mit
Leopold dem Glorreichen von einem „Vater des Vaterlandes.“ Vgl.:
Schmidl (1844 – 1848) 11. Jg., Nr. 107
(1845).376
Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek, PK 783A,
Abb. Nr. 65, Herzog Leopold der Glorreiche überreicht den Bürgern
Wiens die Schlüssel zu seiner Schatzkammer, um ihren Handel durch
seine Capitalien zu vergrößern. 1220. Entstanden vor 1843.
377 Aus: Peter Johann Nepomuk Geiger, Historische Original Handzeich
nungen, bestehend aus 90 Blättern mit einem erklärenden Texte. Hrsg.
von Anton Ziegler, Wien 1839. Die Szene geht auf eine Erzählung
Enenkels zurück, die Ziska zitiert. Vgl.: Ziska (1847) p.
83.378
Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek, PK 783A,
Abb. Nr.
66.379
Ziegler (1838 – 1840) Bild Nr.
33.380
Hormayr (1823 – 1825) 2. Bd., Heft 3, p. 77f.
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Das zusammengedrängte Gedenken
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Das zusammengedrängte Gedenken
- Author
- Sigrid Eyb-Green
- Publisher
- Bibliothek der Provinz
- Location
- Weitra
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-99028-075-1
- Size
- 24.0 x 27.0 cm
- Pages
- 312
- Keywords
- Leopold Kupelwieser, Freskenzyklus, Geschichtsdarstellung, 19. Jahrhundert, Werkprozess, Karton, Fresko, Papier, Wien
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Einleitung 13
- Zur Baugeschichte der Niederösterreichischen Statthalterei 15
- Die Genese des Bildprogramms 19
- Erster Programmentwurf 19
- Der zweite Gesamtentwurf 35
- Zweiter und dritter Programmentwurf 39
- Die Aquarellentwürfe 40
- Der Freskenzyklus Einleitung und Überblick 43
- Zu den schriftlichen und bildlichen Quellen Leopold Kupelwiesers 45
- Die einzelnen Bildfelder: Bezüge, Quellen, Intentionen 47
- Die gekrönte Austria 47
- Odoakervor dem heiligen Severin (465 – 470) 56
- LeopoldI. stürmt Melk (984) 63
- Die drei Erbauer der St. Stephanskirche 68
- Die Gründung der Universität Wien durch Rudolf IV. (1364) 77
- Kaiser Marc Aurel: Markomannenschlacht und Tod 81
- Zug Karls des Großen gegen die Hunnawaren 85
- Leopold erhält von Otto II. die Ostmark zum Lehen 90
- Rudolf I. verleiht die Lehen an Albrecht I 95
- Das öffentliche Gericht zu Tulln (1200) 100
- Ferdinand I. setzt 1540 die niederösterreichische Regierung ein 109
- Die Türkenkriege der Jahre 1529, 1683 und 1697 116
- Die Aufgebote von 1797 125
- Erzherzog Karl in der Schlacht von Aspern 132
- Der Kongress zu Wien 1814 137
- Einleitungzu den Herrscherporträts 143
- Rudolf I 144
- MariaTheresia 148
- Maximilian I 151
- Joseph II 154
- Albrecht II 156
- Ferdinand II 158
- Ferdinand I. der Gütige 161
- Franz Joseph I 164
- Rezensionen 166
- Fresko und Karton als Formen öffentlicher Kunst Das Fresko: zur Konstruktion eines Gattungsbegriffs 167
- Die Praxis nazarenischer Wandmalerei in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Technik und Stil 168
- Öffentliche Kunst im Spannungsfeld zwischen Auftraggeber und Publikum 174
- Formen der Öffentlichkeit: Leopold Kupelwieser und die Situation der Geschichtsmalerei in Österreich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts 175
- Leopold Kupelwiesers Statthalterei-Zyklus und Entwurf einer Geschichtshalle: österreichische Identitäten und ihre Inszenierungen 188
- Zum Problem der „geschichtlichen Wahrheit“ in der Geschichtsmalerei 199
- Kupelwiesers Statthalterei-Kartons im Kontext nazarenischer Kartonkunst: „Vom Wesen des Kunstwerks“ 201
- Materialtechnologische Aspekte Der Arbeitsprozess im Überblick: Kartonzeichnungen, Probetafeln und Freskoarbeiten 215
- Zur Herstellung der Kartons 220
- Die Kartons zu den fünf Hauptgemälden der Decke 220
- Fünf Kartons zu Herrscherporträts: Rudolf I., Maximilian I., Ferdinand II., Maria Theresia und Joseph II 224
- Die Kartons zu den Allegorien 225
- Die Kartons zu den historischen Gemälden an den Wänden 231
- Die Kartons zu den beiden Friesen 234
- Die weitere Verwendung von neun Kartons als Deckenbilder im Palais Questenberg-Kaunitz 235
- Die Präsentation der Kartons an der Decke des Palais Questenberg-Kaunitz Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1940 244
- Übergabe aller Kartons 249
- Zur Aufbewahrung jener Kartons, die nicht im Palais Questenberg-Kaunitz präsentiert wurden 249
- Ausstellungen der Kartons 252
- Herstellung und Verwendung von Kartons für Wand- und Deckengemälde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Beispiele und Quellenliteratur 257
- Die Papierbahn 257
- Die Zeichnung 260
- Die Fixierung 263
- Die Übertragung an die Wand 265
- Die Fresko-Probetafeln 267
- Kupelwiesers Palette und Maltechnik 270
- Kupelwiesers Papiere: Ein Überblick über die Papierproduktion in der Habsburgermonarchie um 1850 273
- Die Papiere für Skizzen und Vorstudien 273
- Transparentpapiere 276
- Papiere für die Kartons 279
- Anhang: Programmentwürfe und Korrespondenzen Nö. Landesarchiv, Varia 8/1a: Programmentwurf I 294
- Nö. Landesarchiv, Varia 8/1b: Programmentwurf II 296
- Nö. Landesarchiv, Varia 8/1c: Programmentwurf III 297
- Nö. Landesarchiv, Varia 8: Schreiben von Leopold Kupelwieser an Freiherrn Kübeck von Kübau 297
- Nö.Landesarchiv, Varia 8: Anweisung Kübeck von Kübaus an Freiherrn Talatzko von Gestiecek 298
- Literaturverzeichnis 301
- Quellenverzeichnis 305
- Personenregister 306