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Kunst und Kultur
Das zusammengedrängte Gedenken
Page - 193 -
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193 Kupelwieser selbst schon im ersten Programm entwurf: Es sollen „ehrwürdige Erinnerungen, die in einer bestimmten Bezie­ hung zur Gegenwart stehen, so aneinander gereiht werden, dass sie einen Haupt­ Gedanken in sich fassen und dem Beschauer geben, nämlich daß jede Regenten Tugend in ihrer schönsten Verherrlichung durch einen höheren Segen zu allen Zeiten in Österreich zu finden ist.“700 Bildlich wird dieser Hauptgedanke von dem zentralen Deckengemälde mit einer Allegorie der Austria und der Religion übernommen, die von den vier Figuren der Weis-heit, Gerechtigkeit, Kraft und Geschichte umgeben sind. Die vier umgebenden Bildfelder „stellen die in der Allego­ rie ausgesprochenen Begriffe in geschichtlichen Ergebnissen niedergelegt aus“.701 Jedem historischen Ereignis wird dabei eine spezifische Funktion innerhalb des Zyklus zugewiesen, so etwa entspricht die Eroberung von Melk der Kraft, die Gründung der Universität entspricht der Weisheit und Odoaker vor Severin der Religion. Die Herr-scherporträts mit ihren Allegorien in den Fensterzwickeln setzen diese Idee fort, indem sie einen Katalog herrscher­ licher Tugenden präsentieren, die von den jeweiligen Regenten aus dem Hause Habsburg verkörpert werden: Weisheit und Sieg durch Maximilian I., Wohltätigkeit und Gerechtigkeit durch Maria Theresia oder die Bruderliebe durch Ferdinand I. Das zentrale Deckengemälde mit der Austria versinnbildlicht die wichtigste Tugend österrei-chischer Herrscher und besonders der Habsburger, die Ehrfurcht vor der Religion. Es übernimmt damit die Auf-gabe des Bildthemas Rudolf von Habsburg und der Priester, das vor allem die Nazarener oft aufgegriffen hatten und das im zeitlosen Mythos des frommen Urahnen den Habs-burgern Legitimation durch Gottesgnadentum in der Gegenwart zusicherte. Mit der Szene wird nicht nur der Beginn einer neuen Dynastie bezeichnet, sondern auch deren Herrschaftsanspruch theologisch begründet: Die unerschütterliche Kraft des Hauses Habsburg schöpft ständig aus der Quelle der Pietas Eucharistica, die Rudolf verkörpert.702 Durch die Allegorisierung und Verallgemei-nerung dieses Leitmotivs beschränkt Kupelwieser die Frömmigkeit nicht auf das Geschlecht der Habsburger und ihre Herrscher, sondern erweitert sie auf den ganzen Staat, seine Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. larisieren als das Konstrukt eines in vieler Beziehung hete-rogenen und abstrakten übergeordneten Reiches. Durch die Darstellung von Ereignissen, die sich sowohl auf das Kernland Niederösterreich beziehen als auch im Kontext der Reichsgeschichte verstanden werden können, vereinte Kupelwieser diese oft als untereinander konkurrierende Lesarten der Geschichte empfundenen Standpunkte. Dabei spannte er einen weiten zeitlichen Bogen von Marc Aurel in Vindobona und Karl dem Großen als Gründer der Ostmark (deren Grenzen damals mit denen Niederöster-reichs ident gedacht wurden) über Begebenheiten wie die Belagerung Wiens und das Aufgebot von 1797 mit der zentralen Figur des Grafen Saurau, der zu jener Zeit auch niederösterreichischer Regierungspräsident war, bis zu Ereignissen aus der unmittelbaren Vergangenheit, etwa der Schlacht von Aspern oder dem Wiener Kongress. Der Reigen der Herrscher, Helden und patriotischen Bürger, den Kupelwieser dabei in Szene setzte, folgt deutlich den „Prinzipien der Strukturierung der historischen Ereignisfülle nach bestimmten Leitthemen, die sich innerhalb eines Zyklus zu einer (fiktiven) Vollständigkeit ergänzen“.694 Jan Assmann beschreibt diese Form eines ausgewähl-ten und definierten ikonographischen Repertoires, das oft auch unterschiedliche und zeitlich weit auseinander-liegende Ereignisse unter einem bestimmten Aspekt oder Handlungsmodell695 zusammenfasst und zu einem Argu-ment verdichtet, als Kanon.696 „Wer sich ihm anschließt, bekehrt und bekennt sich zugleich zu einer normativen Selbstdefinition, zu einer Identität.“697 Kanonbildung konnte auch bedeuten, dass Parallelitäten konstruiert und verschiedene Ereignisse wie Rudolf und der Einsiedler und Odoaker vor Severin unter einem gemeinsamen Gesichtspunkt gesehen wurden.698Die Kanonbildung wurde in Zeiten, in denen Identi-täten auseinanderdrifteten und Traditionen in Frage gestellt wurden, zum stabilisierenden Ordnungsprinzip einer Realität, deren komplexe, konfliktbehaftete Verhält-nisse und Zusammenhänge zu entgleisen drohten. Die unüberschaubare Diversität an geschichtlichen Ereignis-sen wurde dabei nach aus der Perspektive der Gegenwart bedeutungsvollen Kriterien neu strukturiert.699In der Auswahl der Bildgegenstände für seinen Zyklus bediente sich Kupelwieser teilweise eines schon kanoni­ sierten Themenkreises, der bereits von Hormayr angelegt und dessen Inhalte in der Literatur und den bildenden Künsten wiederholt behandelt worden war. Zugleich schuf er aus einer Synthese von tradierten und neu ge-schöpften Motiven einen komplexen und vielschich tigen Bilderkanon, dessen Themen und Organisationsprinzi-pien wiederum auf die darauf folgenden Kunstproduk-tionen wirken sollten. Den Leitgedanken formulierte 694 Ebd. p. 40.695 Ebd. p. 39.696 Assmann (1992) p. 125f.697 Ebd. p. 127.698 Vgl.: Telesko (2006) p. 39.699 Vgl.: ebd. p. 33.700 Programmentwurf I, siehe Anhang. 701 Programmentwurf II, siehe Anhang. 702 Vgl.: Fastert (2000) p. 43 – 106.
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Das zusammengedrängte Gedenken
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Title
Das zusammengedrängte Gedenken
Author
Sigrid Eyb-Green
Publisher
Bibliothek der Provinz
Location
Weitra
Date
2016
Language
German
License
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-99028-075-1
Size
24.0 x 27.0 cm
Pages
312
Keywords
Leopold Kupelwieser, Freskenzyklus, Geschichtsdarstellung, 19. Jahrhundert, Werkprozess, Karton, Fresko, Papier, Wien
Category
Kunst und Kultur

Table of contents

  1. Einleitung 13
  2. Zur Baugeschichte der Niederösterreichischen Statthalterei 15
  3. Die Genese des Bildprogramms 19
  4. Erster Programmentwurf 19
  5. Der zweite Gesamtentwurf 35
  6. Zweiter und dritter Programmentwurf 39
  7. Die Aquarellentwürfe 40
  8. Der Freskenzyklus Einleitung und Überblick 43
  9. Zu den schriftlichen und bildlichen Quellen Leopold Kupelwiesers 45
  10. Die einzelnen Bildfelder: Bezüge, Quellen, Intentionen 47
  11. Die gekrönte Austria 47
  12. Odoakervor dem heiligen Severin (465 – 470) 56
  13. LeopoldI. stürmt Melk (984) 63
  14. Die drei Erbauer der St. Stephanskirche 68
  15. Die Gründung der Universität Wien durch Rudolf IV. (1364) 77
  16. Kaiser Marc Aurel: Markomannenschlacht und Tod 81
  17. Zug Karls des Großen gegen die Hunnawaren 85
  18. Leopold erhält von Otto II. die Ostmark zum Lehen 90
  19. Rudolf I. verleiht die Lehen an Albrecht I 95
  20. Das öffentliche Gericht zu Tulln (1200) 100
  21. Ferdinand I. setzt 1540 die niederösterreichische Regierung ein 109
  22. Die Türkenkriege der Jahre 1529, 1683 und 1697 116
  23. Die Aufgebote von 1797 125
  24. Erzherzog Karl in der Schlacht von Aspern 132
  25. Der Kongress zu Wien 1814 137
  26. Einleitungzu den Herrscherporträts 143
  27. Rudolf I 144
  28. MariaTheresia 148
  29. Maximilian I 151
  30. Joseph II 154
  31. Albrecht II 156
  32. Ferdinand II 158
  33. Ferdinand I. der Gütige 161
  34. Franz Joseph I 164
  35. Rezensionen 166
  36. Fresko und Karton als Formen öffentlicher Kunst Das Fresko: zur Konstruktion eines Gattungsbegriffs 167
  37. Die Praxis nazarenischer Wandmalerei in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Technik und Stil 168
  38. Öffentliche Kunst im Spannungsfeld zwischen Auftraggeber und Publikum 174
  39. Formen der Öffentlichkeit: Leopold Kupelwieser und die Situation der Geschichtsmalerei in Österreich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts 175
  40. Leopold Kupelwiesers Statthalterei-Zyklus und Entwurf einer Geschichtshalle: österreichische Identitäten und ihre Inszenierungen 188
  41. Zum Problem der „geschichtlichen Wahrheit“ in der Geschichtsmalerei 199
  42. Kupelwiesers Statthalterei-Kartons im Kontext nazarenischer Kartonkunst: „Vom Wesen des Kunstwerks“ 201
  43. Materialtechnologische Aspekte Der Arbeitsprozess im Überblick: Kartonzeichnungen, Probetafeln und Freskoarbeiten 215
  44. Zur Herstellung der Kartons 220
  45. Die Kartons zu den fünf Hauptgemälden der Decke 220
  46. Fünf Kartons zu Herrscherporträts: Rudolf I., Maximilian I., Ferdinand II., Maria Theresia und Joseph II 224
  47. Die Kartons zu den Allegorien 225
  48. Die Kartons zu den historischen Gemälden an den Wänden 231
  49. Die Kartons zu den beiden Friesen 234
  50. Die weitere Verwendung von neun Kartons als Deckenbilder im Palais Questenberg-Kaunitz 235
  51. Die Präsentation der Kartons an der Decke des Palais Questenberg-Kaunitz Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1940 244
  52. Übergabe aller Kartons 249
  53. Zur Aufbewahrung jener Kartons, die nicht im Palais Questenberg-Kaunitz präsentiert wurden 249
  54. Ausstellungen der Kartons 252
  55. Herstellung und Verwendung von Kartons für Wand- und Deckengemälde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Beispiele und Quellenliteratur 257
  56. Die Papierbahn 257
  57. Die Zeichnung 260
  58. Die Fixierung 263
  59. Die Übertragung an die Wand 265
  60. Die Fresko-Probetafeln 267
  61. Kupelwiesers Palette und Maltechnik 270
  62. Kupelwiesers Papiere: Ein Überblick über die Papierproduktion in der Habsburgermonarchie um 1850 273
  63. Die Papiere für Skizzen und Vorstudien 273
  64. Transparentpapiere 276
  65. Papiere für die Kartons 279
  66. Anhang: Programmentwürfe und Korrespondenzen Nö. Landesarchiv, Varia 8/1a: Programmentwurf I 294
  67. Nö. Landesarchiv, Varia 8/1b: Programmentwurf II 296
  68. Nö. Landesarchiv, Varia 8/1c: Programmentwurf III 297
  69. Nö. Landesarchiv, Varia 8: Schreiben von Leopold Kupelwieser an Freiherrn Kübeck von Kübau 297
  70. Nö.Landesarchiv, Varia 8: Anweisung Kübeck von Kübaus an Freiherrn Talatzko von Gestiecek 298
  71. Literaturverzeichnis 301
  72. Quellenverzeichnis 305
  73. Personenregister 306
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