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Kupelwieser selbst schon im ersten Programm entwurf:
Es sollen
„ehrwürdige Erinnerungen, die in einer bestimmten Bezie
hung zur Gegenwart stehen, so aneinander gereiht werden,
dass sie einen Haupt Gedanken in sich fassen und dem
Beschauer geben, nämlich daß jede Regenten Tugend in ihrer
schönsten Verherrlichung durch einen höheren Segen zu allen
Zeiten in Österreich zu finden ist.“700
Bildlich wird dieser Hauptgedanke von dem zentralen
Deckengemälde mit einer Allegorie der Austria und der
Religion übernommen, die von den vier Figuren der
Weis-heit,
Gerechtigkeit, Kraft und Geschichte umgeben sind.
Die vier umgebenden Bildfelder „stellen die in der Allego
rie ausgesprochenen Begriffe in geschichtlichen Ergebnissen
niedergelegt aus“.701 Jedem historischen Ereignis wird
dabei eine spezifische Funktion innerhalb des Zyklus
zugewiesen, so etwa entspricht die Eroberung von Melk
der Kraft, die Gründung der Universität entspricht der
Weisheit und Odoaker vor Severin der Religion. Die
Herr-scherporträts
mit ihren Allegorien in den Fensterzwickeln
setzen diese Idee fort, indem sie einen Katalog herrscher
licher Tugenden präsentieren, die von den jeweiligen
Regenten aus dem Hause Habsburg verkörpert werden:
Weisheit und Sieg durch Maximilian I., Wohltätigkeit und
Gerechtigkeit durch Maria Theresia oder die Bruderliebe
durch Ferdinand I. Das zentrale Deckengemälde mit der
Austria versinnbildlicht die wichtigste Tugend
österrei-chischer
Herrscher und besonders der Habsburger, die
Ehrfurcht vor der Religion. Es übernimmt damit die
Auf-gabe
des Bildthemas Rudolf von Habsburg und der Priester,
das vor allem die Nazarener oft aufgegriffen hatten und
das im zeitlosen Mythos des frommen Urahnen den
Habs-burgern
Legitimation durch Gottesgnadentum in der
Gegenwart zusicherte. Mit der Szene wird nicht nur der
Beginn einer neuen Dynastie bezeichnet, sondern auch
deren Herrschaftsanspruch theologisch begründet: Die
unerschütterliche Kraft des Hauses Habsburg schöpft
ständig aus der Quelle der Pietas Eucharistica, die Rudolf
verkörpert.702 Durch die Allegorisierung und
Verallgemei-nerung
dieses Leitmotivs beschränkt Kupelwieser die
Frömmigkeit nicht auf das Geschlecht der Habsburger
und ihre Herrscher, sondern erweitert sie auf den ganzen
Staat, seine Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
larisieren als das Konstrukt eines in vieler Beziehung
hete-rogenen
und abstrakten übergeordneten Reiches. Durch
die Darstellung von Ereignissen, die sich sowohl auf das
Kernland Niederösterreich beziehen als auch im Kontext
der Reichsgeschichte verstanden werden können, vereinte
Kupelwieser diese oft als untereinander konkurrierende
Lesarten der Geschichte empfundenen Standpunkte.
Dabei spannte er einen weiten zeitlichen Bogen von Marc
Aurel in Vindobona und Karl dem Großen als Gründer der
Ostmark (deren Grenzen damals mit denen
Niederöster-reichs
ident gedacht wurden) über Begebenheiten wie die
Belagerung Wiens und das Aufgebot von 1797 mit der
zentralen Figur des Grafen Saurau, der zu jener Zeit auch
niederösterreichischer Regierungspräsident war, bis zu
Ereignissen aus der unmittelbaren Vergangenheit, etwa
der Schlacht von Aspern oder dem Wiener Kongress.
Der Reigen der Herrscher, Helden und patriotischen
Bürger, den Kupelwieser dabei in Szene setzte, folgt
deutlich den „Prinzipien der Strukturierung der historischen
Ereignisfülle nach bestimmten Leitthemen, die sich innerhalb
eines Zyklus zu einer (fiktiven) Vollständigkeit ergänzen“.694
Jan Assmann beschreibt diese Form eines
ausgewähl-ten
und definierten ikonographischen Repertoires, das
oft auch unterschiedliche und zeitlich weit
auseinander-liegende
Ereignisse unter einem bestimmten Aspekt oder
Handlungsmodell695 zusammenfasst und zu einem
Argu-ment
verdichtet, als Kanon.696 „Wer sich ihm anschließt,
bekehrt und bekennt sich zugleich zu einer normativen
Selbstdefinition, zu einer Identität.“697 Kanonbildung
konnte auch bedeuten, dass Parallelitäten konstruiert
und verschiedene Ereignisse wie Rudolf und der Einsiedler
und Odoaker vor Severin unter einem gemeinsamen
Gesichtspunkt gesehen
wurden.698Die
Kanonbildung wurde in Zeiten, in denen
Identi-täten
auseinanderdrifteten und Traditionen in Frage
gestellt wurden, zum stabilisierenden Ordnungsprinzip
einer Realität, deren komplexe, konfliktbehaftete
Verhält-nisse
und Zusammenhänge zu entgleisen drohten. Die
unüberschaubare Diversität an geschichtlichen
Ereignis-sen
wurde dabei nach aus der Perspektive der Gegenwart
bedeutungsvollen Kriterien neu
strukturiert.699In
der Auswahl der Bildgegenstände für seinen Zyklus
bediente sich Kupelwieser teilweise eines schon kanoni
sierten Themenkreises, der bereits von Hormayr angelegt
und dessen Inhalte in der Literatur und den bildenden
Künsten wiederholt behandelt worden war. Zugleich
schuf er aus einer Synthese von tradierten und neu
ge-schöpften
Motiven einen komplexen und vielschich
tigen
Bilderkanon, dessen Themen und
Organisationsprinzi-pien
wiederum auf die darauf folgenden
Kunstproduk-tionen
wirken sollten. Den Leitgedanken formulierte 694 Ebd. p.
40.695
Ebd. p.
39.696
Assmann (1992) p.
125f.697
Ebd. p.
127.698
Vgl.: Telesko (2006) p.
39.699
Vgl.: ebd. p.
33.700
Programmentwurf I, siehe Anhang.
701 Programmentwurf II, siehe Anhang.
702 Vgl.: Fastert (2000) p. 43 – 106.
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Das zusammengedrängte Gedenken
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Das zusammengedrängte Gedenken
- Autor
- Sigrid Eyb-Green
- Verlag
- Bibliothek der Provinz
- Ort
- Weitra
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-99028-075-1
- Abmessungen
- 24.0 x 27.0 cm
- Seiten
- 312
- Schlagwörter
- Leopold Kupelwieser, Freskenzyklus, Geschichtsdarstellung, 19. Jahrhundert, Werkprozess, Karton, Fresko, Papier, Wien
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 13
- Zur Baugeschichte der Niederösterreichischen Statthalterei 15
- Die Genese des Bildprogramms 19
- Erster Programmentwurf 19
- Der zweite Gesamtentwurf 35
- Zweiter und dritter Programmentwurf 39
- Die Aquarellentwürfe 40
- Der Freskenzyklus Einleitung und Überblick 43
- Zu den schriftlichen und bildlichen Quellen Leopold Kupelwiesers 45
- Die einzelnen Bildfelder: Bezüge, Quellen, Intentionen 47
- Die gekrönte Austria 47
- Odoakervor dem heiligen Severin (465 – 470) 56
- LeopoldI. stürmt Melk (984) 63
- Die drei Erbauer der St. Stephanskirche 68
- Die Gründung der Universität Wien durch Rudolf IV. (1364) 77
- Kaiser Marc Aurel: Markomannenschlacht und Tod 81
- Zug Karls des Großen gegen die Hunnawaren 85
- Leopold erhält von Otto II. die Ostmark zum Lehen 90
- Rudolf I. verleiht die Lehen an Albrecht I 95
- Das öffentliche Gericht zu Tulln (1200) 100
- Ferdinand I. setzt 1540 die niederösterreichische Regierung ein 109
- Die Türkenkriege der Jahre 1529, 1683 und 1697 116
- Die Aufgebote von 1797 125
- Erzherzog Karl in der Schlacht von Aspern 132
- Der Kongress zu Wien 1814 137
- Einleitungzu den Herrscherporträts 143
- Rudolf I 144
- MariaTheresia 148
- Maximilian I 151
- Joseph II 154
- Albrecht II 156
- Ferdinand II 158
- Ferdinand I. der Gütige 161
- Franz Joseph I 164
- Rezensionen 166
- Fresko und Karton als Formen öffentlicher Kunst Das Fresko: zur Konstruktion eines Gattungsbegriffs 167
- Die Praxis nazarenischer Wandmalerei in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Technik und Stil 168
- Öffentliche Kunst im Spannungsfeld zwischen Auftraggeber und Publikum 174
- Formen der Öffentlichkeit: Leopold Kupelwieser und die Situation der Geschichtsmalerei in Österreich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts 175
- Leopold Kupelwiesers Statthalterei-Zyklus und Entwurf einer Geschichtshalle: österreichische Identitäten und ihre Inszenierungen 188
- Zum Problem der „geschichtlichen Wahrheit“ in der Geschichtsmalerei 199
- Kupelwiesers Statthalterei-Kartons im Kontext nazarenischer Kartonkunst: „Vom Wesen des Kunstwerks“ 201
- Materialtechnologische Aspekte Der Arbeitsprozess im Überblick: Kartonzeichnungen, Probetafeln und Freskoarbeiten 215
- Zur Herstellung der Kartons 220
- Die Kartons zu den fünf Hauptgemälden der Decke 220
- Fünf Kartons zu Herrscherporträts: Rudolf I., Maximilian I., Ferdinand II., Maria Theresia und Joseph II 224
- Die Kartons zu den Allegorien 225
- Die Kartons zu den historischen Gemälden an den Wänden 231
- Die Kartons zu den beiden Friesen 234
- Die weitere Verwendung von neun Kartons als Deckenbilder im Palais Questenberg-Kaunitz 235
- Die Präsentation der Kartons an der Decke des Palais Questenberg-Kaunitz Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1940 244
- Übergabe aller Kartons 249
- Zur Aufbewahrung jener Kartons, die nicht im Palais Questenberg-Kaunitz präsentiert wurden 249
- Ausstellungen der Kartons 252
- Herstellung und Verwendung von Kartons für Wand- und Deckengemälde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Beispiele und Quellenliteratur 257
- Die Papierbahn 257
- Die Zeichnung 260
- Die Fixierung 263
- Die Übertragung an die Wand 265
- Die Fresko-Probetafeln 267
- Kupelwiesers Palette und Maltechnik 270
- Kupelwiesers Papiere: Ein Überblick über die Papierproduktion in der Habsburgermonarchie um 1850 273
- Die Papiere für Skizzen und Vorstudien 273
- Transparentpapiere 276
- Papiere für die Kartons 279
- Anhang: Programmentwürfe und Korrespondenzen Nö. Landesarchiv, Varia 8/1a: Programmentwurf I 294
- Nö. Landesarchiv, Varia 8/1b: Programmentwurf II 296
- Nö. Landesarchiv, Varia 8/1c: Programmentwurf III 297
- Nö. Landesarchiv, Varia 8: Schreiben von Leopold Kupelwieser an Freiherrn Kübeck von Kübau 297
- Nö.Landesarchiv, Varia 8: Anweisung Kübeck von Kübaus an Freiherrn Talatzko von Gestiecek 298
- Literaturverzeichnis 301
- Quellenverzeichnis 305
- Personenregister 306