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hältnisse. Sie nimmt in der Folge vorrangig Anstoß an den
Darstellungen von höfischen Zeremonien, die als
unzeit-gemäß
und ohne inneren Sinn empfunden werden und
denen deshalb keine politische Wirkkraft zuerkannt wird.
„Ein Umstand indess ist dem Berichterstatter aufgefallen
[…] dass nemlich in ihnen nicht sowohl charakteristische
ethische Momente, in denen sich das innere Leben der Zeit
spiegelt, als vielmehr jenes äussere Schaugepränge der
Geschichte: Belehnungen, Krönungen, kirchliche Trauungen
[…] vorgeführt
sind.“594Ein
weiterer Kernbegriff der vormärzlichen Kritik an
his-torischen
Wandgemälden ist die Verständlichkeit, die als
Voraussetzung zur Entfaltung ihrer Wirkung begriffen
wird. Dem Anspruch, sich dem Betrachter unmittelbar
verständlich mitzuteilen, wurden viele öffentliche
Histo-rienbilder
nicht gerecht und die Inhalte mussten dem
Publikum in Erläuterungsschriften dargelegt werden.595
Auch die Darstellung von Allegorien und Symbolen wird
in Hinblick auf die fehlende Verständlichkeit kritisiert;
Theodor Vischer bezeichnet sie in seiner Besprechung
der Schinkel’schen Wandmalereien in der Vorhalle des
Berliner Museums spöttisch als „theogonische Culturge
schichte
Räthsel und Theogonie
Zähnezerbrechungen“.596
Formen der Öffentlichkeit:
Leopold Kupelwieser und die Situation der
Geschichtsmalerei in Österreich in der ersten
Hälfte des 19. Jahrhunderts
Die Situation der Geschichtsmalerei in der
österreichi-schen
Monarchie gestaltete sich deutlich anders als in
den deutschen Staaten zu Beginn des 19. Jahrhunderts.
Zwar war hier wie dort die Forderung nach vaterländischer
bzw. nationaler Kunst eine unmittelbare Reaktion auf die
napoleonischen Kriege; Bedingungen, Inhalte und
Pers-pektiven
unterschieden sich indessen bedeutend und
waren teilweise diametral
entgegengesetzt.1804,
im selben Jahr, in dem der letzte
römisch-deut-sche
Kaiser Franz I. das österreichische Kaiserreich
pro-klamierte,
erschien die Ballade Rudolf von Habsburg und
der Priester, in der Schiller eine vom Schweizer Chronisten
„[…] so ganz eignet sie sich durch ihre Zeit und Wetter
verachtende Dauerhaftigkeit, der Oeffentlichkeit zu dienen,
und hierdurch möglichst ausgebreitet auf Erweckung des
Kunstgefühles im Volk
hinzuwirken.“589Die
Verantwortung, die der Wandmalerei durch den
Anspruch auf Beförderung des Nationalbewusstseins und
politische Ausbildung erwuchs, legte die zu
behandeln-den
Sujets auf Stoffe aus der Geschichte fest:
„Und doch ist der eigentliche Farbentopf des Fresko die
Geschichte. Wie diese ist es auf festem Grunde ruhend, die
Zeiten überdauernd, jedes Glanzfirnisses entbehrend, durch
große Massen imposant, ohne kleine und ängstliche Aus
schmückung, von derber Kraft. Nur dieses hat es noch der
Geschichte voraus, daß es nicht gleich ihr erst durch Ver
stand und Gedächtniß den Weg zum Herzen suchen muß,
sondern mit einemmale mit lebendigen Gestalten lebendig
in die Seele tritt.“590
Dabei zeichnet sich bald jener, im berühmten Brief
Cor-nelius’
an Görres bereits formulierte und später zum
all-gemeinen
Konsens gewordene antifeudale Grundton ab,
der von der neuen Kunst gefordert wird.
„Nicht zum blosen Spielwerk und dem Kitzel für die Sinne
soll die Kunst mehr angewendet werden; nicht blos zur Ergöt
zung und Prachtliebe geehrter Fürsten oder schätzenswerther
Privatpersonen: sondern hauptsächlich zur Verherrlichung
eines öffentlichen Lebens
[…]“591,schreibt
Johann David Passavant 1820 in Rom. Das
Bür-gertum
hatte in den allerorts gegründeten Kunstvereinen
ein Instrument, Kunst zu fördern und selbst öffentliche
Kunstwerke in Auftrag zu geben – allerdings nur in
bescheidenem Rahmen. Aufträge zur Gestaltung
öffent-licher
Bauten im großen Stil waren nur mit Hilfe feudaler
Mächte wie dem neoabsolutistischen Herrscher Ludwig I.
in München möglich. Mit seiner Denkmalpolitik und
sei-ner
Vorliebe für Freskomalerei beanspruchte König
Lud-wig
dabei dieselben Medien wie das Bürgertum, jedoch
mit umgekehrten politischen Vorzeichen. Nachdem
König Ludwig in den meisten Fällen auch als Financier
auftrat, bestimmte er formale und inhaltliche Aspekte
eines Kunstwerks bis hin zur Technik, in der es ausgeführt
werden sollte, wie etwa im Falle der Fassaden der Neuen
Pinakothek, die Kaulbach als Fresko malen musste,
obwohl die Untergründe für die Stereochromie schon
vorbereitet waren.592 Die Auseinandersetzungen zwischen
König Ludwig und Julius Schnorr von Carolsfeld um die
Themen der Bilder in den Kaisersälen hat Sabine Fastert
eingehend beschrieben.593
Die Kritik erkennt das Wandbild als Feld der
Ausein-andersetzung
zwischen bürgerlichen und
höfisch-staat-lichen
Positionen und als Indikator politischer Machtver- 589 Hormayr (1830) in: Inland 1830, Nr. 167/8, p. 683.
590 Ebd. p.
834.591
Passavant (1820) p.
78.592
Schiessl (1985) p.
160.593
Fastert (2000) p. 290 –
296.594
Kugler, F.: Ein Besuch in München. In: Kugler Schriften III, p. 130.
Zit. nach: Droste (1980) p.
125.595
Vgl.: Hormayr (1830).
596 Vischer (1846) p. 100.
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Das zusammengedrängte Gedenken
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Das zusammengedrängte Gedenken
- Autor
- Sigrid Eyb-Green
- Verlag
- Bibliothek der Provinz
- Ort
- Weitra
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-99028-075-1
- Abmessungen
- 24.0 x 27.0 cm
- Seiten
- 312
- Schlagwörter
- Leopold Kupelwieser, Freskenzyklus, Geschichtsdarstellung, 19. Jahrhundert, Werkprozess, Karton, Fresko, Papier, Wien
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 13
- Zur Baugeschichte der Niederösterreichischen Statthalterei 15
- Die Genese des Bildprogramms 19
- Erster Programmentwurf 19
- Der zweite Gesamtentwurf 35
- Zweiter und dritter Programmentwurf 39
- Die Aquarellentwürfe 40
- Der Freskenzyklus Einleitung und Überblick 43
- Zu den schriftlichen und bildlichen Quellen Leopold Kupelwiesers 45
- Die einzelnen Bildfelder: Bezüge, Quellen, Intentionen 47
- Die gekrönte Austria 47
- Odoakervor dem heiligen Severin (465 – 470) 56
- LeopoldI. stürmt Melk (984) 63
- Die drei Erbauer der St. Stephanskirche 68
- Die Gründung der Universität Wien durch Rudolf IV. (1364) 77
- Kaiser Marc Aurel: Markomannenschlacht und Tod 81
- Zug Karls des Großen gegen die Hunnawaren 85
- Leopold erhält von Otto II. die Ostmark zum Lehen 90
- Rudolf I. verleiht die Lehen an Albrecht I 95
- Das öffentliche Gericht zu Tulln (1200) 100
- Ferdinand I. setzt 1540 die niederösterreichische Regierung ein 109
- Die Türkenkriege der Jahre 1529, 1683 und 1697 116
- Die Aufgebote von 1797 125
- Erzherzog Karl in der Schlacht von Aspern 132
- Der Kongress zu Wien 1814 137
- Einleitungzu den Herrscherporträts 143
- Rudolf I 144
- MariaTheresia 148
- Maximilian I 151
- Joseph II 154
- Albrecht II 156
- Ferdinand II 158
- Ferdinand I. der Gütige 161
- Franz Joseph I 164
- Rezensionen 166
- Fresko und Karton als Formen öffentlicher Kunst Das Fresko: zur Konstruktion eines Gattungsbegriffs 167
- Die Praxis nazarenischer Wandmalerei in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Technik und Stil 168
- Öffentliche Kunst im Spannungsfeld zwischen Auftraggeber und Publikum 174
- Formen der Öffentlichkeit: Leopold Kupelwieser und die Situation der Geschichtsmalerei in Österreich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts 175
- Leopold Kupelwiesers Statthalterei-Zyklus und Entwurf einer Geschichtshalle: österreichische Identitäten und ihre Inszenierungen 188
- Zum Problem der „geschichtlichen Wahrheit“ in der Geschichtsmalerei 199
- Kupelwiesers Statthalterei-Kartons im Kontext nazarenischer Kartonkunst: „Vom Wesen des Kunstwerks“ 201
- Materialtechnologische Aspekte Der Arbeitsprozess im Überblick: Kartonzeichnungen, Probetafeln und Freskoarbeiten 215
- Zur Herstellung der Kartons 220
- Die Kartons zu den fünf Hauptgemälden der Decke 220
- Fünf Kartons zu Herrscherporträts: Rudolf I., Maximilian I., Ferdinand II., Maria Theresia und Joseph II 224
- Die Kartons zu den Allegorien 225
- Die Kartons zu den historischen Gemälden an den Wänden 231
- Die Kartons zu den beiden Friesen 234
- Die weitere Verwendung von neun Kartons als Deckenbilder im Palais Questenberg-Kaunitz 235
- Die Präsentation der Kartons an der Decke des Palais Questenberg-Kaunitz Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1940 244
- Übergabe aller Kartons 249
- Zur Aufbewahrung jener Kartons, die nicht im Palais Questenberg-Kaunitz präsentiert wurden 249
- Ausstellungen der Kartons 252
- Herstellung und Verwendung von Kartons für Wand- und Deckengemälde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Beispiele und Quellenliteratur 257
- Die Papierbahn 257
- Die Zeichnung 260
- Die Fixierung 263
- Die Übertragung an die Wand 265
- Die Fresko-Probetafeln 267
- Kupelwiesers Palette und Maltechnik 270
- Kupelwiesers Papiere: Ein Überblick über die Papierproduktion in der Habsburgermonarchie um 1850 273
- Die Papiere für Skizzen und Vorstudien 273
- Transparentpapiere 276
- Papiere für die Kartons 279
- Anhang: Programmentwürfe und Korrespondenzen Nö. Landesarchiv, Varia 8/1a: Programmentwurf I 294
- Nö. Landesarchiv, Varia 8/1b: Programmentwurf II 296
- Nö. Landesarchiv, Varia 8/1c: Programmentwurf III 297
- Nö. Landesarchiv, Varia 8: Schreiben von Leopold Kupelwieser an Freiherrn Kübeck von Kübau 297
- Nö.Landesarchiv, Varia 8: Anweisung Kübeck von Kübaus an Freiherrn Talatzko von Gestiecek 298
- Literaturverzeichnis 301
- Quellenverzeichnis 305
- Personenregister 306