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Kunst und Kultur
Das zusammengedrängte Gedenken
Seite - 199 -
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199 Die meisten historischen Figuren waren in einem spezifi-schen lokalen und kulturellen Kontext verankert, der nur selten eine gesamtösterreichische Deutung zuließ und die Stilisierung einer bestimmenden nationalen Identitätsfi-gur verhinderte. Damit fehlte Österreich auch ein verbind-licher Gründungsmythos, ein Ursprung, aus dem das Iden-tische abgeleitet werden konnte, um den Abstand zu einer zeitlich entfernten Herkunft zu überbrücken.735 Im Statt-halterei-Zyklus finden sich stattdessen gleich mehrere Ursprünge: der Übergang Marc Aurels über die Donau, der den herannahenden Untergang des ehemaligen Weltreichs andeutet, „durch dessen Folgen Oesterreich seine selbstän­ dige Entwicklung erhielt“736, Karl der Große als Gründer der Ostmark, Severin, der den christlichen Glauben in Öster-reich begründete, und schließlich die Anfänge der beiden großen Herrscherdynastien in den zwei Belehnungsszenen. Zum Problem der „geschichtlichen Wahrheit“ in der GeschichtsmalereiDie Tatsache, dass in den beiden Belehnungsszenen Rudolf I. und Leopold I. in ihren Positionen als Landes-fürsten und nicht im Kontext ihrer legendenhaften Taten dargestellt werden, verweist auch auf Veränderungen im Anspruch an die Geschichtsmalerei, die sich zu der Zeit abzuzeichnen begannen. Dies führte zum Problem der geschichtlichen Wahrheit, einer in der Geschichtsmalerei zentralen und viel diskutierten Fragestellung. Noch im 18. Jahrhundert bemerkte der englische Geschichtsmaler Sir James Thornhill zu seinem Gemälde Die Landung George I. in England, er habe das Geschehen gemalt, wie es hätte sein sollen.737 Aus dem ought to be wurde im Historismus das wie es hätte sein können. Die Begegnung Rudolfs mit dem Priester, die Rettung des römisch-deutschen Kaisers Otto I. auf der Jagd durch den ersten Babenberger Leopold und die ursprünglich geplante und später aus dem Programm wieder heraus-genommene Darstellung der Gründung Klosterneuburgs in der Schleierszene konnten wohl einem wissenschaftli­ chen Zugang zur Geschichte nicht mehr gerecht werden. 1842, also nur wenige Jahre vor der Entstehung der Statt halterei-Fresken, kam es aus einem ähnlichen Anlass zu einem Streit um Julius Schnorr von Carolsfelds Gemälde Der Sieg Karls über die Sachsen bei Fritzlar: Der Auftrag- Zyklus, nämlich „dass in Österreich zu allen Zeiten jede Regenten­ Tugend in ihrer schönsten Entfaltung durch den Herrscher geübt wurde“730 bestätigt. Hier zeigt sich deut-lich die Tendenz zur Reduktion der Komplexität des His-torischen und zur Komprimierung, Konzentration und Vereinfachung, die untrennbar mit der Visualisierung von Mythen verbunden ist.731Der Belehnungsszene mit Albrecht I. ist das Gemälde Leopold I. erhält von Otto II. die Ostmark zugeordnet. „[…] die anderen zwey gleichförmigen Bilder […] bezeich­ nen die zwey großen Dynastien, welche Österreich führten“, heißt es dazu im zweiten Programmentwurf.732 Leopold I. und Rudolf I. werden hier nicht in der Bildtradition der vaterländischen Geschichtsmalerei als mutige Verteidi-ger des römisch-deutschen Kaisers bzw. als fromme Ahnherren mit dem Priester dargestellt, sondern in ihrer Funktion als Begründer der beiden großen österreichi-schen Herrscherdynastien. Hier orientiert sich die Suche nach Identität deutlich an der Dynastie, die als Bürge von Kontinuität und geordneten Verhältnissen das Reich durch Jahrhunderte einigte. Nachdem Hormayr Öster-reich enttäuscht verlassen hatte, bemerkte er dazu: „Man hat gar keine Geschichte der Nationen, sondern nur eine durch Wien und Innsbruck, Prag und Ofen fortlaufende Geschichte der Dynastie, an welchen historischen Cichorien­ surrogat statt des wahren Caffees uns die Jesuiten gewöhnt haben.“733 Obwohl die beiden Belehnungsszenen den Beginn der zwei Herrscherdynastien in Österreich markieren, sind sie doch nicht Ursprungsmythen im eigentlichen Sinn. Kupelwiesers Programm greift in den beiden Deckenfrie-sen noch viel weiter in die Vergangenheit zurück und fasst somit den Begriff Österreich weiter und nicht als ident mit seinen beiden Herrscherhäusern auf. Die Sze-nen Karl der Große besiegt die Hunnawaren und Marc Aurels Übergang über die Donau unweit Wien, sein Kampf gegen die Quaden und sein Tod sind bezeichnenderweise in Grisaillemalerei ausgeführt; sie erzählen eine graue, weit zurückliegende Vergangenheit, deren Auswirkungen auf die Gegenwart nur mittelbar erfahr- und benennbar sind. Karl der Große ist in diesem Kontext keine Gründerfigur wie etwa in Deutschland, wo mehrere geschichtliche Wandma-lerei-Zyklen ausschließlich Leben und Wirken Karls des Großen thematisierten und wiederholt seine fundamen-tale Bedeutung für das deutsche Volk beschworen. Anders als etwa auch Frankreich oder Ungarn hatte der österreichische Kaiserstaat keine Gründerfigur, aus deren heldenhaften Taten man das Identische, das Eigentliche ableiten hätte können. „Im Vergleich zu anderen Staaten […] scheint Österreich ein überregional anerkannter Nationalheld zu fehlen.“734 730 Programmentwurf I, siehe Anhang.731 Telesko (2006) p. 30.732 Programmentwurf II, siehe Anhang. 733 Brief von Joseph Freiherr von Hormayr an den böhmischen Gra-fen Caspar Sternberg, datiert 1829, nachdem Hormayr Österreich verlassen hatte. Zit. nach: Häusler (1991) p. 154.734 Telesko (2006) p. 26.735 Vgl. Pohl (2004) p. 24.736 Kielmannsegg (1891).737 Busch (1990) p. 60.
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Das zusammengedrängte Gedenken
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
Das zusammengedrängte Gedenken
Autor
Sigrid Eyb-Green
Verlag
Bibliothek der Provinz
Ort
Weitra
Datum
2016
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-99028-075-1
Abmessungen
24.0 x 27.0 cm
Seiten
312
Schlagwörter
Leopold Kupelwieser, Freskenzyklus, Geschichtsdarstellung, 19. Jahrhundert, Werkprozess, Karton, Fresko, Papier, Wien
Kategorie
Kunst und Kultur

Inhaltsverzeichnis

  1. Einleitung 13
  2. Zur Baugeschichte der Niederösterreichischen Statthalterei 15
  3. Die Genese des Bildprogramms 19
  4. Erster Programmentwurf 19
  5. Der zweite Gesamtentwurf 35
  6. Zweiter und dritter Programmentwurf 39
  7. Die Aquarellentwürfe 40
  8. Der Freskenzyklus Einleitung und Überblick 43
  9. Zu den schriftlichen und bildlichen Quellen Leopold Kupelwiesers 45
  10. Die einzelnen Bildfelder: Bezüge, Quellen, Intentionen 47
  11. Die gekrönte Austria 47
  12. Odoakervor dem heiligen Severin (465 – 470) 56
  13. LeopoldI. stürmt Melk (984) 63
  14. Die drei Erbauer der St. Stephanskirche 68
  15. Die Gründung der Universität Wien durch Rudolf IV. (1364) 77
  16. Kaiser Marc Aurel: Markomannenschlacht und Tod 81
  17. Zug Karls des Großen gegen die Hunnawaren 85
  18. Leopold erhält von Otto II. die Ostmark zum Lehen 90
  19. Rudolf I. verleiht die Lehen an Albrecht I 95
  20. Das öffentliche Gericht zu Tulln (1200) 100
  21. Ferdinand I. setzt 1540 die niederösterreichische Regierung ein 109
  22. Die Türkenkriege der Jahre 1529, 1683 und 1697 116
  23. Die Aufgebote von 1797 125
  24. Erzherzog Karl in der Schlacht von Aspern 132
  25. Der Kongress zu Wien 1814 137
  26. Einleitungzu den Herrscherporträts 143
  27. Rudolf I 144
  28. MariaTheresia 148
  29. Maximilian I 151
  30. Joseph II 154
  31. Albrecht II 156
  32. Ferdinand II 158
  33. Ferdinand I. der Gütige 161
  34. Franz Joseph I 164
  35. Rezensionen 166
  36. Fresko und Karton als Formen öffentlicher Kunst Das Fresko: zur Konstruktion eines Gattungsbegriffs 167
  37. Die Praxis nazarenischer Wandmalerei in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Technik und Stil 168
  38. Öffentliche Kunst im Spannungsfeld zwischen Auftraggeber und Publikum 174
  39. Formen der Öffentlichkeit: Leopold Kupelwieser und die Situation der Geschichtsmalerei in Österreich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts 175
  40. Leopold Kupelwiesers Statthalterei-Zyklus und Entwurf einer Geschichtshalle: österreichische Identitäten und ihre Inszenierungen 188
  41. Zum Problem der „geschichtlichen Wahrheit“ in der Geschichtsmalerei 199
  42. Kupelwiesers Statthalterei-Kartons im Kontext nazarenischer Kartonkunst: „Vom Wesen des Kunstwerks“ 201
  43. Materialtechnologische Aspekte Der Arbeitsprozess im Überblick: Kartonzeichnungen, Probetafeln und Freskoarbeiten 215
  44. Zur Herstellung der Kartons 220
  45. Die Kartons zu den fünf Hauptgemälden der Decke 220
  46. Fünf Kartons zu Herrscherporträts: Rudolf I., Maximilian I., Ferdinand II., Maria Theresia und Joseph II 224
  47. Die Kartons zu den Allegorien 225
  48. Die Kartons zu den historischen Gemälden an den Wänden 231
  49. Die Kartons zu den beiden Friesen 234
  50. Die weitere Verwendung von neun Kartons als Deckenbilder im Palais Questenberg-Kaunitz 235
  51. Die Präsentation der Kartons an der Decke des Palais Questenberg-Kaunitz Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1940 244
  52. Übergabe aller Kartons 249
  53. Zur Aufbewahrung jener Kartons, die nicht im Palais Questenberg-Kaunitz präsentiert wurden 249
  54. Ausstellungen der Kartons 252
  55. Herstellung und Verwendung von Kartons für Wand- und Deckengemälde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Beispiele und Quellenliteratur 257
  56. Die Papierbahn 257
  57. Die Zeichnung 260
  58. Die Fixierung 263
  59. Die Übertragung an die Wand 265
  60. Die Fresko-Probetafeln 267
  61. Kupelwiesers Palette und Maltechnik 270
  62. Kupelwiesers Papiere: Ein Überblick über die Papierproduktion in der Habsburgermonarchie um 1850 273
  63. Die Papiere für Skizzen und Vorstudien 273
  64. Transparentpapiere 276
  65. Papiere für die Kartons 279
  66. Anhang: Programmentwürfe und Korrespondenzen Nö. Landesarchiv, Varia 8/1a: Programmentwurf I 294
  67. Nö. Landesarchiv, Varia 8/1b: Programmentwurf II 296
  68. Nö. Landesarchiv, Varia 8/1c: Programmentwurf III 297
  69. Nö. Landesarchiv, Varia 8: Schreiben von Leopold Kupelwieser an Freiherrn Kübeck von Kübau 297
  70. Nö.Landesarchiv, Varia 8: Anweisung Kübeck von Kübaus an Freiherrn Talatzko von Gestiecek 298
  71. Literaturverzeichnis 301
  72. Quellenverzeichnis 305
  73. Personenregister 306
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