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geboten hätte.746 Sehr schnell hatten sich Kartons also
von ihrer Funktion innerhalb der Werkgenese gelöst und
wurden nicht nur in Bezugnahme auf das ausgeführte
Wandbild, sondern zugleich auch als autonome
Kunst-werke
wahrgenommen. Ein unmittelbarer Verweis auf
Künstler der Hochrenaissance wie Leonardo oder
Michel-angelo,
die in Florenz ihre Kartons öffentlich
präsentier-ten,
konnte dabei bisher nicht belegt werden.
Dass es zu einer Aufwertung der Kartonzeichnung
kommen konnte, steht in gewissem Widerspruch zur
naza-renischen
Programmatik, nach der Wandgemälde ihre
volkstümliche Wirksamkeit und ihren appellativen
Cha-rakter
gerade in Zusammenhang mit ihrer
Ortsgebunden-heit
entfalten sollten. Schnorr schreibt dazu an Görres:
„In geistiger und körperlicher Hinsicht gehören ihre [der
Freskenmaler, Anm.] Werke demjenigen Flecklein Erde, wo sie
entstehen, so eigentlich an, sie sind mit Gott, der Natur und
der Zeit im schönsten Einklang und kein gebildeter Barbar
[nach Büttner eine Anspielung auf die Kunstpolitik Napo
leon, Anm.] führt sie weg.“747
Farbe wurde nach dem Prinzip der Loslösung von der
Gegenstandsbezeichnung eingesetzt und erhielt eine
wichtige symbolische und kennzeichnende Funktion, was
in der Folge besonders im Frühwerk der ersten Generation
Nazarener zu einem sehr bunten Eindruck führt.
Dem Karton fehlt aber sowohl die Einbindung in
einen architektonischen Kontext als auch die Farbe.
Die-ser
Widerspruch lässt sich nur im Bewusstsein des
grund-legenden
Verständnisses der Nazarener von Natur und
ihrem Abbild erklären. Denn nicht die Naturtreue im
Detail und die farbige Materialisierung allgemein waren
ihre Absicht, sondern die möglichst reine Übersetzung
ihrer komplexen Gedankengebäude. Max Schasler
formu-lierte
dies besonders prägnant:
„Es kam hier Alles auf die Composition als solche an, weil
sich durch sie durch die farblose Lineatur das rein Gedank
liche des darzustellenden Ideenzyklus allein in der nöthigen
Durchsichtigkeit der abstrakten Form wiedergeben ließ.“748
So wurde das Fehlen von Farbe zum Mittel der
Abstrak-tion,
die notwendig war, um dem symbolischen Gehalt
des Bildinhaltes gerecht zu werden. In diesem Sinn ist
wissenschaften entsprach in der Geschichtsmalerei der
Rückgriff auf bildliche Quellen. Das Bemühen um
Authentizität in der Darstellung kann als Suche nach
den Ursprüngen gelesen werden, nach dem, was wirklich
war, es ist ein Versuch der Vergegenwärtigung und
Über-brückung
von zeitlichen Distanzen zu einer
verbinden-den
Vergangenheit, die durch möglichst genaue
Wieder-holung
im Bild als Kontinuität in die Gegenwart konstruiert
wurde.
Kupelwiesers Statthalterei-Kartons
im Kontext nazarenischer Kartonkunst:
„Vom Wesen des
Kunstwerks“Über
die Kartonkunst der Nazarener und ihres Umkreises
sind in den letzten Jahren mehrere Publikationen
erschie-nen,
von Werner Buschs allgemeinen Betrachtungen742
zu Beiträgen in Ausstellungskatalogen, die Funktion und
Bedeutung von Kartons bei Künstlern wie Friedrich
Over-beck743,
Julius Schnorr von Carolsfeld744 oder Joseph von
Führich745 diskutieren. Im Folgenden soll ein Überblick
über den Stand der Forschung gegeben und Kupelwiesers
Statthalterei-Kartons in den Kontext nazarenischen
Kunstschaffens gestellt werden.
Werner Busch führt die Entstehung der Kartonkunst
auf Jakob Asmus Carstens Reflexionen zur Kant’schen
Theo rie über Kunst und die Rolle des Künstlers zurück.
Kant formulierte erstmals den Autonomieanspruch des
Künstlers selbst, der die Menschheit durch seine Kunst an
seinen Ideen teilhaben lässt. Kunst kann in der Folge nicht
nach den Normen akademischer Richtigkeit beurteilt
wer-den,
sondern nur danach, inwieweit es ihr gelungen ist,
die künstlerische Idee zu kommunizieren. Daraus ergibt
sich eine Verschiebung des Stellenwertes von Maltechnik
und traditionellem Bildaufbau hin zu der Idee und dem
einmaligen schöpferischen Akt ihrer Konkretisierung. Das
am wenigsten materielle Medium, die Zeichnung, erschien
Kant zur reinen Wiedergabe dieser Idee am
angemessens-ten.
Aus diesem Ansatz leiteten zunächst Carsten und in
der Folge Overbeck, der Carsten aus seiner Jugendzeit
kannte, den Anspruch des Kartons ab, das eigentliche
Wesen des Kunstwerks, die Idee, bereits zu enthalten und
unverfälscht in Erscheinung bringen zu
können.Schon
die ersten Gemeinschaftsprojekte der
Nazare-ner
in Rom sind Zeugnis des Bestrebens der jungen
Künstler, die deutsche Kunst durch öffentlich wirksame,
religiös-historische Wandbilder zu erneuern. Geprägt
wurde diese neue Monumentalkunst von italienischen
Fresken der Früh- und Hochrenaissance. Bereits für die
freskale Ausstattung der Casa Bartholdy (1815 – 1817)
wurden dabei die Kartons mit weit größerer Sorgfalt
aus-geführt,
als es die rein arbeitstechnische Notwendigkeit 742 Busch (1985) p. 306 –
319.743
Gerkens (1994) p. 23 –
34.744
Kuhlmann-Hodick (1999) p. 36 – 47.
745 Reiter (2005) p. 207 –
252.746
Frank Büttner vermerkt, dass die Arbeiten in der Casa Bartholdy
deshalb so langsam vor sich gingen, weil die Künstler sehr viel
Zeit für das Zeichnen der Kartons aufwendeten. Siehe dazu:
Büttner (1981) p.
283.747
Brief von Cornelius an Görres, zit. nach: Kuhlmann-Hodick
(1999) p. 43, Anm.
34.748
Schasler (1854) p. 18.
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Das zusammengedrängte Gedenken
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Das zusammengedrängte Gedenken
- Autor
- Sigrid Eyb-Green
- Verlag
- Bibliothek der Provinz
- Ort
- Weitra
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-99028-075-1
- Abmessungen
- 24.0 x 27.0 cm
- Seiten
- 312
- Schlagwörter
- Leopold Kupelwieser, Freskenzyklus, Geschichtsdarstellung, 19. Jahrhundert, Werkprozess, Karton, Fresko, Papier, Wien
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 13
- Zur Baugeschichte der Niederösterreichischen Statthalterei 15
- Die Genese des Bildprogramms 19
- Erster Programmentwurf 19
- Der zweite Gesamtentwurf 35
- Zweiter und dritter Programmentwurf 39
- Die Aquarellentwürfe 40
- Der Freskenzyklus Einleitung und Überblick 43
- Zu den schriftlichen und bildlichen Quellen Leopold Kupelwiesers 45
- Die einzelnen Bildfelder: Bezüge, Quellen, Intentionen 47
- Die gekrönte Austria 47
- Odoakervor dem heiligen Severin (465 – 470) 56
- LeopoldI. stürmt Melk (984) 63
- Die drei Erbauer der St. Stephanskirche 68
- Die Gründung der Universität Wien durch Rudolf IV. (1364) 77
- Kaiser Marc Aurel: Markomannenschlacht und Tod 81
- Zug Karls des Großen gegen die Hunnawaren 85
- Leopold erhält von Otto II. die Ostmark zum Lehen 90
- Rudolf I. verleiht die Lehen an Albrecht I 95
- Das öffentliche Gericht zu Tulln (1200) 100
- Ferdinand I. setzt 1540 die niederösterreichische Regierung ein 109
- Die Türkenkriege der Jahre 1529, 1683 und 1697 116
- Die Aufgebote von 1797 125
- Erzherzog Karl in der Schlacht von Aspern 132
- Der Kongress zu Wien 1814 137
- Einleitungzu den Herrscherporträts 143
- Rudolf I 144
- MariaTheresia 148
- Maximilian I 151
- Joseph II 154
- Albrecht II 156
- Ferdinand II 158
- Ferdinand I. der Gütige 161
- Franz Joseph I 164
- Rezensionen 166
- Fresko und Karton als Formen öffentlicher Kunst Das Fresko: zur Konstruktion eines Gattungsbegriffs 167
- Die Praxis nazarenischer Wandmalerei in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Technik und Stil 168
- Öffentliche Kunst im Spannungsfeld zwischen Auftraggeber und Publikum 174
- Formen der Öffentlichkeit: Leopold Kupelwieser und die Situation der Geschichtsmalerei in Österreich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts 175
- Leopold Kupelwiesers Statthalterei-Zyklus und Entwurf einer Geschichtshalle: österreichische Identitäten und ihre Inszenierungen 188
- Zum Problem der „geschichtlichen Wahrheit“ in der Geschichtsmalerei 199
- Kupelwiesers Statthalterei-Kartons im Kontext nazarenischer Kartonkunst: „Vom Wesen des Kunstwerks“ 201
- Materialtechnologische Aspekte Der Arbeitsprozess im Überblick: Kartonzeichnungen, Probetafeln und Freskoarbeiten 215
- Zur Herstellung der Kartons 220
- Die Kartons zu den fünf Hauptgemälden der Decke 220
- Fünf Kartons zu Herrscherporträts: Rudolf I., Maximilian I., Ferdinand II., Maria Theresia und Joseph II 224
- Die Kartons zu den Allegorien 225
- Die Kartons zu den historischen Gemälden an den Wänden 231
- Die Kartons zu den beiden Friesen 234
- Die weitere Verwendung von neun Kartons als Deckenbilder im Palais Questenberg-Kaunitz 235
- Die Präsentation der Kartons an der Decke des Palais Questenberg-Kaunitz Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1940 244
- Übergabe aller Kartons 249
- Zur Aufbewahrung jener Kartons, die nicht im Palais Questenberg-Kaunitz präsentiert wurden 249
- Ausstellungen der Kartons 252
- Herstellung und Verwendung von Kartons für Wand- und Deckengemälde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Beispiele und Quellenliteratur 257
- Die Papierbahn 257
- Die Zeichnung 260
- Die Fixierung 263
- Die Übertragung an die Wand 265
- Die Fresko-Probetafeln 267
- Kupelwiesers Palette und Maltechnik 270
- Kupelwiesers Papiere: Ein Überblick über die Papierproduktion in der Habsburgermonarchie um 1850 273
- Die Papiere für Skizzen und Vorstudien 273
- Transparentpapiere 276
- Papiere für die Kartons 279
- Anhang: Programmentwürfe und Korrespondenzen Nö. Landesarchiv, Varia 8/1a: Programmentwurf I 294
- Nö. Landesarchiv, Varia 8/1b: Programmentwurf II 296
- Nö. Landesarchiv, Varia 8/1c: Programmentwurf III 297
- Nö. Landesarchiv, Varia 8: Schreiben von Leopold Kupelwieser an Freiherrn Kübeck von Kübau 297
- Nö.Landesarchiv, Varia 8: Anweisung Kübeck von Kübaus an Freiherrn Talatzko von Gestiecek 298
- Literaturverzeichnis 301
- Quellenverzeichnis 305
- Personenregister 306