Seite - 538 - in Die italienische Literatur in Österreich - Von den Anfängen bis 1797, Band I
Bild der Seite - 538 -
Text der Seite - 538 -
Die Verbreitung der italienischen
Literatur538
VIII.2 Das Libretto als wichtigste Gattung
Die weitaus überwiegende Anzahl der italienischen Drucke in Österreich gehören
zu den unterschiedlichen Ausformungen der Gattung Libretto. Sie macht mit 1.921
von 2.306 Drucken 83,30 % aus und spiegelt bezüglich der zahlenmäßigen Entwick-
lung deckungsgleich die Kurve der gesamten Produktion wider: der Tiefpunkt liegt
in den Jahrzehnten 1711–20 (69) und 1751– 60 (87), während mit 237 Librettodru-
cken der absolute Höhepunkt 1731–40 erreicht wird. Die Gattung Libretto stellt
in den Jahrzehnten 1731–40 (237 von 251) und 1771–80 (172 von 183) jeweils über
94% der italienischen Drucke in Österreich dar. Das Einzeljahr mit dem höchsten
Anteil an Librettodrucken ist 1730 mit beinahe 97% (32 von 33), gleichzeitig das
Jahr der Ankunft Metastasios in Wien.
Die aus der selbstständigen Literaturgattung Tragödie um 1600 abgeleitete neue
Textsorte Libretto wirft mehrere Fragen ästhetischer Natur auf, deren Beantwor-
tung sie möglicherweise zu einer für die Frühe Neuzeit so bestimmenden Form ma-
chen, wie es der Roman ab dem 18. Jahrhundert sein wird, und welche Smith mit
Recht die Einführung einer zehnten Muse fordern ließ.933 Die Ausgangsdefinition
der Textsorte scheint einfach: „Das Libretto ist die Textvorlage einer Oper, eines
Oratoriums und überhaupt eines größeren Vokalwerkes in Dialogform.“934 Das be-
deutet aber für die Analyse des Textes zwei mögliche Untersuchungsebenen, näm-
lich:
– die Beschäftigung mit der Interaktion zwischen Text und Musik bei der Auffüh-
rung, was ein ziemlich komplexes Instrumentarium verlangt und eine Vermen-
gung mit interpretatorischen Vorgängen bewirkt; oder
– die von konkreten Vertonungen unabhängige Analyse des Funktionierens dieses
Textes in Hinblick auf seine Bestimmung – eine virtuelle Vertonung gewisserma-
ßen –, was literaturwissenschaftliche Untersuchungen mit herkömmlichen Mit-
teln erlaubt.
Das Libretto als ein ausdrücklich zur Vertonung bestimmter Dramentext erfordert
in seiner Analyse also die Fragestellung nach einer Beziehung zwischen dem vor-
liegenden konkreten Text und einer erst zu schaffenden, virtuellen Musik, insbe-
sondere das Auffinden spezifischer Strukturelemente, welche dieses Zusammenspiel
möglich machen. Die Einführung historischer Untergattungen (z.B. venezianisches
Opernlibretto, Libretto der Hofoper, Libretto des deutschen Singspiels) ändert
933 Patrick J. Smith: The Tenth Muse. A Historical Study of the Opera Libretto. London 1971.^
934 Dieter Borchmeyer: Libretto. A. Textform. In: Musik in Geschichte und Gegenwart. Sachteil Bd. 5.
Kassel 1999, Sp. 1116–1123; hier Sp. 1116.
Die italienische Literatur in Österreich
Von den Anfängen bis 1797, Band I
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die italienische Literatur in Österreich
- Untertitel
- Von den Anfängen bis 1797
- Band
- I
- Autor
- Alfred Noe
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78730-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 780
- Schlagwörter
- Italian Literature, Habsburg Monarchy, Libretto, Court Festivities
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Einführung 9
- I. Der italienische Humanismus in Österreich 27
- II. Der Petrarkismus und die Akademiebewegung in Österreich 79
- II.1 Petrarkismus und protestantischer Adel 81
- II.2 Die Rezeption der Madrigalistik an den Höfen 87
- II.3 Barocke Akademien 92
- III. Die religiöse Literatur von der Gegenreformation zur katholischen Frühaufklärung 99
- III.1 Reformorden aus Italien und ihre Volksmissionen 101
- III.2 Die kontemplative Literatur für Laien 114
- III.3 Die katholische Frühaufklärung 127
- IV. Die italienische Improvisationskomödie 135
- V. Die literarische Selbstdarstellung des Kaiserhofes im Barock 199
- V.1 Die Bedeutung der Historiographie 208
- V.2 Die Funktion der kaiserlichen Hofdichter 214
- V.3 Geistliche Musikdramen und Oratorien 218
- V.4 Die Rezeption des italienischen Musiktheaters zu Beginn des 17. Jahrhunderts 263
- V.5 Serenaden, Kammerfeste und andere Kleinformen 274
- V.6 Ballette und Einleitungen zu Balletten 293
- V.7 Aufzüge und Rossballette 302
- V.8 Musikalische Feste 305
- V.9 Faschingsopern 314
- V.10 Opern zu Geburts- und Namenstagen im Kaiserhaus 334
- V.11 Opern zu Geburten im Kaiserhaus 369
- V.12 Hochzeitsopern 375
- VI. Die italienische Aufklärung in Österreich 385
- VII. Von der Spätaufklärung zur Frühromantik 490
- VIII. Die Verbreitung der italienischen Literatur 531
- IX. Verzeichnis der Drucke 549