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Rezeption der Madrigalistik an den Höfen
II.2 Die Rezeption der Madrigalistik an den Höfen
Die um die Mitte des 16. Jahrhunderts aus Italien in die nordeuropäischen Länder
vordringende Musica reservata, wie sie Adrianus Petit Coclico (1499–1562), Schüler
von Adrien Willaerts (~1490–1562), in seinen so betitelten Psalm-Motetten (Nürn-
berg 1552) bezeichnet, versteht sich ausdrücklich als eine den Kennern aus gebil-
deten Führungsschichten vorbehaltene Form von Musik.164 Ausdrucksstarke geist-
liche, aber speziell für die ‚reservierte‘ Aufführungspraxis im Hofmilieu besonders
geeignete weltliche Musikgattungen kommen der bereits in den humanistischen Li-
teratur- und Gesellschaftsmodellen vorgegebenen Pflege der interpretativen Künste
wohl sehr entgegen, so z.B. die Ballata an jedem Tagesende in Giovanni Boccaccios
Decameron, die Atmosphäre in Bembos Asolani oder die Hinweise auf kultivierte Mu-
sikliebhaber in Castigliones oben erwähntem Libro del cortegiano.165
Durch die verstärkte Bedeutung der Vokalmusik und vor allem der Ausdrucks-
ebene des Textes, welche sich in den Modulationen der Musik widerspiegelt, schaf-
fen die italienischen Komponisten der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts neue
Formen, die innovative Beziehungen zwischen literarischen Texten und teilweise
volkstümlichen Melodien erlauben. Dazu gehören die neuen Gattungen der Vokal-
musik wie die villotta,166 die frottola,167 der strambotto,168 die canzonetta und die villa-
nella169 und natürlich das madrigale:170
Nel madrigale italiano e particolarmente in Marenzio e Monteverdi, l’accompa-
gnamento musicale è fuso col canto e si mostra cosí aderente alle parole del testo
che sembra spesso determinante la recitazione della poesia.171
164 Vgl. auch das Compendium musices von Coclico, ebenfalls Nürnberg 1552.
165 Vgl. Kapitel I.47: „Signori, disse, avete a sapere ch’io non mi contento del cortegiano s’egli non è ancor
musico e se, altro allo intendere ed esser sicuro a libro, non sa di varii instrumenti […]“ (zit. nach der Aus-
gabe von Amedeo Quondam und Nicola Longo, Mailand 1981, S. 99) Weiters das gesamte Kapitel II.13
über Instrumente und Gesang (mit einschränkenden Hinweisen für ältere Sänger und Musiker in II.14).
166 Ein vierstimmiges Lied aus dem Veneto.
167 Eine volkstümliche drei- oder vierstimmige Komposition in drei Strophen aus achtsilbigen Versen mit
einer vierten Strophe als Refrain.
168 Ein einstimmiges Lied mit achtzeiligen Strophen aus elfsilbigen Versen.
169 Beide volkstümliche Kompositionen komischen Charakters aus Neapel.
170 Vier- bis sechsstimmige Kompositionen variabler Form, die vor allem auf ein perfektes Zusammenspiel
zwischen Bedeutung des Textes und Musik ausgerichtet ist.
171 Nicola Gardini / Francesco Sberlati: Generi letterari. In: Luciano Formisano (Hg.): La letteratura ita-
liana fuori d’Italia. = Enrico Malato (Hg.): Storia della letteratura italiana, Bd. XII. Rom 2002, S. 343–
397; hier S. 391.
Die italienische Literatur in Österreich
Von den Anfängen bis 1797, Band I
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die italienische Literatur in Österreich
- Untertitel
- Von den Anfängen bis 1797
- Band
- I
- Autor
- Alfred Noe
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78730-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 780
- Schlagwörter
- Italian Literature, Habsburg Monarchy, Libretto, Court Festivities
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Einführung 9
- I. Der italienische Humanismus in Österreich 27
- II. Der Petrarkismus und die Akademiebewegung in Österreich 79
- II.1 Petrarkismus und protestantischer Adel 81
- II.2 Die Rezeption der Madrigalistik an den Höfen 87
- II.3 Barocke Akademien 92
- III. Die religiöse Literatur von der Gegenreformation zur katholischen Frühaufklärung 99
- III.1 Reformorden aus Italien und ihre Volksmissionen 101
- III.2 Die kontemplative Literatur für Laien 114
- III.3 Die katholische Frühaufklärung 127
- IV. Die italienische Improvisationskomödie 135
- V. Die literarische Selbstdarstellung des Kaiserhofes im Barock 199
- V.1 Die Bedeutung der Historiographie 208
- V.2 Die Funktion der kaiserlichen Hofdichter 214
- V.3 Geistliche Musikdramen und Oratorien 218
- V.4 Die Rezeption des italienischen Musiktheaters zu Beginn des 17. Jahrhunderts 263
- V.5 Serenaden, Kammerfeste und andere Kleinformen 274
- V.6 Ballette und Einleitungen zu Balletten 293
- V.7 Aufzüge und Rossballette 302
- V.8 Musikalische Feste 305
- V.9 Faschingsopern 314
- V.10 Opern zu Geburts- und Namenstagen im Kaiserhaus 334
- V.11 Opern zu Geburten im Kaiserhaus 369
- V.12 Hochzeitsopern 375
- VI. Die italienische Aufklärung in Österreich 385
- VII. Von der Spätaufklärung zur Frühromantik 490
- VIII. Die Verbreitung der italienischen Literatur 531
- IX. Verzeichnis der Drucke 549