Seite - 30 - in Die Macht auf dem Gipfel - Alpentourismus und Monarchie 1760–1910
Bild der Seite - 30 -
Text der Seite - 30 -
30 | Wie die Touristinnen und Touristen zum Berg kamen
zu inspirieren.21 Der vielseitig interessierte Berner Gelehrte Haller22 bereiste im
Spätsommer 1728 zu botanischen Studienzwecken die Alpen von Genf bis ins
Berner Oberland und über Luzern nach Zürich und schließlich wieder nach
Bern. Seine Eindrücke verarbeitete er in dem Lehrgedicht »Die Alpen«. Dabei
verwies er auch auf das »vergnügte Volk« der Alpen und reihte sich so in den
damals weit verbreiteten Topos des Lobs der Land- und Alpenbevölkerung als
Gegensatz zum hektischen und schmutzigen Stadtleben ein.23 Obschon Haller
zuweilen als Gründer des Alpenkultes an sich bezeichnet wird, ignorierte er die
hohen Berge völlig und hatte auch keine dahingehenden Exkursionen unter-
nommen.24 Der Genfer Schriftsteller Rousseau25 wurde von manchen Autoren
des 19. Jahrhunderts ebenfalls als Entdecker der Alpen gehandelt, als »Chris-
toph Colomb des Alpes« oder auch »Luther du nouveau credo du culte de la
montagne«.26 Er sah in den Höhen der Berggipfel gleichsam eine Befreiung von
gesellschaftlichen Konventionen und von den Fesseln des Geistes und glaubte
auch in den dazugehörigen Land- und Alpenbewohnern eine zwar in Geld arme,
dafür durch freie Lebensführung und befriedigende Arbeit inmitten der Natur
in immateriellen Gütern umso reichere Menschen zu erkennen. Rousseau und
Haller fanden in den Land- und Alpenbewohnern den »edlen Wilden« und ei-
nen fiktiven menschlichen Naturzustand in den Bergen.27
Diese Naturbegeisterung spiegelte sich auch im touristischen Selbstverständ-
nis des ausgehenden 18. und beginnenden 19.
Jahrhunderts wider. Zwar war die
Zeit des Massentourismus noch nicht angebrochen, jedoch vertiefte sich inner-
halb der Aristokratie und Teilen der bürgerlichen Schichten das Bedürfnis nach
Stadtflucht und Erholung in scheinbar unberührter Natur. Die Berglandschaften
wurden in der Romantik zu Gegenwelten der fortschreitenden Urbanisierung
und Industrialisierung, zu Traumzielen städtischer Eskapisten der Oberschich-
ten. Die Alpen wurden nicht länger nur als ärgerliches und oftmals mühselig zu
überwindendes Hindernis für Reisen und Transport betrachtet.28
21 Ebd, S. 71.
22 Albrecht von Haller betätigte sich als Arzt, Dichter, Bibliothekar, Botaniker und Professor für
Anatomie und Chirurgie. Boschun, Urs, »Lebenslauf«, S. 31–34.
23 Achermann, Eric, »Dichtung«, S.
133.
24 Boyer, Marc, Histoire générale du tourisme du XVIe au XXIe siècle, S. 91.
25 Ebenso als Komponist, Philosoph und Pädagoge tätig.
26 Ebd., S.
77–83.
27 Achermann, Eric, »Dichtung«, S.
133–136.
28 Hachtmann, Rüdiger, Tourismus-Geschichte, S. 59–62.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY-NC
Die Macht auf dem Gipfel
Alpentourismus und Monarchie 1760–1910
- Titel
- Die Macht auf dem Gipfel
- Untertitel
- Alpentourismus und Monarchie 1760–1910
- Autor
- Eva Bachmann
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21122-8
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Alpen, Tourismus, Berge, Alpinismus, Reisen
- Kategorien
- Geographie, Land und Leute Bergbücher
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einführung 7
- 2. Wie die Touristinnen und Touristen zum Berg kamen : Alpine Reisende 26
- 3. British Royalty – das britische Königshaus 51
- 4. Casa Reale d’Italia – das italienische Königshaus 140
- 5. Vergleich 243
- 6. Fazit 258
- 7. Quellen- und Literaturverzeichnis 266
- 8. Abbildungsverzeichnis 285
- 9. Dank 288
- 10. Register 289