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Wie wird man Kaiserin? 33
Goldasts Text wurde zwar bis ins ausgehende 17. Jahrhundert immer wieder zitiert;
seine Grundaussage hinsichtlich der Herrschaftsbeteiligung der Kaiserin spielte jedoch in
der Debatte der folgenden Jahrzehnte keine erhebliche Rolle. Allerdings teilten maßgeb-
liche Autoren der Reichspublizistik wie Limnaeus oder Multz die extreme Position Bodins
nicht uneingeschränkt. Limnaeus etwa formulierte 1632, dass eine Fürstin ihren Gemahl
durchaus beraten könne65. Dabei bezog er sich auf Aussagen von Justus Lipsius, die spätere
Autoren ebenso wiederholten, wie etwa Jakob Bernhard Multz, der 1690 betonte, dass die
Kaiserin ihrem Gemahl an Würde gleich sei, aber aufgrund ihres Geschlechtes ihm die Al-
leinregierung überlasse66. Johann Jakob Moser konstatierte beide Traditionen, formulierte
aber 1742 dazu bündig: „Einige vermeinen, eine Römische Kayserin habe gewisser massen
auch etwas in Regierungs-Sachen zu sagen, indem ihro z. e. das Recht zukomme, allerhand
Freyheiten zu ertheilen; Andere hingegen wollen nichts davon wissen, daß einer Kayserin
die Ausübung einiger Majestäts-Rechte zukomme. Und dise letztere haben recht.“67
Damit ist festzuhalten, dass die ausgeprägte Ablehnung der Herrschaftsbeteiligung von
Frauen, wie sie Jean Bodin postulierte und wie sie sich aus der französischen Tradition
ergab68, in der Reichspublizistik nicht durchgängig zu beobachten war. Dabei ließ man al-
lerdings keinen Zweifel daran, dass der Kaiserin als Frau keine vergleichbaren Herrschafts-
rechte wie dem Kaiser zustehen konnten. Aber zumindest im dynastischen Kontext blieb
es denkbar, dass Fürstinnen als Beraterinnen und mit eigenen Befugnissen in Erscheinung
traten. Dieser Befund entspricht Beobachtungen, die Pauline Puppel in ihrer Untersu-
chung der juristischen Debatte um die vormundschaftliche Regentschaft von Fürstinnen
im Reich gemacht hat. Die Basis dafür bildete das Konstrukt der Ausnahme: einer durch
ihre besonderen Tugenden ausgezeichneten Frau fürstlichen Standes konnte es eben auf-
grund individueller Klugheit und Tugend möglich und erlaubt sein, die generell gültigen
Grenzen ihres Geschlechtes zu überschreiten69.
Für die Jahrzehnte zwischen dem Beginn des 17. und der zweiten Hälfte des 18. Jahr-
hunderts zeichnet sich allerdings eine Entwicklung ab, die aus der erwähnten Beschäftigung
der Reichspublizistik mit der Reichsgeschichte, mit den Rechtstraditionen des Reiches70
65 Limnaeus, Juris publici, 160: „Cum potius Politicorum suasu saepe utiliter: Princeps mulieribus
audire possit, praesertim, si quae à natura paulò magis factae ad prudentiam & virtutem.“ Direkt
im Anschluss bezieht er sich mit dieser Position auf Justus Lipsius. Zu Lipsius siehe Oestreich,
Antiker Geist; Lipsius, Politica.
66 Multz, Repraesentatio Maiestatis, 244. Siehe etwa auch Mollenbeck, De Augusta, 27f.; Strauss,
De iuribus Augustae competentibus, Kap. I § 6.
67 Moser, Teutsches Staats-Recht, 211.
68 Zur Lex Salica siehe Viennot, La France, Bd.1; Cosandey, Reine de France, 19–54.
69 Puppel, Regentin, 42–57; zur Ausnahme Dies., Virilibus; Fradenburg, Introduction, 7.
70 Gross, Empire, 375f.
https://doi.org/10.7767/ 9783205213383 | CC BY 4.0
© BRILL Österreich GmbH Böhlau Verlag, Zeltgasse 1/6a, A-1080 Wien
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Die Kaiserin
Reich, Ritual und Dynastie
- Title
- Die Kaiserin
- Subtitle
- Reich, Ritual und Dynastie
- Author
- Katrin Keller
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21338-3
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 430
- Keywords
- Heiliges Römisches Reich, Kaiserin, Kulturgeschichte, Geschlechtergeschichte, Krönung
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Kaiserin und Reich: Einleitung 9
- An mulier sit capax imperii? Die Reichspublizistik zur Rolle der Kaiserin 21
- Überblick 22
- Wie wird man Kaiserin? 29
- Inhaltliche Schwerpunkte der Reichspublizistik 36
- Die Majestas-Debatte 36
- Der Rang der Kaiserin: Die Diskussion um die Goldene Bulle 42
- Juribus singularis: Privilegien und Rechte der Kaiserin 47
- Welche Rechte hat die Kaiserin? 48
- Die Erzämter 53
- Das Ius Primariarum Precum 58
- Schluss 62
- Die Krönung der Kaiserin im Heiligen Römischen Reich der Frühen Neuzeit 65
- Der rituelle Ablauf 68
- Traditionen: Die Krönung im Mittelalter 68
- Der Ablauf der Krönung 71
- Ritual und Geschlecht 82
- Die Kaiserinnenkrönung als Inszenierung des Reiches: Konstellationen und Konflikte 86
- Kaiser und Kurfürsten 87
- 1612: Der Neuanfang 103
- 1630: Die Verlegenheitslösung 110
- 1637: Kaiserin und Königin 114
- 1653: Kompetenzen und Präzedenzen 122
- 1690: Zeremonialkonflikte 133
- 1742: Abgesang? 142
- Schluss 153
- Kaiserinnen in den Medien 157
- Kaiserinnen in gedruckten Medien: Ein Überblick 160
- Eigenständige Publikationen 161
- Chronikwerke 171
- Zeitungen 178
- Die Krönung als Medienereignis 181
- Medienformen 183
- Die Krönungsbeschreibungen 191
- Texte und Bilder 200
- Die mediale Präsenz der Krönungen im Vergleich 225
- Die Kaiserin in aller Munde? Die Geburt des Thronfolgers 1716 226
- Lucerna abscondita: Wie gedenkt man einer Kaiserin? 232
- Schluss 241
- Handlungsfelder 245
- Kaiserliche Repräsentation: Audienzen 248
- Audienzen beim Reichstag 1653 252
- Audienzen in Wien 254
- Dauer und Gegenstand von Audienzen 258
- Audienzen für reichsständische Diplomaten 261
- Netzwerke: Korrespondenzen 268
- Zur Überlieferung 268
- Das Korrespondenzregister Kaiserin Eleonora Magdalenas (I) 271
- Grußbriefe und Courtoisieschreiben 273
- Jenseits von Korrespondenzen: Patenschaften und Damenorden 277
- Fürbitten 279
- Das Korrespondenzregister Kaiserin Eleonora Magdalenas (II) 279
- Die Kaiserin als Fürsprecherin: Beispiele 284
- Die Regentin: Kaiserin-Witwe Eleonora Magdalena und die Kaiserwahl 1711 297
- Die Begründung der Regentschaft 300
- Zum Selbstverständnis der Regentin 304
- Die Kaiserwahl als Aufgabe 309
- Schluss 319
- Kaiserin und Reich: Schluss 323
- Anhang 331
- Die Königinnen und Kaiserinnen der Frühen Neuzeit 331
- Aufenthalte von Königinnen bzw. Kaiserinnen „im Reich“ (ca. 1550 bis 1745) 332
- Korrespondentinnen und Korrespondenten von Kaiserin Eleonora
- Magdalena im Heiligen Römischen Reich 1697–1705 334
- Verwendete Darstellungen der Reichspublizistik 337
- Ungedruckte und gedruckte Krönungsbeschreibungen 344
- Tabellenverzeichnis 354
- Abbildungsverzeichnis 355
- Abkürzungsverzeichnis 356
- Quellenverzeichnis 357
- Literaturverzeichnis 367
- Gedruckte Quellen und Editionen 367
- Mehrfach zitierte Onlineressoucen 377
- Literatur 378
- Personenregister 410
- Ortsregister 427