Page - 60 - in Die Kaiserin - Reich, Ritual und Dynastie
Image of the Page - 60 -
Text of the Page - 60 -
60 An mulier sit capax imperii? Die Reichspublizistik zur Rolle der Kaiserin
Die AusfĂĽhrungen von Deinlein und Jenichen machen sichtbar, dass in reichsrechtli-
cher Hinsicht zwei Aspekte des Ius primariarum anzusprechen sind: Zum einen die Frage,
ob es sich bei diesem Recht der Kaiserin um ein ĂĽber den Ehestand von ihrem Gemahl
abgeleitetes oder um ein autonomes Recht handele – hier schlossen sich beide Autoren des
18. Jahrhunderts den Juristen an, die letzteres behaupteten, also die Eigenständigkeit dieses
Privilegs betonten und davon ausgingen, dass eine Kaiserin dieses Recht auch ohne Ein-
willigung ihres Gemahls ausĂĽben dĂĽrfe219. Zum anderen gab es geteilte Stellungnahmen
dazu, ob das Recht der Kaiserin nur für Frauenklöster gelte, wie beispielsweise Strauss es
1688 formulierte, oder für Stifter und Klöster beiderlei Geschlechtes wie das Ius primaria-
rum des Kaisers selbst220. Deinlein und Jenichen, die beide Fragen ausfĂĽhrlich und unter
Hinweis auf viele reichspublizistische Schriften diskutierten, plädierten erneut für die um-
fassendere Geltung des Rechtes.
Schließlich bleibt noch anzumerken, dass Deinlein und Runde mit konkreten Fällen
darauf hinwiesen, dass das Ius Primariarum nicht allein der Kaiserin zustehe. Vielmehr
gebühre es gleichermaßen den reichsfürstlichen Gemahlinnen, bei Klöstern und Stiftern
innerhalb der Territorien dieses Recht auszuĂĽben221. In anderen Texten wurden vor allem
die entsprechenden Rechte der Königin von Preußen thematisiert222, was diesen Teil der
Diskussion in eine Kontroverse einbindet, die sich nach dem Westfälischen Frieden gene-
rell ĂĽber die Praxis des Ius primariarum zwischen Kaiser und LandesfĂĽrsten entwickelte.
So fĂĽhrte Hans Heinrich Feine in seiner Untersuchung zum kaiserlichen Recht der ersten
Bitte detailliert aus, dass dieses Recht sich erst im späten Mittelalter entwickelte und zu-
nächst vom Kaiser nur mit päpstlicher Indult ausgeübt werden konnte. Seit Karl V. wurde
diese Indult regelmäßig eingeholt (bis 1638) und das Recht auch in protestantischen Stif-
tern praktiziert. Letzteres wurde in den Verhandlungen zum Westfälischen Frieden als dem
Religionsfrieden zuwider bezeichnet, aber am Ende als kaiserliches Recht dort bestätigt,
wo der Kaiser das Recht bis dahin regelmäßig ausgeübt hatte. In welchen Stiftern das der
Fall gewesen war, das blieb bis 1806 umstritten223. Als Kontrahenten des Kaisers traten
219 Deinlein, De jure primariarum precum, 33–39; Jenichen, Abhandlung von dem Recht der ersten
Bitte, 30f.
220 Strauss, De iuribus Augustae competentibus, Kap. V § 1: „Permittitur Augustae ab Imperatore
Exercitium Juris primariarum precum ad Abbatissas, tanqvam Regalis sui sexui sub hác restrictione
non inconvenientis.” Deinlein, De jure primariarum precum, 48; Jenichen, Abhandlung von
dem Recht der ersten Bitte, 33. Siehe dazu auch Schröder-Stapper, Fürstäbtissinnen, 493.
221 Deinlein, De jure primariarum precum, 28–30, 40f.; Runde, Commentationis de … iure primar-
iarum precum, 5. Siehe zum Recht der FĂĽrstinnen insbes. Schott, De iure primariarum precum,
auf den sich auch Runde bezieht.
222 Otto, Disputatio iuri publici, 39f.; Schott, De iure primariarum precum.
223 Feine, Erste Bitten, 60–66.
https://doi.org/10.7767/ 9783205213383 | CC BY 4.0
© BRILL Österreich GmbH Böhlau Verlag, Zeltgasse 1/6a, A-1080 Wien
back to the
book Die Kaiserin - Reich, Ritual und Dynastie"
Die Kaiserin
Reich, Ritual und Dynastie
- Title
- Die Kaiserin
- Subtitle
- Reich, Ritual und Dynastie
- Author
- Katrin Keller
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21338-3
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 430
- Keywords
- Heiliges Römisches Reich, Kaiserin, Kulturgeschichte, Geschlechtergeschichte, Krönung
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Kaiserin und Reich: Einleitung 9
- An mulier sit capax imperii? Die Reichspublizistik zur Rolle der Kaiserin 21
- Ăśberblick 22
- Wie wird man Kaiserin? 29
- Inhaltliche Schwerpunkte der Reichspublizistik 36
- Die Majestas-Debatte 36
- Der Rang der Kaiserin: Die Diskussion um die Goldene Bulle 42
- Juribus singularis: Privilegien und Rechte der Kaiserin 47
- Welche Rechte hat die Kaiserin? 48
- Die Erzämter 53
- Das Ius Primariarum Precum 58
- Schluss 62
- Die Krönung der Kaiserin im Heiligen Römischen Reich der Frühen Neuzeit 65
- Der rituelle Ablauf 68
- Traditionen: Die Krönung im Mittelalter 68
- Der Ablauf der Krönung 71
- Ritual und Geschlecht 82
- Die Kaiserinnenkrönung als Inszenierung des Reiches: Konstellationen und Konflikte 86
- Kaiser und KurfĂĽrsten 87
- 1612: Der Neuanfang 103
- 1630: Die Verlegenheitslösung 110
- 1637: Kaiserin und Königin 114
- 1653: Kompetenzen und Präzedenzen 122
- 1690: Zeremonialkonflikte 133
- 1742: Abgesang? 142
- Schluss 153
- Kaiserinnen in den Medien 157
- Kaiserinnen in gedruckten Medien: Ein Ăśberblick 160
- Eigenständige Publikationen 161
- Chronikwerke 171
- Zeitungen 178
- Die Krönung als Medienereignis 181
- Medienformen 183
- Die Krönungsbeschreibungen 191
- Texte und Bilder 200
- Die mediale Präsenz der Krönungen im Vergleich 225
- Die Kaiserin in aller Munde? Die Geburt des Thronfolgers 1716 226
- Lucerna abscondita: Wie gedenkt man einer Kaiserin? 232
- Schluss 241
- Handlungsfelder 245
- Kaiserliche Repräsentation: Audienzen 248
- Audienzen beim Reichstag 1653 252
- Audienzen in Wien 254
- Dauer und Gegenstand von Audienzen 258
- Audienzen für reichsständische Diplomaten 261
- Netzwerke: Korrespondenzen 268
- Zur Ăśberlieferung 268
- Das Korrespondenzregister Kaiserin Eleonora Magdalenas (I) 271
- GruĂźbriefe und Courtoisieschreiben 273
- Jenseits von Korrespondenzen: Patenschaften und Damenorden 277
- FĂĽrbitten 279
- Das Korrespondenzregister Kaiserin Eleonora Magdalenas (II) 279
- Die Kaiserin als FĂĽrsprecherin: Beispiele 284
- Die Regentin: Kaiserin-Witwe Eleonora Magdalena und die Kaiserwahl 1711 297
- Die BegrĂĽndung der Regentschaft 300
- Zum Selbstverständnis der Regentin 304
- Die Kaiserwahl als Aufgabe 309
- Schluss 319
- Kaiserin und Reich: Schluss 323
- Anhang 331
- Die Königinnen und Kaiserinnen der Frühen Neuzeit 331
- Aufenthalte von Königinnen bzw. Kaiserinnen „im Reich“ (ca. 1550 bis 1745) 332
- Korrespondentinnen und Korrespondenten von Kaiserin Eleonora
- Magdalena im Heiligen Römischen Reich 1697–1705 334
- Verwendete Darstellungen der Reichspublizistik 337
- Ungedruckte und gedruckte Krönungsbeschreibungen 344
- Tabellenverzeichnis 354
- Abbildungsverzeichnis 355
- AbkĂĽrzungsverzeichnis 356
- Quellenverzeichnis 357
- Literaturverzeichnis 367
- Gedruckte Quellen und Editionen 367
- Mehrfach zitierte Onlineressoucen 377
- Literatur 378
- Personenregister 410
- Ortsregister 427