Page - 156 - in Die Kaiserin - Reich, Ritual und Dynastie
Image of the Page - 156 -
Text of the Page - 156 -
156 Die Krönung der Kaiserin im Heiligen Römischen Reich der Frühen Neuzeit
ten andererseits auch Reichsfürsten in Erscheinung traten, die ihren oder den Rang ihrer
Ehefrauen und Töchter verteidigten, die (wie der Fürstabt von Fulda) ihre Privilegien in
zähem Ringen zu erweitern suchten oder die Expertenwissen einbrachten wie die Nürn-
berger Krongesandten oder Kaiserin-Witwe Eleonora Gonzaga. Eine herausragende Rolle
der Reichskirche als Akteur bei der Kaiserinnenkrönung, wie sie jüngst Harriet Rudolph
konstatiert hat364, lässt sich in diesem Interessengeflecht dagegen eher nicht erkennen.
Das Beispiel der Kaiserin-Witwe belegt, dass Frauen rituelle Handlungsmacht zukom-
men konnte, obwohl die Gekrönte selbst im Vorfeld des Krönungsaktes eigentlich nie in
Erscheinung trat. Ihr Fehlen in der schriftlichen Überlieferung heißt jedoch nicht, dass die
Kaiserinnen diesbezüglich nur passiv verharrten. Immerhin hielten es Zeitgenossen für mög-
lich, dass Kaiserin Anna 1612 selbst den Ausschlag für die Wiederaufnahme der Krönungs-
tradition gegeben hatte – auch wenn dies derzeit nicht eindeutig belegbar ist. Und Eleonora
Magdalena ließ es sich 1690 nicht nehmen365, sich nach dem Krönungsmahl mit der Reichs-
krone auf dem Haupt in ihre Gemächer zu begeben und dort, neben der auf einem Tisch
aufgestellten Krone, die anwesenden Damen des Reiches und des Hofes zum Handkuss zu
empfangen. Damit kreierte sie eine Tradition, die sowohl als Ausdruck besonderer Wert-
schätzung der Insignie wie kaiserlichen Standesbewusstseins gedeutet werden darf.
Hinzuweisen ist schließlich darauf, dass sich seit der Wiederaufnahme einer Krönungs-
tradition, seit dem Jahr 1612, ein über weite Strecken definiertes Prozedere für die Ritual-
folge etablierte. In der Kombination verschiedener Elemente wurden dabei Traditionen
konstruiert, die mit der mittelalterlichen Krönung nur noch partiell Verbindung hatten:
Festlegungen des Pontificale Romanum, schriftlich festgehaltene Direktorien bzw. Be-
schreibungen, tradierte Wissensbestände wie bei den Nürnberger Krongesandten oder der
Kaiserin-Witwe verbanden sich mit als herkömmlich definierten Aspekten.
Die Betrachtung in einer chronologischen Abfolge zeigt nicht zuletzt die Wandelbarkeit
der Krönung als Abfolge ritueller und zeremonieller Elemente. Zeit und Ort hatten darauf
ebenso Einfluss wie die Zahl und der Rang der Anwesenden oder spezifische Ziele fürstli-
cher bzw. reichischer Repräsentation; selbst das Wetter und die gesundheitliche Verfassung
zentraler Akteure konnten sich im konkreten Ablauf niederschlagen. Über das Beispiel der
Kaiserinnenkrönung hinaus können die vorangehenden Ausführungen somit als plastische
Illustration für die Veränderbarkeit von Ritualen366 gelten – zwischen hergebrachten Ele-
menten und deren Adaption bestand in allen Fällen ein komplexes Gleichgewicht.
364 Rudolph, Krönung, 319. Die von Rudolph (ebenda, 322) jüngst konstatierte Aufwertung der
Erzämter beruhte ja wesentlich auf den Bemühungen der Inhaber, nicht auf einem allgemeinen
Entgegenkommen der kaiserlichen Seite.
365 StAN, Rep. 67 Nürnberg, Krönungsakten Nr. 35, fol. 26v.
366 Dies im Gegensatz zu älteren Auffassungen, die jüngst etwa Kosior (Kosior, Becoming a Queen,
61) wieder anführt, siehe aber Steinicke, Zeichensetzung 24f.
https://doi.org/10.7767/ 9783205213383 | CC BY 4.0
© BRILL Österreich GmbH Böhlau Verlag, Zeltgasse 1/6a, A-1080 Wien
back to the
book Die Kaiserin - Reich, Ritual und Dynastie"
Die Kaiserin
Reich, Ritual und Dynastie
- Title
- Die Kaiserin
- Subtitle
- Reich, Ritual und Dynastie
- Author
- Katrin Keller
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21338-3
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 430
- Keywords
- Heiliges Römisches Reich, Kaiserin, Kulturgeschichte, Geschlechtergeschichte, Krönung
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Kaiserin und Reich: Einleitung 9
- An mulier sit capax imperii? Die Reichspublizistik zur Rolle der Kaiserin 21
- Überblick 22
- Wie wird man Kaiserin? 29
- Inhaltliche Schwerpunkte der Reichspublizistik 36
- Die Majestas-Debatte 36
- Der Rang der Kaiserin: Die Diskussion um die Goldene Bulle 42
- Juribus singularis: Privilegien und Rechte der Kaiserin 47
- Welche Rechte hat die Kaiserin? 48
- Die Erzämter 53
- Das Ius Primariarum Precum 58
- Schluss 62
- Die Krönung der Kaiserin im Heiligen Römischen Reich der Frühen Neuzeit 65
- Der rituelle Ablauf 68
- Traditionen: Die Krönung im Mittelalter 68
- Der Ablauf der Krönung 71
- Ritual und Geschlecht 82
- Die Kaiserinnenkrönung als Inszenierung des Reiches: Konstellationen und Konflikte 86
- Kaiser und Kurfürsten 87
- 1612: Der Neuanfang 103
- 1630: Die Verlegenheitslösung 110
- 1637: Kaiserin und Königin 114
- 1653: Kompetenzen und Präzedenzen 122
- 1690: Zeremonialkonflikte 133
- 1742: Abgesang? 142
- Schluss 153
- Kaiserinnen in den Medien 157
- Kaiserinnen in gedruckten Medien: Ein Überblick 160
- Eigenständige Publikationen 161
- Chronikwerke 171
- Zeitungen 178
- Die Krönung als Medienereignis 181
- Medienformen 183
- Die Krönungsbeschreibungen 191
- Texte und Bilder 200
- Die mediale Präsenz der Krönungen im Vergleich 225
- Die Kaiserin in aller Munde? Die Geburt des Thronfolgers 1716 226
- Lucerna abscondita: Wie gedenkt man einer Kaiserin? 232
- Schluss 241
- Handlungsfelder 245
- Kaiserliche Repräsentation: Audienzen 248
- Audienzen beim Reichstag 1653 252
- Audienzen in Wien 254
- Dauer und Gegenstand von Audienzen 258
- Audienzen für reichsständische Diplomaten 261
- Netzwerke: Korrespondenzen 268
- Zur Überlieferung 268
- Das Korrespondenzregister Kaiserin Eleonora Magdalenas (I) 271
- Grußbriefe und Courtoisieschreiben 273
- Jenseits von Korrespondenzen: Patenschaften und Damenorden 277
- Fürbitten 279
- Das Korrespondenzregister Kaiserin Eleonora Magdalenas (II) 279
- Die Kaiserin als Fürsprecherin: Beispiele 284
- Die Regentin: Kaiserin-Witwe Eleonora Magdalena und die Kaiserwahl 1711 297
- Die Begründung der Regentschaft 300
- Zum Selbstverständnis der Regentin 304
- Die Kaiserwahl als Aufgabe 309
- Schluss 319
- Kaiserin und Reich: Schluss 323
- Anhang 331
- Die Königinnen und Kaiserinnen der Frühen Neuzeit 331
- Aufenthalte von Königinnen bzw. Kaiserinnen „im Reich“ (ca. 1550 bis 1745) 332
- Korrespondentinnen und Korrespondenten von Kaiserin Eleonora
- Magdalena im Heiligen Römischen Reich 1697–1705 334
- Verwendete Darstellungen der Reichspublizistik 337
- Ungedruckte und gedruckte Krönungsbeschreibungen 344
- Tabellenverzeichnis 354
- Abbildungsverzeichnis 355
- Abkürzungsverzeichnis 356
- Quellenverzeichnis 357
- Literaturverzeichnis 367
- Gedruckte Quellen und Editionen 367
- Mehrfach zitierte Onlineressoucen 377
- Literatur 378
- Personenregister 410
- Ortsregister 427