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Der italienische Humanismus in
Österreich42
zu den Standardtexten: er wird vor 1500 neunmal gedruckt und ins Englische, Fran-
zösische, Spanische, Italienische und Deutsche (Wilhelm von Hirnkofen: Von armuot
unruo und trübsal der hofleut und hofsitten. Esslingen 1478) übersetzt.
Als wesentliche Konsequenz ergibt sich daraus für die frühen Vertreter der hu-
manistischen Bildungsbewegung das Bestreben, auf die führenden Persönlichkeiten
der höfischen Gesellschaft formend einzuwirken, d.h. ihre Freundschaft zu gewin-
nen und die Erziehung der künftigen Entscheidungsträger mitzubestimmen. Um
sich als Intellektueller an den neuen Fürstenhöfen zu etablieren, muss man die hu-
manistische Idee des rex litteratus zum eigenen Vorteil propagieren, wie es Petrarca
eindrucksvoll vorgelebt hat. Nur an einem solchen Herrscher bewahrheite sich Pla-
tos Maxime, jene Staaten seien die glücklichsten, deren Fürsten eine umfassende
literarische und philosophische Bildung besitzen.
In seinem Erziehungsmodell42 tritt Enea Silvio Piccolomini ebenso wie Petrarca
für eine weltliche Moralpädagogik vor christlichem Hintergrund ein, bei der das lite-
rarisch-poetische Moment an der Spitze steht und zusammen mit der augustinischen
Moralphilosophie einer præparatio alterius vitæ dient. Piccolominis Brieftraktate für
Herzog Sigmund von Tirol und für König Ladislaus von Ungarn wurden in der
älteren Forschungsliteratur43 noch eher einer mittelalterlichen Tradition zugezählt,
obwohl der Autor darin ausdrücklich für Bildungsziele und didaktische Methoden
des Humanismus eintritt. Danach gibt es nicht nur eine geistliche, auf das Seelenheil
ausgerichtete Bildung, sondern auch eine säkulare, aus der Antike abgeleitete, deren
Inhalte für die Ausübung der Herrschaft von höchstem Nutzen sein können.
In dem ersten, De studiis et litteris 44 von 1443, geht der Autor von der Überzeu-
gung aus, dass alles für das Leben Nötige aus der Literatur erworben werden kann.
In seinem Glauben an die Vormacht von Literatur und Rhetorik in der menschli-
chen Bildung behauptet Piccolomini, dass niemand durch seine eigene Erfahrung
so viel zu erkennen vermag, wie er durch systematische Lektüre erlernen kann, die
den gesamten Kosmos praktischer Kenntnisse, vom Militärwesen bis zur Charak-
42 Vgl. Werner M. Bauer: Enea Silvio Piccolomini und die literarische Bildung der österreichischen Län-
der. In: Paolo Chiarini / Herbert Zeman (Hg.): Italia – Austria. Alla ricerca del passato comune. Rom
1995, S. 73–154. – Thomas J. Mauro: Praeceptor Austriae. Aeneas Sylvius Piccolomini (Pius II) and the
Transalpine Diffusion of Italian Humanism before Erasmus. 3 Bde. Diss. Chicago 2003. – Klaus Arnold:
Enea Silvio als Erzieher. In: Fuchs (Hg.): Enea Silvio Piccolomini nördlich der Alpen, S. 143–157.
43 Sabine Weiß: Das Bildungswesen im spätmittelalterlichen Österreich. Ein Überblick. In: Herbert Zeman
(Hg.): Die österreichische Literatur. Ihr Profil von den Anfängen im Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert
(1050–1750). 2 Bde. Graz 1986, S. 209–260.
44 Vgl. August Buck: Humanistische Bildung. Enea Silvio Piccolomini an Herzog Sigismund von Öster-
reich. In: Klaus W. Hempfer / Gerhard Regn (Hg.): Interpretation. Das Paradigma der europäischen
Renaissance-Literatur. Wiesbaden 1983, S. 394–404.
Die italienische Literatur in Österreich
Von den Anfängen bis 1797, Volume I
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die italienische Literatur in Österreich
- Subtitle
- Von den Anfängen bis 1797
- Volume
- I
- Author
- Alfred Noe
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78730-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 780
- Keywords
- Italian Literature, Habsburg Monarchy, Libretto, Court Festivities
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Einführung 9
- I. Der italienische Humanismus in Österreich 27
- II. Der Petrarkismus und die Akademiebewegung in Österreich 79
- II.1 Petrarkismus und protestantischer Adel 81
- II.2 Die Rezeption der Madrigalistik an den Höfen 87
- II.3 Barocke Akademien 92
- III. Die religiöse Literatur von der Gegenreformation zur katholischen Frühaufklärung 99
- III.1 Reformorden aus Italien und ihre Volksmissionen 101
- III.2 Die kontemplative Literatur für Laien 114
- III.3 Die katholische Frühaufklärung 127
- IV. Die italienische Improvisationskomödie 135
- V. Die literarische Selbstdarstellung des Kaiserhofes im Barock 199
- V.1 Die Bedeutung der Historiographie 208
- V.2 Die Funktion der kaiserlichen Hofdichter 214
- V.3 Geistliche Musikdramen und Oratorien 218
- V.4 Die Rezeption des italienischen Musiktheaters zu Beginn des 17. Jahrhunderts 263
- V.5 Serenaden, Kammerfeste und andere Kleinformen 274
- V.6 Ballette und Einleitungen zu Balletten 293
- V.7 Aufzüge und Rossballette 302
- V.8 Musikalische Feste 305
- V.9 Faschingsopern 314
- V.10 Opern zu Geburts- und Namenstagen im Kaiserhaus 334
- V.11 Opern zu Geburten im Kaiserhaus 369
- V.12 Hochzeitsopern 375
- VI. Die italienische Aufklärung in Österreich 385
- VII. Von der Spätaufklärung zur Frühromantik 490
- VIII. Die Verbreitung der italienischen Literatur 531
- IX. Verzeichnis der Drucke 549