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Die literarische Selbstdarstellung des Kaiserhofes im
Barock224
eines thematisch geschlossenen Zyklus von geistlichen Madrigalen. Die Gliederung
des Textes und der Musik deutet lediglich auf das Bemühen um eine wohl am ehes-
ten dem Oratorium verwandte Struktur hin.
Die erste Opera Drammatica in musica wird am 15. Juni 1642 anlässlich des Fes-
tes des hl. Antonius von Padua (13. Juni) mit Vorausblick auf den im Juli zu feiern-
den Geburtstag von Ferdinand III. unter Mitwirkung der Hofmusiker von Erzherzog
Leopold Wilhelm zur Aufführung gebracht: Lo Specchio di Virtù von Orazio Persiani.
Der mit einigen Operntexten für venezianische Komponisten nachweisbare Autor, zu
dieser Zeit Hofpoet von Leopold Wilhelm, lässt im Prolog seines vermutlich von Gia-
cinto Cornacchioli vertonten Librettos die Muse Talia in einer Ansprache an den Kai-
ser die Thematik der folgenden drei Akte darlegen. In den von allegorischen Figuren
und Verkörperungen verschiedener Laster (wie einem Trinker, einer Hure usw.) vor-
getragenen Debatten befindet sich Mondo, der das Menschengeschlecht verkörpert,
am Scheideweg zwischen Ragione und Sensualità. Dem Zauber der sinnlichen Verfüh-
rungen und der eigenen Eitelkeit nachgebend, verliebt sich Mondo in die schmeichle-
rische Lusinga, welche in einem Ballett der fünf Sensi die irdische Welt mit sich in den
Untergang reißt. Die so der Sünde verfallenen Figuren werden schließlich von Astrea,
der Göttin der Gerechtigkeit, bestraft und in einem Ballett der gefolterten Seelen zur
Ruhelosigkeit verdammt. Der dritte Akt entspricht in seiner bemerkenswerten Schau-
rigkeit dem blutigen Horror barocker Schauspiele oder Novellen, denn hier verzehren
drei Prinzen der Unterwelt bei einem Bankett mit Genuss die erbärmlichen Reste der
Sünder. Nachdem den Zusehern solcher Art die Höllenstrafen mit brutaler Grausam-
keit vorgeführt wurden, verdammt zum Schluss die Figur des Libero Arbitrio alle Las-
ter. Die darauf folgende Licenza beginnt mit einer Klage über den die Welt schon so
lange verwüstenden Krieg und besingt schließlich Ferdinand III. gemäß seiner Devise
Pietate et justitia als künftigen Friedensstifter unter den europäischen Nationen.
Lo Specchio di Virtù von Orazio Persiani bleibt allerdings bezüglich seines dra-
matischen Aufbaus, seiner expliziten Schauerszenen und seines Anlasses in dieser
Kombination von Heiligenfest und Geburtagsfeier eine Ausnahmeerscheinung im
Programm der am Kaiserhof dargebotenen geistlichen Werke.
Am 3. April 1643 wird für die Karwoche Valentinis Santi risorti nel Giorno della Pas-
sione di Christo, et Lazaro tra quelli, eine wohl mit späteren Sepolcri vergleichbare Opera
da rappresentarsi in musica, in der Vertonung des Autors aufgeführt. Das Ferdinand III.
gewidmete Werk besteht aus zwölf Sonetten, die von dem im Titel angekündigten La-
zarus und fünf weiteren nicht namentlich genannten Heiligen vorgetragen werden.
Am 18. August 1643 folgt eine sichtlich von Persianis Lo Specchio di Virtù inspi-
rierte Darbietung: Valentinis Dialogo. La vita di Santo Agapito, fanciullo di quindeci
Die italienische Literatur in Österreich
Von den Anfängen bis 1797, Volume I
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die italienische Literatur in Österreich
- Subtitle
- Von den Anfängen bis 1797
- Volume
- I
- Author
- Alfred Noe
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78730-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 780
- Keywords
- Italian Literature, Habsburg Monarchy, Libretto, Court Festivities
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Einführung 9
- I. Der italienische Humanismus in Österreich 27
- II. Der Petrarkismus und die Akademiebewegung in Österreich 79
- II.1 Petrarkismus und protestantischer Adel 81
- II.2 Die Rezeption der Madrigalistik an den Höfen 87
- II.3 Barocke Akademien 92
- III. Die religiöse Literatur von der Gegenreformation zur katholischen Frühaufklärung 99
- III.1 Reformorden aus Italien und ihre Volksmissionen 101
- III.2 Die kontemplative Literatur für Laien 114
- III.3 Die katholische Frühaufklärung 127
- IV. Die italienische Improvisationskomödie 135
- V. Die literarische Selbstdarstellung des Kaiserhofes im Barock 199
- V.1 Die Bedeutung der Historiographie 208
- V.2 Die Funktion der kaiserlichen Hofdichter 214
- V.3 Geistliche Musikdramen und Oratorien 218
- V.4 Die Rezeption des italienischen Musiktheaters zu Beginn des 17. Jahrhunderts 263
- V.5 Serenaden, Kammerfeste und andere Kleinformen 274
- V.6 Ballette und Einleitungen zu Balletten 293
- V.7 Aufzüge und Rossballette 302
- V.8 Musikalische Feste 305
- V.9 Faschingsopern 314
- V.10 Opern zu Geburts- und Namenstagen im Kaiserhaus 334
- V.11 Opern zu Geburten im Kaiserhaus 369
- V.12 Hochzeitsopern 375
- VI. Die italienische Aufklärung in Österreich 385
- VII. Von der Spätaufklärung zur Frühromantik 490
- VIII. Die Verbreitung der italienischen Literatur 531
- IX. Verzeichnis der Drucke 549