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Die literarische Selbstdarstellung des Kaiserhofes im
Barock380
garn-Feldzug zurückgekehrte Maximilian II. Emanuel von Bayern das gefährdete
Palladium rettet. Darüber hinaus erlangt diese Thematik in der zwölf Jahre später
erfolgenden Überführung des Gnadenbildes von Maria Pötsch in den Stephansdom
zusätzliche Bedeutung, eben weil darin – wie im Abschnitt über die religiöse Litera-
tur zitiert – ein dem Palladium vergleichbares Objekt in die Residenzstadt gebracht
wird.
Mit dieser letzten Hochzeitsoper in seiner Gesamtproduktion hat Nicolò Minato
ein weiteres Zeugnis seiner spezifischen Schaffenskraft und seiner persönlichen Ge-
staltung des dramma per musica hinterlassen. Im Gesamtregister der über 200 Werke
Minatos scheinen insgesamt 51 Libretti auf,631 die der Autor als dramma per mu-
sica bezeichnet. Bei einer weiter gefassten Definition des historischen Librettos, die
auch Stoffe aus mythischer Zeit einschließt (was etwa auch der Tradition der antiken
Geschichtsschreibung bei Herodot oder Livius entspricht), kann man alle großen
Libretti Minatos als äußerst kreative Kombinationen von Geschichte und Fiktion
bezeichnen, in denen das historische Element immer dem Prinzip der historia magis-
tra vitae gehorcht und folglich als Vergleichsbasis in der panegyrischen Allegorie am
Schluss der Stücke herangezogen wird, während die Fiktion der Liebesbeziehungen
gemäß dem Prinzip des Belehrens und Erfreuens den erwünschten Anteil an Unter-
haltung beiträgt.
Bei der erstaunlich vielfältigen Wahl seiner historischen Themen konzentriert
sich Minato vor allem auf vier Gebiete: die orientalisch-antike Überlieferung (z. B.
Creso und Xerse; beide aus Herodots Historien), die griechischen Stoffe (z. B. Artemi-
sia aus den Noctes Atticae von Aulus Gellius oder La forza dell’amicizia aus den Gesta
Romanorum),632 die römische Geschichte (z. B. La caduta di Elio Sejano und La prospe-
rità di Elio Sejano aus Suetons Vitae Caesarum oder Il fuoco eterno custodito dalle Vestali
aus Valerius Maximus Facta et dicta memorabilia) und schließlich auf mittelalterliche
Themen (z. B. L’Adalberto ovvero La Forza dell’astuzia femminile oder Gundeberga).
Ein wichtiges Auswahlkriterium für die Stoffe stellt dabei ganz klar die Übertrag-
barkeit der allegorischen Inhalte auf die zeitgenössische Situation bei Hof und den
631 Diese Zahl beinhaltet zwar die nach dem Tod von Giovanni Faustini fertig gestellten Texte (wie Artimisia
und Elena), schließt aber die in manchen Nachschlagewerken immer wieder auftauchenden Zuschreibungen
von Il girello und Il Mauritio aus. Vgl. Alfred Noe: Nicolò Minato. Werkverzeichnis. Wien 2004.
632 Ein Stoff, den man in Schillers Bürgschaft wiederfindet. Anzumerken ist bei dieser Gelegenheit, dass
die historische Dramenkonzeptionen Minatos und Schillers erstaunliche Parallelen aufweisen, die eine
vergleichende Untersuchung verdienen würden. Außerdem scheint in dieser Hinsicht bemerkenswert,
dass sich Alessandro Manzoni bei seiner Entwicklung des historischen Dramas der Romantik an den
deutschen Vorbildern orientierte, hingegen Minato in der Diskussion dieser Zeit keine Berücksichtigung
findet. Auch das unterstreicht die eingangs skizzierte Haltung der nationalen Literaturtraditionen gegen-
über den im fremdsprachigen Ausland tätigen poeti cesarei.
Die italienische Literatur in Österreich
Von den Anfängen bis 1797, Volume I
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die italienische Literatur in Österreich
- Subtitle
- Von den Anfängen bis 1797
- Volume
- I
- Author
- Alfred Noe
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78730-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 780
- Keywords
- Italian Literature, Habsburg Monarchy, Libretto, Court Festivities
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Einführung 9
- I. Der italienische Humanismus in Österreich 27
- II. Der Petrarkismus und die Akademiebewegung in Österreich 79
- II.1 Petrarkismus und protestantischer Adel 81
- II.2 Die Rezeption der Madrigalistik an den Höfen 87
- II.3 Barocke Akademien 92
- III. Die religiöse Literatur von der Gegenreformation zur katholischen Frühaufklärung 99
- III.1 Reformorden aus Italien und ihre Volksmissionen 101
- III.2 Die kontemplative Literatur für Laien 114
- III.3 Die katholische Frühaufklärung 127
- IV. Die italienische Improvisationskomödie 135
- V. Die literarische Selbstdarstellung des Kaiserhofes im Barock 199
- V.1 Die Bedeutung der Historiographie 208
- V.2 Die Funktion der kaiserlichen Hofdichter 214
- V.3 Geistliche Musikdramen und Oratorien 218
- V.4 Die Rezeption des italienischen Musiktheaters zu Beginn des 17. Jahrhunderts 263
- V.5 Serenaden, Kammerfeste und andere Kleinformen 274
- V.6 Ballette und Einleitungen zu Balletten 293
- V.7 Aufzüge und Rossballette 302
- V.8 Musikalische Feste 305
- V.9 Faschingsopern 314
- V.10 Opern zu Geburts- und Namenstagen im Kaiserhaus 334
- V.11 Opern zu Geburten im Kaiserhaus 369
- V.12 Hochzeitsopern 375
- VI. Die italienische Aufklärung in Österreich 385
- VII. Von der Spätaufklärung zur Frühromantik 490
- VIII. Die Verbreitung der italienischen Literatur 531
- IX. Verzeichnis der Drucke 549