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387Die
italienische Aufklärung in Österreich
Es kann allerdings als eine Ironie der Kulturgeschichte verstanden werden, dass ge-
rade die ungehinderte bzw. vielfach sogar geförderte Entfaltung der italienischen
Frühaufklärung am Kaiserhof zu einer zunehmenden Schwächung und letzten En-
des zu einem allmählichen Niedergang des Modellcharakters der italienischen Li-
teratur in Österreich beiträgt. Diese paradoxe Entwicklung erklärt sich durch die
unbestreitbare Dominanz des französischen Einflusses auf die literarischen Bestre-
bungen am Ende des 17. und zu Beginn des 18. Jahrhunderts: Die italienischen In-
tellektuellen werden sich angesichts der französischen Attacken gegen den ausge-
prägt barocken Stil des Marinismus mit seiner überaus dekorativen Rhetorik und
seinen ausgeklügelten inhaltlichen concetti der wachsenden Isolierung ihrer Produk-
tion bewusst. Vor allem Dominique Bouhours (1628–1702), Freund von Jean Racine
und sprachlicher Korrektor von dessen Werken, prangert in Les entretiens d’Ariste et
d’Eugène (1671) die italienische (gemeinsam mit der spanischen) Literatur als ver-
altetes Gegenmodell zur französischen Klassik an, welche durch ihre gedankliche
Klarheit und sprachliche Reinheit die verschrobenen Konzepte und die inhaltsleeren
Preziositäten der Italiener überwinde. Wie schmerzhaft diese französischen Schmä-
hungen in Wahrheit gewesen sein müssen, geht aus der aggressiven Entgegnung von
Ludovico Antonio Muratori in seiner Difesa della lingua italiana, dem vierten Kapitel
seiner Abhandlung Della perfetta poesia italiana (1706), hervor:
Di più, dic’egli [Bouhours], la lingua italiana ama estremamente i giuochi di parole, le
antitesi e le descrizioni. Ella giuoca e scherza anche alle volte nelle materie più gravi e più
sode. Io parlo dell’italiana e della spagnuola tali, quali sono oggidì negli autori moderni,
che sono in pregio nell’Italia e nella Spagna. Poscia volgendosi a lodar la lingua fran-
zese, fra l’altre cose dice: ch’essa è nemica de’ giuochi di parole, e di quelle picciole allu-
sioni, che tanto s’amano dall’italiana. Se l’idioma francese avesse molti scrittori, che
francamente spacciassero sofismi, vorrei anch’io secondo questa nuova dialettica
formare un somigliante argomento: La lingua franzese ama i sofismi; adunque essa è
un’infelice e sciocca lingua.638
Das seit der Renaissance vorherrschende Modell der italienischen Literatur mit ih-
rer besonderen formalen Tradition, welche aus dem Petrarkismus hervorgeht, sieht
daher nicht nur sein eigenes Prestige, sondern auch jenes der Sprache und der italie-
nischen Kultur insgesamt bedroht.
638 Mario Puppo (Hg.): Discussioni linguistiche del Settecento. Turin 1979, S. 134.
Die italienische Literatur in Österreich
Von den Anfängen bis 1797, Volume I
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die italienische Literatur in Österreich
- Subtitle
- Von den Anfängen bis 1797
- Volume
- I
- Author
- Alfred Noe
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78730-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 780
- Keywords
- Italian Literature, Habsburg Monarchy, Libretto, Court Festivities
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Einführung 9
- I. Der italienische Humanismus in Österreich 27
- II. Der Petrarkismus und die Akademiebewegung in Österreich 79
- II.1 Petrarkismus und protestantischer Adel 81
- II.2 Die Rezeption der Madrigalistik an den Höfen 87
- II.3 Barocke Akademien 92
- III. Die religiöse Literatur von der Gegenreformation zur katholischen Frühaufklärung 99
- III.1 Reformorden aus Italien und ihre Volksmissionen 101
- III.2 Die kontemplative Literatur für Laien 114
- III.3 Die katholische Frühaufklärung 127
- IV. Die italienische Improvisationskomödie 135
- V. Die literarische Selbstdarstellung des Kaiserhofes im Barock 199
- V.1 Die Bedeutung der Historiographie 208
- V.2 Die Funktion der kaiserlichen Hofdichter 214
- V.3 Geistliche Musikdramen und Oratorien 218
- V.4 Die Rezeption des italienischen Musiktheaters zu Beginn des 17. Jahrhunderts 263
- V.5 Serenaden, Kammerfeste und andere Kleinformen 274
- V.6 Ballette und Einleitungen zu Balletten 293
- V.7 Aufzüge und Rossballette 302
- V.8 Musikalische Feste 305
- V.9 Faschingsopern 314
- V.10 Opern zu Geburts- und Namenstagen im Kaiserhaus 334
- V.11 Opern zu Geburten im Kaiserhaus 369
- V.12 Hochzeitsopern 375
- VI. Die italienische Aufklärung in Österreich 385
- VII. Von der Spätaufklärung zur Frühromantik 490
- VIII. Die Verbreitung der italienischen Literatur 531
- IX. Verzeichnis der Drucke 549