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76 KAPITEL2. KINDHEIT
ein Nazigegner geblieben.63DenWehrdienst sah ein national Gesinnter wie mein Vater
als Dienst amVaterland und nicht als Unterstützung des augenblicklich regierendenRe-
gimes, vielleicht sogar als Chance zu einer positiven Beeinflussung der Entwicklung an,
auch wennman imRückblick von heute diese Einstellung durchaus als naiv bezeichnen
könnte.
Also, Schuld hin oder her, fürmeine Eltern wie fürMillionen andere hieß es nun, wie
gesagt: von vorne anfangen. Der Neustart, immerhin imAlter von bereits 45 Jahren im
FallemeinesVaters, wurde aber durchweitere unverschuldete Schicksalsschläge noch für
Jahre erschwert. Werfen wir einen Blick auf den ersten und lebensbedrohenden dieser
Schläge.
Schicksalsschläge
MeinVater kamwie viele als krankerMann aus demKrieg zurück. Ich habe ihn bereits
weiter oben als einen eher bedächtigenMenschen beschrieben. Die furchtbarenErlebnis-
se imKriegmußten ihn daher psychisch extrembelastet haben. Psychische Belastungen
schlagen einem auf denMagen, sagtmanwohlmit Recht. Nach demKrieg hatman bei
ihm ein großes Geschwür amZwölffingerdarm diagnostiziert. Bei der operativen Entfer-
nung dieses Geschwürsmußten auch etwa zwei Drittel desMagensmit entfernt werden.
Die restlichen zwei Jahrzehnte seines Lebens mußte er also mit einem extrem reduzier-
tenMagen auskommen,was ihmerstaunlich gut gelang.Die imKrankenhaus Schwabach
durchgeführteOperation ist zwar gut verlaufen, hatte aber eine Lungenembolie zur Fol-
ge, an der er umHaaresbreite gestorben wäre. Demwohl sehr fähigen und engagierten
behandelnden Chirurgen gelang es aber, ihn mit allen damals verfügbaren Mitteln der
Medizin zu retten.
Im Anschluß an den langen Aufenthalt im Krankenhaus kam er zur Rehabilitation
für langeMonate in denKonventMarta undMaria in derMarienburg in Abenberg bei
Roth und wurde dort von den Schwestern der Kongregation der Schwestern von der
SchmerzhaftenMutter liebevoll betreut. Er war von der Betreuung und dem in diesem
Konvent herrschendenGeist offenbar so beeindruckt, daß er sich in dieser Zeit ernsthaft
überlegte, zumkatholischenGlauben zu konvertieren, demauch seineMutter angehörte.
63Im Gemeindearchiv von Georgensgmünd liegt der von Hans Bibel ausgefüllte Fragebogen zur Ge-
meindewahl 1946 vor. Dort wurden von ihm alle NSDAP-Fragen (5c-d, 6a-b, 7a-h, 8) mit Ausnahme
der Mitgliedschaft selbst mit nein beantwortet. Auf dem Bogen findet sich oben der handschriftlich
angebrachte Vermerk: lt. Ausschußsitzung berechtigt , dh. seine Angaben wurden für richtig befunden
und er wurde zurWahl zugelassen. Damit sei dieser dörfliche Ausschuß keineswegs überbewertet. Viel
aufschlußreicher sind die später zu besprechenden Spruchkammerakten.
Reflexionen vor Reflexen
Memoiren eines Forschers
- Title
- Reflexionen vor Reflexen
- Subtitle
- Memoiren eines Forschers
- Author
- L. Wolfgang Bibel
- Publisher
- Cuviller Verlag Göttingen
- Location
- Göttingen
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-SA 4.0
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 464
- Category
- Biographien
Table of contents
- Einleitung 1
- Vorfahren 11
- Kindheit 51
- Zielsuche 153
- Forscherleben 281
- Resümee 413
- Stichwort- und Namensverzeichnis 427