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tung einer regelrechten Initialzündung.64 In der Auseinandersetzung mit Ptolemäus’
Thesen und bei der Weiterentwicklung seines Werks spielten nicht zuletzt der an der
Wiener Universität wirkende Georg von Peuerbach (1423–1461) sowie dessen Schüler
Johannes Müller, gen. Regiomontanus (1436–1476) eine wichtige Rolle. Von Bedeu-
tung war auch die Verwendung spezifischer Instrumente, darunter des seit dem Hoch-
mittelalter bekannten Kompasses bzw. der Bussole und des insbesondere auch für die
Höhenmessung eingesetzten, grundsätzlich schon seit dem 10. Jahrhundert bekannten
»quadratum geometricum«. Regiomontanus konstruierte 1455 gemeinsam mit seinem
Lehrer Peuerbach ein solches Instrument, und er sollte bei seinen Italienreisen dann
auch mit italienischen Gelehrten, darunter Leon Battista Alberti, in Kontakt kom-
men. Ohne auf diese Entwicklungen hier näher eingehen zu können
– was auf diesem
Wege entstand, war jedenfalls ein neues methodisches wie praktisches Grundsystem
für die Ausbildung der bislang unbekannten Darstellungsform der »Perspektivansicht«.
Obwohl die Frage, wie denn vor allem die mit Jacopo de’ Barbaris Venedig-Ansicht
von 1500 begründete Form der Vogelschau konkret angefertigt wurde, bis heute nicht
als völlig gelöst zu bezeichnen ist, dürfte die Auffassung, dass von etlichen hohen
Türmen innerhalb eines Stadtbereichs vorbereitende Messungen durchgeführt und
danach zusammengeführt wurden, die größte Wahrscheinlichkeit für sich beanspru-
chen dürfen.65 In überzeugender Weise hat Lucia Nuti in einer Studie aus dem Jahre
1994 herausgearbeitet, dass der Perspektivplan bzw. die Vogelschau letztlich nur aus
einem Zusammenwirken der Ergebnisse von Vermessungen mit der künstlerischen
Begabung des Zeichners in einem höchst subtilen Prozess von Zusammenfügungen
entsteht. Die von Vogelschauen suggerierte Imagination, sie sei von einem hoch gele-
genen Standpunkt aus aufgenommen, ist im Umland der dargestellten Stadt vielfach
topografisch gar nicht möglich.66 Beste Voraussetzung für die Anfertigung eines Per-
64 Die im Folgenden gebotenen Hinweise auf die Entwicklung des Vermessungswesens und der dabei zum
Einsatz kommenden Methoden und Instrumente sowie die Ausbildung der neuen Darstellungsformen
der Perspektivansicht und der Vogelschau verdanken sich insbesondere Guerra u. a., Informatica e
»infografica«, 93–100, De Seta, La fortuna, 28–36, Falchetta, La veduta prospettica, 69–75, Schulz,
La grande veduta, 58–66, Stroffolino, Tecniche e strumenti, 39–50, und Nuti, The Perspective Plan,
105‒128, insbesondere 126‒128.
65 Zum Unterschied dazu wurden spätere Vogelschauen, wie etwa die Prager und Wiener Vogelschauen des
Joseph Daniel von Huber aus der zweiten Hälfte des 18. Jh.s in Militärperspektive angefertigt, wobei der
Blickpunkt im Unendlichen liegt und die Sehstrahlen somit parallel verlaufen, vgl. unten Anhang 9.7,
S. 492 Nr. 28, sowie Heinz/Mokre, Joseph Daniel von Huber, 96.
66 Interessant ist in diesem Zusammenhang der bei Nuti, The Perspective Plan, 126, gebotene Hinweis
auf die Durchführung eines Vergleichs zwischen der Stadtansicht von Amsterdam von Cornelis An-
thonisz (1538 und 1542) mit einer annähernd vom selben Blickpunkt aus aufgenommenen modernen
Luftaufnahme. Dabei zeigte sich, dass die Perspektive nicht für die ganze Ansicht identisch ist, sondern
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Wien als Festungsstadt im 16.Jahrhundert
Zum kartografischen Werk der Mailänder Familie Angielini
- Title
- Wien als Festungsstadt im 16.Jahrhundert
- Subtitle
- Zum kartografischen Werk der Mailänder Familie Angielini
- Authors
- Ferdinand Opll
- Heike Krause
- Christoph Sonnlechner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20210-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 586
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Inhalt
- Einleitung 9
- Die Angielinis, ihr Werk und Wirken 10
- Wien als Festungsstadt 13
- Terminologie und Onomastik 14
- Internet 16
- Abbildungen 17
- Dank 17
- 1 Die Familie Angielini und ihr kartografisches Schaffen 21
- 1.1 Biografisches 21
- 1.2 Das beruflich-persönliche Umfeld der Angielinis 38
- 1.3 Das kartografische Werk der Familie Angielini 44
- 1.4 Die Überlieferungen der »Angielini«-Atlanten in Wien, Dresden und Karlsruhe 51
- 1.5 Exkurs : Die in den fünf »Angielini«-Atlanten vorkommenden Wasserzeichen 52
- 1.6 Analyse und Autopsie der fünf »Angielini«-Atlanten 59
- 2 Der in den »Angielini«-Atlanten erfasste Raum 87
- 3 Der ungarische Raum und die Stadt Wien in frühen kartografischen Zeugnissen 101
- 4 Der frühneuzeitliche Festungsbau in Theorie und Praxis 127
- 5 Wien wird Festungsstadt – Der Ausbau nach der Belagerung von 1529 bis in die Mitte der 1560er Jahre 147
- 5.1 Die fortifikatorischen Folgen der Ersten Türkenbelagerung von Wien im Jahr 1529 147
- 5.2 Der Festungsbau aus umwelthistorischer Perspektive 197
- 6 Autopsie und Kontextualisierung der drei »Angielini«-Pläne von Wien 221
- 6.1 Das weitere Umfeld – eine Annäherung an die Stadt 221
- 6.2 Die unmittelbare Umgebung der Stadt 228
- 6.3 Die Befestigung 250
- 6.3.1 Bastei bei dem Burgtor 252
- 6.3.2 Bastei zwischen Burg- und Schottentor 255
- 6.3.3 Bastei beim Schottentor 258
- 6.3.4 Elendbastei 261
- 6.3.5 Arsenal und Reste der mittelalterlichen Stadtmauer 263
- 6.3.6 Neutorbastei 267
- 6.3.7 Mittelalterliche Stadtmauer zwischen Werdertor und Piattaforma samt neuer Kurtine 268
- 6.3.8 Piattaforma 268
- 6.3.9 Mittelalterliche Stadtmauer zwischen Piattaforma und Biberbastei 270
- 6.3.10 Biberbastei 272
- 6.3.11 Bastei bei den Predigern 274
- 6.3.12 Stubentor und angrenzende Kurtinen 277
- 6.3.13 Untere Paradeisbastei 278
- 6.3.14 Unteres Zeughaus auf der Seilerstätte 281
- 6.3.15 Obere Paradeisbastei 282
- 6.3.16 Bastei beim Kärntner Tor 286
- 6.3.17 Mittelalterliche Stadtmauer und sogenannter Augustinerturm 290
- 6.3.18 Stadtgraben 292
- 6.3.19 Resümee 293
- 6.4 Das Stadtinnere 294
- 7 Zusammenfassung und Summary 305
- 8 Tafeln 313
- 9 Anhang 325
- 9.1 Die mit dem kartografischen Schaffen der Familie Angielini in Verbindung stehenden kartografischen Darstellungen 325
- 9.2 Anzahl der in den »Angielini«-Atlanten enthaltenen Stadtpläne, Festungsgrundrisse und -schrägansichten 457
- 9.3 Reihenfolge der in den Überlieferungen der »Angielini«-Atlanten enthaltenen kartografischen Darstellungen 459
- 9.4 Konkordanz der in den Stadtplänen, Festungsgrundrissen und -schrägansichten der »Angielini«-Atlanten verwendeten Ortsnamen 462
- 9.5 Italienische Festungsbaumeister des 16. Jahrhunderts (bis ca. 1580) und ihre Einsatzgebiete im habsburgisch-osmanischen Grenzbereich 466
- 9.6 Festungsbautraktate des 15. und 16. Jahrhunderts und ihre Autoren 479
- 9.7 Chronologisches Verzeichnis der im Buch häufig verwendeten Wien-Pläne und Wien-Ansichten (15.‒18. Jahrhundert) 483
- 10 Glossar 494
- 11 Verzeichnisse 499